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1.4.2 Monodram


Rudolf Frisius

Wolfgang Rihm: MONODRAM. Musik für Violoncello und Orchester

In der deutschen Musikentwicklung nach 1945 ist Wolfgang Rihm seit den siebziger Jahren eine Schlüsselrolle zugefallen. Im Kreise einer neuen Komponistengeneration, die damals an die Öffentlichkeit trat, profilierte er sich mit ekstatischer Ausdrucksmusik, die ihre Affinität zu spätromantischen und expressionistischen Vorbildern offen einbekannte. Die Absage an rigorosen Konstruktivismus im Geist der fünfziger Jahre und an Verfahren und Stilmuster des seit den sechziger Jahren avantgardistisch etablierten Postserialismus verbindet sich in Rihms Musik mit einer Ästhetik, die dem Komponisten größtmögliche Freiheiten der Entscheidung in jedem Stadium des Kompositionsprozesses sichert, nach deren Prämissen jedoch die Komposition für den Interpreten im Notentext eindeutig und verbindlich festgelegt ist.

Spätestens seit den achtziger Jahren ist vollends deutlich geworden, daß die Auseinandersetzung mit (älteren oder neueren) expressiven Traditionen oder gar die Wiederbelebung von Elementen der traditionellen Tonalität in Rihms Arbeit nicht als stilistische Konstanten gesehen werden dürfen, sondern allenfalls als Einzelaspekte eines umfassenderen Konzepts, das gleichzeitig auf musikalische Komplexität und auf unmittelbar sich mitteilende musiksprachliche Prägnanz zielt. Dieses Konzept konkretisiert sich in einer Musik, die nicht aus Themen entwickelt oder aus Reihen abgeleitet ist, sondern die ihre Energien schöpft aus der jederzeit freien, unerwarteten kompositorischen Setzung und den von ihr ausgelösten Strömen der Klang- und Formentwicklung. Knapp markierende und breit ausströmende Klangkomplexe, jähe Kontraste und der Sog irreversibler Entwicklungen intensivieren sich gegenseitig. Jedes klar umrissene Detail ist dabei gleich wichtig, von unverwechselbarer Bedeutung für den Klangeindruck: Als Klangzeichen; als Chiffre einer musikalischen Keilschrift, in der sich alte und neue Rätsel und Geheimnisse musikalischer Kommunikation immer wieder neu artikulieren.

Im Titel seines Werkes zitiert Rihm den Untertitel eines Werkes von Arnold Schönberg, das auch für seine Arbeit als wichtiges Modell einer "musique informelle" im 20. Jahrhundert bedeutsam ist: "Erwartung". Im Unterschied zu Schönberg begleitet Rihm mit seinem komplexen Orchestersatz nicht den Gesang einer Frauenstimme, die den jähen Stimmungskontrasten ihrer expressionistischen Textvorlage folgt, sondern den "wortlosen Gesang" einer instrumentalen Violoncello-Solopartie, die nicht im konzertanten Kontrast zum Orchester gestaltet ist, sondern als den orchestralen Fragmenten kontrastierend überlagerte, in immer neuen Ansätzen bis in höchste Lagen sich aufschwingende, "wortlose" Gesangslinie. (Aus der Anlage des Stückes erklärt es sich, daß Rihm sein Werk nicht als Cellokonzert bezeichnet hat, sondern als "Musik für Violoncello und Orchester").

Das Werk entstand als Kompositionsauftrag des ORF, Landesstudio Graz, für das "Musikprotokoll" im Steirischen Herbst 1983. In einer kurzen Notiz des Komponisten, die aus diesem Jahr stammt, heißt es:

"Hören wir Monodram als Gesang eines einzelnen. Einsamkeits-Studien. In der Höhe, wo kaum Luft bleibt. Es klagt da aber keiner. Der Gesang ist eine Schrift. Die sich schreibt."

Gesang und Schrift - die klanglich sich äußernde und die als Zeichen fixierte, dabei gleichzeitig sich verschlüsselnde und enthüllende Sprache: Beides verbindet sich im Dialog eines Soloinstrumentes mit dem Orchester, in einer wortlos sprechenden Musik.
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