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7.9 Boulez - Messagesquisse


Rudolf Frisius

Pierre Boulez: Messagesquisse

1. Messagesquisse vollst. 7´11

Die Botschaften sind oft geheim.

Die Musik hat diesen Vorteil:

keine Worte,

die Botschaften sind im wesentlichen persönlich,

entziffert durch jeden je nach der Gunst des Augenblicks.

Mit diesen Worten beginnt das Vorwort der Komposition MESSAGESQUISSE, die Pierre Boulez 1976 zum 70. Geburtstag des Dirigenten und Musikmäzens Paul Sacher komponiert hat. Der Titel des Werkes ergibt sich aus der Verschmelzung von zwei französischen Wörtern:

MESSAGE (Botschaft) und

ESQUISSE (Skizze)

Als Skizze hat Boulez diese Komposition wahrscheinlich deswegen bezeichnet, weil dieses Werk mit einer Aufführungsdauer von etwa sieben Minuten relativ kurz ist - so kurz, wie auch manche anderen Erstfassungen von Boulez, die später zu größeren Kompositionen erweitert worden, teilweise dann auch letztlich als work in progress unvollendet geblieben sind. Mit MESSAGESQUISSE ist dies nicht geschiehen. Dennoch - oder gerade deswegen - kann man sagen, daß dieses kurze Stück für Boulez einerseits in seiner Musiksprache exemplarisch, andererseits in seiner Kürze aber doch auch untypisch ist.

Den zweiten Aspekt des Werktitels, die Charakterisierung der Komposition als Botschaft, hat Boulez in einem Vorwort zur Partitur genauer beschrieben - seine Vorstellung einer "Musik als Botschaft" - als Botschaft ohne Worte, deren eindeutige Entschlüsselung womöglich noch schwieriger und problematischer ist als die Entschlüsselung einer sprachlichen Botschaft.

Das Werk ist für 7 Celli komponiert. Das erste Cello ist solistisch behandelt und wird von 6 weiteren Celli begleitet. In seinem Partitur-Vorwort hat Boulez diese instrumentale Disposition mit folgenden Worten beschrieben:

Das Cello ist das gewählte Instrument,

allein, ausschließlich

fähig, sich selbst zu reflektieren

fähig, sich wirklich zu vervielfachen.

In der Besetzung des Werkes zeigt sich einerseits ein Gegensatz zwischen Solo und Ensemble, andererseits ein erster Hinweis auf die Bedeutsamkeit der Zahl 6, die in der Gesamtkonstruktion des Stückes eine wichtige Rolle spielt.

2. Anfang: 6 Flageolett-Töne Aufbau eines Sechsklanges - Tremolo

(Ausblenden vor dem ersten Pizzicato-Ton es1)

0´´ - vor 48´´

Das Stück beginnt mit 6 weit über den Tonraum verstreuten, klanglich transparenten Flageolett-Tönen. In der Solopartie erklingen sie melodisch, einer nach dem anderen: Akzentuiert einsetzend, dann in mittlerer Lautstärke längere Zeit ausgehalten, abschließend mit einer Zäsur.

Die Partien der sechs begleitenden Celli ergeben sich daraus, daß die 6 Solotöne gleichsam ihre Schatten werfen und sich dabei akkordisch ineinanderschieben:

Jeder neue Flageolett-Ton des Solo-Cellisten wird, zeitlich vesetzt, von einem der 6 begleitenden Cellisten übernommen: Leiser - klanglich reduziert durch Dämpfer - lang ausgehalten auch über die folgenden Solo-Einsatztöne hinaus.

Die sechs ersten Töne des Stückes erscheinen also in zweierlei Gestalt:

Einerseits aufeinanderfolgend, als Melodie, im Solopart;

andererseits sich überlagernd, als Harmonie, in den Begleitinstrumenten.

3. = 2. 6 Töne melodisch und harmonisch (bis Tremolo):

0´´ bis vor 48´´ (Pizz es1)

Die sechs Töne, mit denen das Stück beginnt, sind Verschlüsselungen eines aus sechs Buchstaben gebildeten Namens. SACHER ist der Nachname des Widmungsträgers. Die ersten 5 Buchstaben dieses Namens lassen sich leicht musikalischen Tonbuchstaben zuordnen:

ES - A - C - H - E

Der letzte Buchstabe, das R, wird auf andere Weise in Musik übersetzt. Boulez ordnet ihn der Tonsilbe Ré zu - der französischen Bezeichnung für den Ton D.

So ergeben sich 6 verschiedene Töne. Boulez verteilt sie, in größeren Intervallabständen, auf verschiedene Oktavräume, so daß sie in verschiedenen Dimensionen klar unterscheidbar bleiben: Einerseits horizontal, in der Tonfolge; andererseits vertikal, im Zusammenklang.

Die sechs Tonbuchstaben bilden nicht nur das einleitende Motto des Stückes, sondern zugleich auch den Kern seiner Konstruktion: Aus der Sechstongruppe, die das Stück eröffnet, leitet Boulez im weiteren Verlauf andere Tonkonstellationen ab. Beispielsweise hört man, im unmittelbaren Anschluß an die breit ausgespielten ersten sechs Töne, einen Abschnitt mit sechs Tongruppen, also sechs melodischen Gestalten. Die Tongruppen erscheinen als organische Weiterentwicklung der einzelnen Töne. Dies wird schon daran deutlich, daß jede von ihnen mit demselben Ton beginnt, den man schon zu Beginn des Stückes gehört hat: Mit ES - dem ersten Buchstaben des Namens SACHER.

4. Anfang größerer Zusammenhang: 6 Töne - 6 Melodieabschnitte

6 Flageolett-Töne, beginnend mit ES -

6 Melodieabschnitte, jeweils beginnend mit ES pizzicato

0´´ - vor oder kurz nach 2´04 (Es allein in Vc 1 Tremolo - ausbl. vor cresc.)

Die Entwicklung mündet auf dem Ton, von dem sie ausgegangen ist:

Das eingestrichene ES erklingt anfangs lang ausgehalten im Flageolett und später rhythmisiert in verschiedenen Klangfarben gleichzeitig: Kontinuierlich im Tremolo - diskontinuierlich, rhythmisiert, teils im Pizzikato, teils mit Schlägen des Bogenholzes auf die Seite.

5. Zusammenschnitt

a) Anfangston es1 Flageolett 0´´ - vor 8´´ (Einsatz a2)

b) Abschlußton es1 Tremolo - pizz - col legno battutto:

1´42 - vor oder kurz nach 2´04

Der Ton ES, der Anfangsbuchstaben des Namens SACHER, spielt eine wichtige Rolle nicht nur am Anfang des Stückes, sondern auch im weiteren Verlauf. An einem wichtigen Einschnitt des Stückes erscheint er in doppelter Funktion:

Am Ende eines Abschnittes mit raschem Passagenwerk vereinigen sich alle Instrumente im Unisono und konzentrieren sich dabei mehr und mehr auf das mittlere es und seine Wiederholungen. So wird vorbereitet, daß der Abschnitt schließlich auf dem Ton es schließt.

6. Schluß des ersten raschen Abschnittes (rechtzeitig einblenden vor Schluß 4´07)

(genaue Länge je nach Sendezeit)

Nachdem der Ton es als Schlußton erklungen ist, erscheint er im nächsten Abschnitt in veränderter Funktion: Als Anfangston einer Solopassage des ersten Cellos - einer Melodielinie auf dem harmonischen Grund eines getrillerten Akkordes, den die sechs begleitenden Celli spielen.

7. Trillerfläche Anfang und von es ausgehende Melodie-Linie

4´07 - vor 4´16 (Anfang neuer Triller)

(evtl. ausblenden erst kurz nach 4´16: Akkordwechsel)

Auch am Schluß des Abschnitts mit den getrillerten Akkorden ist der Ton es zu finden, und zwar in zweierlei Funktion: Als höchster Ton der akkordischen Begleitung und als abschließender höchster Ton des letzten melodischen Einwurfes - einer aufsteigenden Sechston-Figur im Solo-Cello. Harmonie und Melodie beruhigen sich und münden auf demselben Ton - einem hohen ES.

8. Schluß Trillerfläche mit aufsteigendem Sechton-Pizzicato

(rechtzeitig einblenden vor 4´47 Pizzicato, von dort bis Pause vor 4´56)

Es folgt ein Abschnitt, in dem ausschließlich das erste Cello spielt - eine Art Solokadenz. Auch in diesem Kadenzabschnitt spielt der Ton ES eine wichtige Rolle - und zwar in verschiedenen, meist tieferen Oktavlagen. An verschiedenen Stellen erscheint er, gleichsam als Beruhigung der melodischen Bewegung - mit verschiedenen Klangfärbungen, ornamentalen Umspielungen, Tempi und dynamischen Werten - bis zum ruhigen, sehr leisen Ausklang auf einem tiefen ES.

9. Solokadenz, vier letzte Unterabschnitte:

5 Gruppen - 4 sehr tiefe Repetitionen Es

5 Gruppen - 4 tiefe Repetitionen es

5´40 - vor 6´37 (Einsatz rasche Passage)

Das tiefe Es, auf dem sich am Schluß dieses Abschnittes die Tonbewegung beruhigt, erscheint gleich anschießend, zu Beginn des folgenden Abschnittes, wieder in veränderter Funktion: Als Anfangston einer raschen Passage.

10. Ruhiger Schlußton es Solokadenz - mit es beginnende Passage

6´27 d-es ohne Vibrate - 6´37 Anfang Passage - vor 6´43 Cresc.-Abschluß

Der rasche und heftige Schlußabschnitt schließt wiederum auf dem Ton, mit dem er begann: Auf einem tiefen es.

11. Rascher Schlußabschnitt, letzte Phrase (nach Pause)

7´05 - 7´08 (Schluß Ton es, evtl. Pause bis 7´11 Ende des Stückes lassen)

In den Tonreihen-Konstruktionen dieses Stückes spielt der Ton ES eine Rolle, die nicht weniger wichtig ist als die Rolle des Grundtones in der traditionellen durmoll-tonalen Musik. Obwohl Boulez in seinen Melodien und Harmonien alle tonalen Anklänge strikt vermeidet, gibt er nicht allen Tönen in seiner Komposition gleiches Gewicht. Wenn dabei bestimmte Töne in den Vordergrund rücken, so ist dies kein Anklang an Tradiertes, sondern eine Konsequenz der vom Komponisten gewählten Tonstruktur. Besonders in der Komposition MESSAGESQUISSE finden sich sinnfällige Beispiele dafür, daß Boulez hier wichtige Prinzipien seiner Komposition nachvollziehbar, dem Hörer einsichtig machen wollte.

Schon in den ersten Takten des Stückes finden sich sinnfällige Beispiele dafür, daß Boulez hier großen Wert auf plausible, durchhörbare Tonstrukturen gelegt hat. Schon die beiden ersten Töne erscheinen als Keim einer späteren, weiter führenden musikalischen Entwicklung: Ein mittleres ES und ein hohes A.

12. Anfang 2 Töne: es1 - a2

0´´ - vor 14´´ (ausblenden vor Einsatz 3. Ton c1)

Mit diesen beiden Tönen beginnt die Einleitung des Stückes, die aus ingesamt 6 langgezogenen Tönen besteht. Darauf folgt, rascher als zuvor, eine Sechstongruppe, in der die beiden Anfangstöne, es und a, wieder eine wichtige Rolle spielen: Die sechstönige Melodie beginnt auf dem mittleren es und endet auf dem hohen a.

13. Zusammenschnitt (oder evtl. nur Halbtake b)

(a. wie 12. Anfangstöne es1 - a2, 0´´ - vor 8´´ )

b. erste Sechstongruppe mit Pizz-Anfangston es1

48´´ - vor 1´03 (Ausblenden vor Neueinsatz Pizz es1)

Das mittlere es, mit dem das Stück im glasigen Flageolettklang beginnt, kehrt später in veränderter Farbe wieder: Im Pizzicato.

14. Zusammenschnitt

a. Anfangston es1 Flageolett 0´´ - vor 8´´

b. erster Pizzicatoton es1 46´´ - vor 50´´

Der 2. Ton des Stückes, das hohe a, kehrt später in gleicher Farbe wieder - jetzt allerdings stark verkürzt.

15. Zusammenschnitt

a. 2.Ton der Einleitung a2 (lange ausgehalten) , 8´´ - vor 14´´

b. Abschlußton der Solo-Pizz-Melodie a2 (kurz, dann Pause): 59´´ - vor 1´03

Zu Beginn des Stückes führt die Tonbewegung direkt von ES nach A, vom ersten zum zweiten Buchstaben des Namens SACHER. Später erfolgt dieselbe Bewegung auf Umwegen, zickzackförmig aufsteigend in einer Gruppe aus 6 Tönen.

16. Zusammenschnitt

a. 2 Anfangstöne 0´´ - vor 14´´

b. 1. 6tonmelodie 46´´ - vor 1´03

Die Musik beginnt damit, daß einzelne Töne aufeinanderfolgen. Die Beziehungen zwischen diesen Tönen werden später bedeutsam auch für größere formale Zusammenhänge. Die ersten beiden Tonbuchstaben beispielsweise, das ES und das A, entdeckt man nicht nur im Detailvergleich einzelner Töne, sondern auch im Vergleich größerer Formabschnitte.

17. Zusammenschnitt

a. Anfangstöne Einleitung ES-A (es1 - a2) 0´´ - vor 14´´

b. Anfangstöne 1. und 2. Teil

b1. 1. Pizzicatogruppe 48´´ - vor 1´03 - b2. 1. schnelle Gruppe 2´06 - vor 2´09

Der erste, die Einleitung eröffnende Ton wird später zum Anfangston eines größeren Formteils, der mit melodischen Gruppen beginnt; der zweite Ton wird später zum Anfangston eines zweiten Formteiles, der von raschen Passagen beherrscht wird. Die Tonreihe, von der das Stück ausgeht, erweist sich als Keimzelle größerer musikalischer Zusammenhänge.

Man erkennt, daß der erste Ton ES später in größere formale Dimensionen hineinwächst: Schattenhaft leise, im Tremolo, kehrt er wieder, setzt sich nach und nach in allen Instrumenten durch und verschwindet wieder im leisen Tremolo.

Wenn man genau auf die Anfangstöne achtet, versteht man besser, wie es später weitergeht. Dies zeigt sich auch dann, wenn man noch einen Schritt weiter geht und auf die ersten drei Töne des Stückes achtet. Anfangs werden sie einfach nebeneinander gestellt; später werden sie eingebettet in einen melodischen Zusammenhang.

18. Zusammenschnitt

a. es1 - a2 - c1 Anfangstöne

b. 2. Sechstongruppe ES... A C

Auch in diesem Abschnitt konzentriert sich, wie unmittelbar zuvor, der Solocellist auf die Melodie, das begleitende Cello-Ensemble hingegen auf die Harmonie - auf einen Akkord, dessen Töne schattenhaft leise im Tremolo gespielt werden. Allerdings zeigen sich auch schon hier erste Anzeichen dafür, daß der anfangs sehr starke Zusammenhang der harmonischen Klangfläche relativ rasch aufgebrochen wird: Einer der Cellisten löst sich aus dem Tremolo und wirft statt dessen kurze Figuren ein, in denen ein einziger Ton wiederholt wird. So kommt es, zunächst in unregelmäßigen und asynchronen Bildungen, zu ersten Andeutungen eines klar konturierten Rhythmus.

19. Wie 18. b. 2. 6tongruppe 1´03 - vor 1´17

oder evtl. 1. und 2. 6tongruppe 48´´ - vor 1´17

Auch im größeren Zusammenhang zeigt sich deutlich, daß Melodie, Harmonie und Rhythmus sich in diesem Formabschnitt in fortwährender Verwandlung befinden: Die Melodie wird mehr und mehr angereichert durch Vorschlagsnoten, und die Palette ihrer Klangfarben wird nach und nach breiter - beginnend mit 5 Pizzicati und einem abschließenden Flageolett; auch später immer wieder mit demselben Pizzicatoton beginnend, dann abermehr und mehr vermischt mit normal gestrichenen Tönen. Die Melodie wird also ton- und farbenreicher. Gleichzeitig lösen sich die Begleitinstrumente Schritt für Schritt aus dem Tremolo-Akkord, und sie gehen über zu rhythmisch konturierten Wiederholungen eines einzigen Tones. Die Entwicklung steigert sich, kozentriert sich auf einem einzigen Ton und verlöscht schließlich.

20. 1. Formprozeß: Wachsen - Abnehmen

48´´ - vor 2´06 Einsatz schnelle Passagen .

Im größeren Formzusammenhang erkennt man, daß die Musik zunächst - in der Einleitung - von einem statischen Klangbild, von einem (weitgehend unverändert bleibenden) Zustand ablenkt.Später, im ersten größeren Formteil, entwickelt sich ein dynamischer Formverlauf, ein Formprozeß: Eine längere Steigerung, die ihren Höhepunkt erreicht und in anschließend wieder abnimmt in einer kurzen Rückentwicklung. Danach folgt ein kontrastierender Teil, der stärker statisch geprägt ist: Rasche Läufe erscheinen in ständig wechselnden Konstellationen der Tongruppen, der Intervalle und der Besetzungen.

Zu Beginn des Stückes werden, im Zusammenspiel von Solist und Begleit-Ensemble, die Töne in prägnanten, deutlich erfaßbaren Gestalten präsentiert. Im vorletzten Abschnitt, der als Solokadenz angelegt ist, kommen viele zuvor gehörte Gestaltungselemente wieder - jetzt allerdings weniger prozeßhaft entwickelt, sondern stärker eingebunden in kontrastierende Abfolgen und statische Formkonstellationen.

21. Solokadenz vollständig 4´56 - vor 4´37

(evtl. kürzer z. B. bis vor 6´07 nach Triller auf tiefem Es)

Die Solokadenz präsentiert sich als Synthese verschiedener Prinzipien der Tonkonstruktion - im Wechsel von Tongruppen und (mehr oder weniger umspielten und variierten) Tonwiederholungen. So ergibt sich insgesamt ein eher statischer Formzusammenhang.

In den meisten Formteilen des Stückes hat Boulez die Töne zu klar erkennbaren Gestalten gruppiert: In melodischen Phrasen, in Akkorden und Rhythmen. An zwei wichtigen Stellen allerdings bricht die Musik aus und sprengt den Bereich des vordergründig Wohlgeformten: Im ausgedehnten Mittelteil und im (wesentlich knapper gehaltenen) Schlußteil des Stückes. Hier verändern sich die Töne in rasender Geschwindigkeit, so daß die etliche melodische Strukturierungen und Gruppierungen beim Hören nicht mehr ohne weiteres identifizierbar sind. Statt dessen werden dichte Massierungen von Tonkaskaden erkennbar, in denen beispielsweise verschiedene, aus der sechstönigen Grundreihe abgeleitete Tonfolgen gleichsam auf- und abgespult werden: In durchlaufenden Passagen des Soloparts; an charakteristischen melodischen Wendepunkten verstärkt durch Einwürfe begleitender Instrumente.

22. Mittelteil, 1. Abschnitt (mit blockhafter Begleitung)

2´06 - vor 2´22 (aufhören vor erstem längeren Begleitton;

evtl. länger bis maximal vor 4´07 - Einsatz der Trillerfläche)

Auch im Schlußteil des Stückes dominiert die rasend schnelle melodische Bewegung. Das Solo-Cello, das unmittelbar zuvor seine Solokadenz gespielt hat, steht auch hier so stark im Vordergrund, daß die begleitenden Instrumente vom melodischen Fluß des Soloparts gleichsam mitgerissen werden.

Der gesamt Abschnitt ist einstimmig komponiert, wobei die Solopartie bald von einzelnen, bald von mehreren, bald von allen Begleitinstrumenten unisono mirgespielt wird - mit ständig wechselnden, anwachsenden oder abnehmenden Veränderungen der Klangdichte.

23. Schlußabschnitt: Schnelles Unisono

6´37 - 7´08 (mit Schlußpause 7´11)

MESSAGESQUISSE ist ein Modell ambivalent komponierter Musik: Alles ergibt sich als Konsequenz aus den ersten sechs Tönen des Stückes. Dies erklärt, daß an so vielen Stellen des Stückes sechstönige Melodiegestalten zu hören sind. Die aus den 6 Tönen abgeleiteten Strukturen sind am deutlichsten in der Solopartie zu erkennen. In den begleitenden Instrumenten werden sie meistens nur knPp, schwer identifizierbar oder in sparsamen Akzentuierungen angedeutet.

Andere Konstellationen entstehen, wenn das gesamte Begleitensemble hineingezogen wird in das virtuose Passagenwrk des Solisten. Dann wird die strukturelle Herkunft der Klänge für den Hörer weitgehend sekundär. Der Höreindruck wird bestimmt von der polaren Spannung zwischen dem klar Identifizierbaren einerseits und rätselhafter, unentwirrbarer Komplexität andererseits. Dieses Spannungsverhältnis ist charakteristisch für das Gesamtwerk von Pierre Boulez, aber es tritt wohl nirgends deutlicher zu Tage als in seiner Modellkomposition MESSAGESQUISSE.

Boulez selbst hat im Vorwort der Partitur betont, daß die Rätsel der Konstruktion und die Schwierigkeiten des Hörens, Analysierens und Denkens eng miteinander zusammenhängen. Seine poetische Beschreibung des Stückes und seiner möglichen Bedeutungen führt an die Grenze dessen, was sich in der Musik sprachlich erklären läßt. Boulez findet Worte, die auf das Rätsel der Musik selbst zurückführen, ohne es vordergründig wegerklären zu wollen. Seine Beschreibung benennt die Paradoxie der scheinbaren Rationalität des gleichwohl lückenlos nicht erklärbaren komplexen musikalischen Zellstrukturen mit den Worten:

Eine Zahl - symbolisch (reduziert)

Töne - symbolisch (multipliziert)

Rhythmen - symbolisch (zerbrochen)

genug, um daraus eine gewisse Anzahl von Botschaften zu machen,

vielfache, verschiedenartige,

genug, um darüber einige Gefühle gehen zu lassen, nicht symbolische

24. Messagesquisse vollständig 7´11

Anschließend beginnt ein neuer Abschnitt, in dem derselbe Ton wieder deutlich
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