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Pierre Schaeffer: Bilude (1979)
Am 1. November 1979 wurde in Paris ein kurzes Stück von Pierre Schaeffer aus der Taufe gehoben, das die konkrete Musik gleichsam im Disput mit der abstrakten präsentiert: Es beginnt mit vier Metronomschlägen, in deren Tempo anschließend ein Pianist traditionell notierte Musik zu spielen beginn: das c-Moll-Präludium aus dem 1. Teil von J. S. BAchs "Wohltemperiertem Klavier". Schon nach wei Takten ändert sich das Klangbild: Der Pianist hält an, und die beiden folgenden Takte des Stückes sind, jetzt im Cembaloklang, vom Tonband zu hören. (Per Bandschnitt wird der Hörer gleichsam vom modernen Klavierklang zurück in die Bachzeit versetzt.) Danach geht es im taktweisen Wechsel zwischen Klavier und Tonband weiter, mit neuen Klangkontrasten - bald zurückkehrend zum Klang des Flügels, bald im verfremdeten Klavierklang. Der Pianist gerät zunehmend in Konflikt mit der Tonbandpartie, die sich mehr und mehr von "natürlichen" Instrumentalklängen entfernt - nicht nur im verfremdeten, klanglich und rhythmisch "verwackelten" Klavierklang, sondern auch mit präparierten Klavierklängen oder sogar mit der Alltagswelt entstammenden Geräuschen und mit Zitaten aus Schaeffers konkreter Musik: mit Klängen klappernder Stäbe, von Metllteller, einer afrikanischen Sanza, einer mexikanischen Flöte und schließlich einer Lokomotive. Schaeffer verwandelt Bachs Prélude in ein Bilude, dessen wehmütiger Untertitel "Eternels regrets" mit melancholischer Ironie auf Nahes und Fernes anspielt: Live gespielte "abstrakte" (notierte) Musik verbindet sich mit konkreten Klängen, die vom Tonband kommen und sich im Verlauf des Stückes mehr und mehr aus der rhythmischen Strenge des Klavierparts herauslösen - in ironisch gebrochener Metamorphose des wohltemperierten in ein "übel"präpariertes Klavier. Die Tonbandpartie läßt erkennen, wie Bachs abstrakte Klangstrukturen in der Begegnung mit konkreten Klängen sich gleichsam von innen heraus zersetzen.
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