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7.16.1.2 DS2.DOC

Rudolf Frisius

IM ZENTRUM DER AKTUALITÄT

Die Donaueschinger Musiktage

Wer nach Orten fragt, die für die Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts bedeutsam waren und sind, wird rasch auf den Namen Donaueschingen stoßen. Die 1921 unter fürstlicher Protektion begründeten, bis 1926 im Jahresrhythmus fortgeführten Donaueschinger Musiktage beschränkten sich zunächst ausdrücklich auf Kammermusik. Paul Hindemith feierte hier seine ersten spektakulären Erfolge und leistete überdies wichtige Beiträge zu Programmgestaltung und Programmkonzeption des Festivals. Ihm ist es zu danken, daß schon 1924 Uraufführungen von Schönberg und Webern in Donaueschingen zu hören waren. In der Folgezeit suchte Hindemith nach alternativen, den traditionellen Konzertbetrieb aufbrechenden Formen der Musikvermittlung, was allerdings in den wenigen verbleibenden Jahren dort nur teilweise zu überzeugenden Lösungen führen konnte. - Erst 1950 gelang in Donaueschingen wieder ein Neuanfang, der dem Vergleich mit der Blütezeit der zwanziger Jahre standhielt und überdies für einen wesentlich längeren Entwicklungszeitraum den Weg zu eröffnen vermochte. Von entscheidender Bedeutung war hierbei, daß die Donaueschinger Veranstalter die Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk suchten. Heinrich Strobel, der damalige Musik-Abteilungsleiter des Südwestfunks, sorgte von Anfang an dafür, daß das SWF-Sinfonieorchester mit seinem Chefdirigenten Hans Rosbaud einbezogen wurde. So kam es dazu, daß seit den fünfziger Jahren in Donaueschingen nicht nur Werke der klassischen Moderne in mustergültigen Aufführungen zu hören waren, sondern auch wichtige Ur- und Erstaufführungen profilierter in- und ausländischer Komponisten verschiedener Generationen: Experimentelle, sich zwölftönigen Reihenstrukturen nähernde Musik des späten Strawinsky; skandalumwitterte Premieren jüngere, sich für serielle Konstruktionen interessierender Komponisten wie Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen in den frühen fünfziger Jahren; "postserielle", sich auf Geräusche, Tontrauben oder mikropolyphone Verschlingungen konzentrierende Klangstudien von Krzysztof Penderecki oder György Ligeti in den sechziger Jahren; Orchestermusik der schroffen Verweigerung oder der überbordenden Expression eines Helmut Lachenmann oder eines Wolfgang Rihm aus späterer Zeit. Viele renommierte Komponisten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in Donaueschingen auch mehrfach zu hören geweesen, so daß ihre kompositorische Entwicklukng dort in verschiedenen Stationen dokumentiert werden konnte; dabei konnten sich durchaus neuartige Aspekte ergeben - etwa seit den achtziger Jahren in Spätwerken Luigi Nonos, die sich im Instrumentalen und in der mikroskopisch feinen live-elektronischen Verarbeitung auf das Innenleben der Klänge konzentrieren, oder im live-elektronischen work in progress "Répons" von Pierre Boulez, das (ähnlich ambitioniert wie die 1958 uraufgeführte, später zurückgezogene vokal-instrumental-elektronische Komposition "Poésie pour pouvoir") nach Möglichkeiten der Verbindung vokaler und technisch produzierter Klänge sucht.

Bestimmte besonders exponierte Bereiche der experimentellen Musik sind in Donaueschingen bisher eher ausnahmsweise und als Sonderfälle präsentiert worden: 1953 die technisch produzierte "musique concrète" von Pierre Schaeffer und Pierre Henry; im folgenden Jahr die instrumentale und elektroakustische Musik von John Cage und seiner Schule. Auch grenzüberschreitende ästhetische Positionen blieben in Donaueschingen bisher weitgehend auf einzelne, allerdings prominent vertretene Teilbereiche beschränkt, zum Beispiel auf das Musik und Literatur integrierende Neue Hörspiel (mit Preisträgern des international renommierten Karl-Szuka-Preises) und auf radiophone, filmische und multimediale Aspekte etwa bei Mauricio Kagel, Dieter Schnebel und Anton Riedl. Die Programmkonzeptionen, die seit 1970 (nach dem Tode Heinrich Strobels) maßgeblich von Josef Häusler geprägt waren, wurden in den neunziger Jahren unter der Verantwortung seines Nachfolgers Armin Köhler weiter entwickelt und ergänzt um neue Akzentuierungen, in denen Alternativen zur traditionellen Konzertaufführung an Bedeutung gewannen - z. B. in Präsentationen mechanischer Musikinstrumente (in Anknüpfung frühe Donaueschinger Ansätze) und in Klanginstallationen. Die Vielfalt des Gleichzeitigen verbindet sich in neueren Donaueschinger Programmen mit Ansätzen thematischer Strukturierung - z. B. auf der Suche nach sprachähnlichen Gestaltungselementen und Gestaltungsprinzipien der Musik (Musik als Sprache / Sprache als Musik / Musik und Sprache...) oder, zu anderer Zeit und in veränderter Sichtweise, nach der "Poesie der Abstraktion", nach Musik jenseits der Sprache. Das Konzept bleibt offen - aufgeschlossen für das Unerwartete, Neue.
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