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3.2.1.2 MICRO.DOC

Rudolf Frisius

Pierre Henry: Le Microphone bien tempéré

SWF, Produktion 11. 9. 94

1. Bidule en mi vollständig 1´38

"Le Microphone bien tempére´", "Das wohltemperierte Mikrophon": Wenn man diesen Titel hört, weiß man nicht recht, wie man ihn verstehen soll - als Huldigung, die um die Mitte unseres Jahrhunderts an Johann Sebastian Bachs "Wohltemperiertes Klavier" gerichtet wird, oder als eine ironische Verfremdung dieses Werktitels. Auch die Musik selbst ist eigentümlich ambivalent - schon in ihrem Klkangbild, in ihren Gestalten und Formen. Selbst in Stücken, die an Bach erinnern könnten, erscheint dieses Vorbild nach und fern zugleich - bald in trügerischer Näher, bald in der Distanz der Verfremdung von hisgtorisch weit Zurückliegendem.

2. Bidule en mi Thema 1a,b DAT 3 egh, h-e; fis-h 20´´ 0´´-10´´

Das erste Stück des Zyklus, das Pierre Henry als Zweiundzwanzigjähriger im März 1950 komponierte, heißt "Bidule en mi", "Dingsda in e". Auch dieser Titel präsentiert sich in leiser Ikronie. Daß hier eine Tonart angegeben wird, ist für eine Komposition eigentlich merkwürdig - und diese Merkwürdigkeit ist auch deutlich zu hören: Zu Beginn hört man drei Töne, einen aujfsteigenden e-moll-Dreiklang - allerdings in seltsam verfremdetem Klangbild:

3. Bidule en mi, DAT 1, Tha 1a, egh, h-e 10´´ 10´´-18´´

Das einfache Dreiklangsmotiv klingt vertraut und fremdartig zugleich: Wie eine surrealistische Mischung aus dem modernen Klavierklang und dem Cembaloklang der Bachzeit. Auch die melodische Gestaltung ist merkwürdig ambivalent: Sie beginnt so, wie auch ein barockes Thema einsetzen könnte; dann aber folgen seltsame, wieder zum Grundton absteigende Figurationen, die zu den Stilregeln alter Musik nicht mehr so recht passen wollen:. Die Musik verwandelt sich in etwas Neues. - Im Folgenden zeigt sich noch deutlicher, wohin die Entwicklung geht:

4. Bidule en mi, Th 1b, DAT 2, fis-h 8´´ 0´´-20´´

Die Musik springt in eine höhere Lage. Ihre Figuren werden schneller, auch etwas diffuser: Man hört, daß hier jemand nicht nach Noten spielt, sondern improvisiert. Um seine Improvisationen aufnehmen und anschließend konservieren zu können, verwendet Pierre Henry "das wohltemperierte Mikrophon".

Eine seltsame Ambivalenz zwischen Bekanntem und Unbekanntem zeigt sich auch dann, wenn man das Stück im größeren Zusammenhang hört. Spuren des Alten kann man dann finden, wenn man versucht, das Anfangsthema auch im späteren Verlauf des Stückes wiederzufinden: Gleich nach dem Ende des ersten Themeneinsatzes kehren die drei Anfangstöne wieder - e, g und ha, die Töne des aufsteigenden e-moll-Dreiklanges; danach aber geht es anders weiter:

5. Bidule en mi, Th 2a: egh und h-di-fis, DAT 4, 15´´ 20´´ - 35´´

Die Wiederholung des Themas in der ursprünglichen Tonlage bricht ab. Auf dem höchsten Ton h beginnt ein neuer Themeneinsatz - eine Quinte höher als zu Anfang, wie in einer Fuge.
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