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3.28 Tremblay - Ceci est un message


Rudolf Frisius: Marc Tremblay, Ceci est un message

Z: Tremblay, Ceci est un message

Das Stück heißt"... Ceci est un message" - "Dies ist eine Nachricht". Was dieser Titel bedeutet, wird dem Hörer im Stück selbst in einer anderen Sprache mitgeteilt: "This is a recording" - "Dies ist eine Aufnahme". Es geht um eine gesprochene Nachricht, die als Aufnahme zu hören ist - und zwar als Nachricht über Telefon,über den Anrufbeantworter.

Z: 1´04 This is a recording

Der frankokanadische Komponist Marc Tremblay hat ein Tonbandstück mit aufgenommenen Klängen und Telefonstimmen komponiert, das 1996 im Abschlußkonzert eines internationalen Wettbewerbs für Lautsprechermusik in der nordfranzösischen Stadt Arras zu hören war. Das Stück ist doppeldeutig: Einerseits läßt es sich als Musikstück hören, andererseits als anekdotisches Radiostück, das eine Geschichte erzählt. Wichtig ist, daß der Komponist sich niemals eindeutig auf eine der beiden Perspektiven festlegt. Es gibt Passagen, die auf die eine oder andere Weise gehört werden können, und an bestimmten Stellen ist zu hören, wie sich die Akzente vom Anekddotischen auf das Musikalische verschieben oder wie umgekehrt die Musik zur über Lautsprecher erzählten Geschichte wird - sei es im plötzlcihen Wechsel, in der Montage; sei es in auskomponierten Überleitungen.

Doppeldeutig sind in dieser Musik nicht zuletzt die Klänge der Stimmen. Dies zeigt sich schon frühzeitig, nachdem man zum ersten Mal eine Frauenstimme gehört hat.

Z: 1´04 mit Fortsetzung - Verfremdung der Stimme durch Samples

(als hohe el. Töne - Frauenstimme "this is a recording")

Zu hören ist nicht, daß eine Frau spricht - daß etwa die live-Illusion einer Sprechszene erzeugt werden sollte. Schon nach wenigen Sekunden, bei der Fortsetzung des Stückes, erkennt man vielmehr, daß es hier um die Aufnahme einer Stimme und um ihre technische Verfremdung geht: Man hört nicht eine Stimme, sondern ihr technisch konserviertes und manipuliertes Klangbild, als unsichtbare Hörkunst über den Lautsprecher.

Z: 1´04 mit Fortsetzung bis vor 2´13 (Hallo - Elektronischer Klang)

bis vor 2´25 (Rumpeln)

Die ersten Stimmlaute, die zu hören sind, stammen offensichtlich aus der Retorte - als Hörkunst mit aufgenommenen Stimmlauten. So ist rechtzeitig der Illusion vorgebeugt, daß hier ein Sprechstück inszeniert werden soll.

Z: 1´04 recording - Hallo 0´´ - nach 32´´

Schon zu Beginn des Stückes wird deutlich, daß hier mit fiktiven Telefonszenen gearbeitet werden soll - d. h. daß die Fiktion von Telefonszenen zugleich aufgebaut und wieder in frage gestellt wird: Es klingelt mehrmals. Danach beginnt aber kein Telefongespräch, sondern es sind merkwürdige Geräusche zu hören - es entsteht gleichsam die Faktion, daß das Telefon klinggelt, daß jemand den Hörer abnimmt und statt eines Anrufes merkwürdige Geräusche und seltsame Musik über den Anrufbeantworter zu hören bekommt.

Z: 0´ - 3´45 (hohe kurze Töne) Klingeln, Geräusche elektronische Musik (ausgeblendet)

a) 0´- 3´53 b) ab 4´20 1. Klingel -Oui, Hallo - This is a recording

Wer das Stück von Anfang an aufmerksam verfolgt, bekommt eine Telefonszene zu hören, bei der er schon frühzeitig erkennen kann, daß sie surrealistisch verfremdet ist. der irreale Dialog zwischen Frau und Mann ist so unglaubwürdig, daß man es richtig zu deuten weiß, wenn isch später daraus imaginäre Telefonsex-Szenen entwickeln.

Z: Imaginärer Telefonsex: ab 6´38 M-F Dialoge

Das Stück endet damit, daß die Enthüllung der Fiktion in Szene gesetzt wird: Auf englich un d französisch wird gefragt, ob überhaupt jemand da ist.

Z: nobody there:

ab 7´36 il y a quelqu´un, 8´34 anybody there - bis Pause (bei Atemzügen)

Stücke, wie sie Marc Tremblay komponiert, protestieren mit listigem Humor gegen eingeschliffene Hörkonventionen. Stimmen, Geräusche und elektronische Musik verbinden sich zu rätselhaften, mehrdeutigen Zusammenhängen. Man kann sich für die Geschichte interessieren, die hier erzählt wird - aber man kann gleichzeitig auch herausfinden, daß es auf diese Geschichte eigentlich gar nicht ankommt. Doppeldeutig in diesem Sinne ist schon das Telefonklingen, das gleicn zu Beginn des Stückes erscheint.

Z: 0´´ - 6´´Erstes Klingelzeichen (Telefon) - Zweites Klingelzeichen (schnell wegblenden)

Das Telefon klingelt, und nach einer kurzen Pause klingelt es erneut.

Z: ev. Klingeln

Wer den Beginn des Stückes wie eine Hörspielszene hört, kann dies einfach deuten: Niemand sitzt am Apparat, und deswegen läßt der Anrufer erneut das Telefon klingeln. Nach dem zweiten Klingelzeichen geschieht Seltsames: Man hört Geräusche - und dann wenig später Elektronische Musik.

Z: 0´´ - 19´´ Zwei Klingelzeichen - Geräusche, Elektronische Musik

Wer das ganze Stück gehört hat, weiß, daß hier immer wieder an wichtigen Stellen das Telefon klingelt. Je öfter dies geschieht, desto deutlicher wird, daß es hier nicht um ein Telefon-Hörspiel geht. Das Klingelzeichen ist nicht nur ein Hörspielgeräusch, nicht nur ein Requisit auf der unsichtbaren Hörbühne. Es haut auch rein musikalische Funktionen - wie ein Motiv, das häufig wiederkehrt und so die Musik sinnfällig glieder - und das sich dabei überdies ständig verändert, in immer wieder neue (,stets wechselnde) akustische Zusammenhänge gerät.

Z: 19´´Klingel und Geärusche - 30´´Klingel und Geräusch - bis nach 32´´Oui, Hallo (Männerst.)

oder direkt ausblenden nach Klingelzeichen bei 30´´

Im Stück dauert es längere Zeit, bis sich nach wiederholtem Klingeln endlich jemand meldet - ein französischer Teilnehmer, der "oui" und "hallo" sagt.

Z: 30´´ Klingel - 32´´Oui, Hallo (bis 34´´)

Längst bevor die ersten Worte zu hören sind, hat der Hörer verstanden, daß es hier auf Klangstrukturen und Klkangzusammenhänge ankommt, die über die Grenzen der Hörspieldramaturgie hinausführen. Man kann dies am deutlichsten daran erkennen, daß die realistischen Geräusche sich klanglich verselbständigen und daß sie sich - in zusammenhängenden Formprozessen -v erbinden mit abstrakteren, rein elektronischen Klangstrukturen.

Z: 34´´ Geräusche - 46´´ Rückkopplungsgeräusch (Klangkette) - Rückleitung zum Klingelgeräusch - 50´´ Klingel (verklingend) - 52´´bis vor 1´04´´ Elektronische Klänge

34´´ - vor 1´04´´

Die ersten elektronischen Klänge, die im Stück zu hören sind, stehen im deutlichen klanglichen Kontrast zum Klingeln des Telefons: Sie erscheinen als weiche, zusammenhängende Klangflächen. erst später kommen andersartige elektronische Klänge hinzu: Hohe, kurz abgehackte Klangimpulse.

1´04 hohe kurze Töne

Blende/Schnitt vor "this is a recording"

Zunächst hört man neuartige elektronische Klänge; wenig später sind Stimmlaute zu vernehmen, die man bis dahin im Stück nicht gehört hat: Eine Frau sagt: "This is a recording."

Z: 1´04 - 1´07 Hohe el. Impulse. Frauenstimme "This is a recording"

Im weiteren Verlauf kommt es dazu, daß zuvor gehörte Stimmaufnahmen in veränderten Zusammenhängen erneut zu hören sind. Dabei kommt es zu merkwürdigen dramaturgischen Konstellationen. Wenn beispielsweise die Männerstimme wieder "Hallo" sagt, dann antwortet sie damit auf die Frauenstimme, die offensichtlich aufgenommen, auf den Anrufbeantworter gesprochen ist. So entsteht ein surreales Telefongespräch.

Z: 1´04 el. Tonimpulse - 2´13 Oui, Hallo, El (aufhören vor 2´13 Terz) oder - 3´45 Klingel nach This is e recording oder bis 5´13

Die Illusion des Dialogs am Telefon wird im weiteren Verlauf des Stückes noch gründlicher entlarvt als zuvor: Man hört jetzt dieselben statements mehrmals hintereinander - in stets wechselnden Klangmischungen und klanglichen Verfremdungen - nicht mehr als Elemente eines Dialogs, sondern als isolierte Sprachpartikel. Aus den Sprachlauten entwickeln sich Formprozesse: Der von einer Frauenstimme gesprochene Satz ("This is a recording") wird zum Grundmotiv einer musikalischen Steigerung.

Z: Steigerung: This is a recording 2´354 - vor 5´15

Verarbgeitet wird nicht nur der Satz der Frauenstimme, sondern im Folgenden auch die Quasi-Antwort der Männerstimme: "Hallo".

Z: Entwicklung "Hallo 5´15 - 6´23

Steigerung und Entwicklung sind in diesem Stück zunächst mit Stäzen und Wörtern einzelner Stimmen ausgestaltet - mit dem Satz der Frauenstimme, mit dem Wort der Männerstimme. Später kokmen Männer- und Frauenstimmen zusammen_ 2 Paare in verschiedenen Stereopositionen, in einer skurril parodierten und multiplizierten Pseudo-Telefonsex-Szene.

Z: Telefonszene 6´07 - 7´20

Die Steigerung der Sexparodie enthüllt wieder das Irreale der Situation: Sie mündet im elektronischen Klang. Dieser Klang führt den Hörer letztlich von der Anekdote wieder auf den Klang selbst zurück. dem passen sich aud die im Folgenden noch hinzugemischten Stimmaufnahmen an: Jetzt sind nur noch einzelne Stimmen zu hören - zunächst ist dies eine Männerstimme mit einer französischen Frage: Ist hier jemand.

Z: Il y a quelqu´un 7´36 - 8´03

Die Szene beruhigt sich - ähnlich wie nach der turbulenen Gruppensex-Szene in Antonionis Film "Blow up". So erklärt sich, daß im Folgenden auch ruhige Atemzüge zu hören sind - zusammen mit französichen ujnd englischen Fragesätzen.

Z: Atem und frz und engl 8´03 - 9´08

Der gesprochene Satz wird zum Sample, zum selbständigen Klang, und er führt zum Anfang zurück: Zum Klingelzeichen des Telefons.

Z: Il y a quelqu´un gesampelt - Klingel (Telefon)

Der Schluß des Stückes ist Rückerinnerung, weiterführung und abschließende Beruhigung. Früher gehörte Klänge kehren wieder. Aber auch die Frage bleibt: Il y a quelqu´un? Ist hier jemand der spricht - oder vielleicht auch jemand, der zuhört?

Z: 9´08 - Schluß

"... Ceci es un message" - "This is a recording": Ein Stück über Telefonklänge und die unsichtbaren Klänge der Lautsprechermusik. Bekannte und unbekannte Klänge öffenen den Weg zu neuen musikalischen Erfahrungen.

Z: Ceci est un message (Marc Tremblay) vollständig



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