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7.6 Beuger - Für kurze Zeit geboren


antoine beuger:

für kurze zeit geboren (1991)

für spieler/hörer (beliebig viele)

Die 1991 entstandene Komposition für kurze zeit geboren von Antoine Beuger ist geschrieben "für spieler/hörer (beliebig viele)". In den Aufführungshinweisen beschreibt der Komponist sein Stück als "64 Andeutungen, zu beziehen als Beschreibungen von Ereignissen (auch als Gedicht lesbar)". Die erste dieser Beschreibungen ist der Titel selbst: "für kurze zeit geboren". Es finden sich Beschreibungen mit einzelnen Wörtern, mit Wortpaaren oder mit Verbindungen weniger Worte: "schön, fast, lange, Höhe, zugleich, beides, Stimme, vier, sechs, Buchstabe, lesen, Silben, Worte, Buch, Hand, Feder, Zeit, zehnmal, entfernt, streifen, verweht, Abkürzungen, regelmäßig, wiederherstellen; stark und zart, auf und ab, warm und klar, auftauchen und wegtauchen, Aufbruch oder Ankunft?; lass´ ihn, so wenig, so wenig wie möglich, nicht abbrechen, ein Moment, äusserste Aufmerksamkeit, ein Minimum, jedesmal auf andere Weise, während der ganzen Dauer, dann hört er auf, an der Schwelle, vier Buchstaben, eine Lampe, auf meinem Tisch, am Ende, nur für einen Augenblick, an der Oberfläche, von links nach rechts, um gleich wieder zu verschwinden, mit dem Sand lachen, stets in weiter Ferne." Die Beschreibungen beziehen sich teils auf klangliche Eigenschaften, teils auf das Klangmaterial, teils auf Zeitverlauf und formale Gestaltung.

Die 64 Beschreibungen werden einem Formplan zugeordnet, der aus 120 Zeilen zu je 30 Einheiten besteht. Jede Einheit soll mindestens eine Sekunde daueren, die Ausführung des gesamten Zeitplanes also mindestens eine Stunde. Im Zeitplan sind einige der Beschreibungen mehrmals, einige andere nur einmal vertreten; es kommt sogar vor, daß eine Beschreibung im Formplan überhaupt nicht berücksichtigt wird. Meistens sind nur einzelne Nummern von Ereignissen in den Formplan eingetragen; nur an wenigen Stellen sind Kombinationen von zwei, drei oder höchstens vier Ereignissen vorgesehen.

Sowohl aus den Anweisungen als auch aus dem Zeitplan wird deutlich, daß hier präzise Angaben zur Erfindung unvoraussehbarer Ereignisse anregen sollen, die zum Hören auf sich und andere animieren, zur Konzentration auf Klang und Stille.

Im Zeitplan notiert sind ausschließlich die Einsatzmomente von Ereignissen, nicht ihre Dauern (die in mehreren Fällen auch von den vorgegebenen verbalen Beschreibungen abhängig sein können).

Die (klingenden) Ereignisse können realisiert instrumental oder vokal realisiert werden. Die Dominanz der Stille, die der Komponist anstrebt, wird deutlich in seiner Anweisung, möglichst wenige Aktivitäten zu entfalten (etwa mit Aktionen, von denen ungewiß ist, ob aus ihnen überhaupt ein hörbarer Klang resultieren kann).

In seinen Aufführungshinweisen beschreibt der Komponist den für ihn zentralen Begriff der Stille nicht nur positiv, sondern auch in der Abgrenzung:

"die Aktivität des Hörens; nicht: Gegenstand des Hörens;

die Offenheit des Hörers, seine Bereitschaft; nicht: seine Erwartung, sein Anspruch."
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