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7.30.1 KAEPSW2.DOC


Rudolf Frisius

AMBIVALENZEN DES AKKORDEONS - AMBIVALENZEN DER NEUEN MUSIK

Mauricio Kagels Komposition:

EPISODEN, FIGUREN - Solo für Akkordeon (1993)

(Neue Musik kommentiert, Südwestfunk)

Z: Figuren, Episoden Anfang 0 - 3´15: Figuren, Tremolandi

(aufhören vor polyphon geschichteten Tremolandi mit Melodie ev. kürzer,

z. B. aufhören vor 1´27 aufsteigende Melodie über Halteton und Terzen tief)

"Gleichgültig ob man es liebt oder ablehnt: die Mischung aus Bauchorgel, Schoßharmonium und Knieharmonika bleibt einzigartig... Man schmunzelt, wenn man über das Akkordeon nachdenkt... Es ist, als ob alle Stücke, die darauf gespielt werden, ihre Wurzeln entweder in der Volks- oder in der Unterhaltungsmusik hätten. Diese vorprogrammierte Mißdeutung ist mir nicht unlieb: eine neue NeueMusik bräuchte viele solcher Klangerzeuger."

Diese Sätze handeln nicht nur vom Akkordeon, sondern auch von der Neuen Musik - und nicht zuletzt von der Konzeption dessen, der sie formulierte: Mauricio Kagel, einer der wichtigsten Komponisten in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat hier, in einer Programmnotiz zu einer eigenen Komposition für Akkordeon solo, deutlich gemacht, was ihn nicht nur am Akkordeon, sondern auch in der Neuen Musik interessiert. Er beschreibt dies am Beispiel seiner Komposition "EPISODEN, FIGUREN - Solo für Akkordeon". Dieses Werk hat Kagel am 17. Oktober 1993 vollendet, und zur Aufführung kam es am 22. April 1994 auf den Wittener Tagen für Neue Kammermusik, gespielt von Teodoro Anzelotti. Wer diese Musik hört, entdeckt typische Besonderheiten, wie sie für Kagels Musik, vor allem für seine seit den frühen siebziger Jahren entstandenen Werke, typisch sind: Das Spiel mit Illusionen und Ambivalenzen - Klangfarben im Niemandsland zwischen Orgel, Harmonium und Harmonika - Musik im Niemandsland zwischen den Zonen der Volks- und Unterhaltungsmusik und den Zonen der "alten" und "neuen" Neuen Musik (die er offensichtlich vor allem deswegen unterscheidet, um seine besondere Stellung im Bereich der "neuen" Neuen Musik zu charakterisieren).

Z: Pseudofolkloristische Figuren 7´11 - 7´56 (Akkord ffff)

Mauricio Kagel schreibt Musik zwischen den Fronten des (scheinbar oder tatsächlich) Alten und Neuen, und er interessiert sich deswegen intensiv für ein Instrument zwischen den Fronten des Populären und des künstlerisch (inzwischen weitgehend sogar auch avantgardistisch) Etablierten.

Kagel erzählt in seiner Programmnotiz eine "knappe Pointe aus Italien", die, ursprünglich auf den ambivalenten Charakter des Akkordeons gemünzt, auch als hintersinnige Selbstcharakteristik von Kagels Schreibweise, insbesondere seiner Schreibweise für das Akkordeon gelesen werden kann:

"Was ist wohl das älteste Instrument der Welt? Das Akkordeon. Keines hat so viele Falten."

Teodoro Anzellotti, der Kagels (am 17. Oktober 1993 vollendetes) Akkordeon-Solo-Stück "Episoden, Figuren" am 22. April 1994 auf den Wittener Tagen für Neue Kammermusik zur Uraufführung gebracht hat, hat in einem Interview deutlich gemacht, daß diese Pointe auch jenseits aller Ironie Licht auf Kagels Konzeption des Stückes werfen kann. Er sagt dort:

"Es entstand nämlich mit der Imagination, als bestünde schon eine über 200jährige seriöse Akkordeon-Tradition und -Literatur..."

Kagel selbst konkretisiert dies, indem er satirisch die "Pointe aus Italien" weiterdenkt und sich die Existenz des Akkordeons "schon seit der Prähistorie musikalischer Betätigung" vorstellt. In dieser Perspektive erscheint es nachgerade bescheiden, wenn Kagel aus der Pseudo-Anciennität des Instrumentes eine zentrale Gestaltungsidee des Stückes ableitet, die nur um einige Jahrhunderte hinter die realen Anfänge des Akkordeons zurückführt. Aus dem fiktiven Alter des Akkordeons leitet Kagel einen Werkkommentar im Sinne musikologischer science fiction ab, wenn er schreibt:

"Von solch antikem Charme verzaubert, lag es nahe, mich mit der Rhetorik des musikalischen Figurendenkens zu beschäftigen. Ich habe mich also bemüht, mit konkreten Klanggestalten zu komponieren und sie in Episoden verschiedener Dauer einzuweben."

Erst im Schlußsatz dieses Zitats verläßt Kagel die ironische Fiktion in einer Formulierung, die den Versuch nahelegt, als Andeutung einer konkreten kompositionstechnischen Information interpretiert zu werden. Anschließend wird er noch konkreter, wenn er fortfährt:

"Weil das Akkordeon ein Instrument ist, das unterschiedliche Klangwirkungen mit dem linken oder rechten Knopfmanual erlaubt, wandern die Figuren von Seite zu Seite und verändern sich so entsprechend dem Register und der Tessitura."

Z: Fortsetzung der pseudopopulären Figuren 7´56 bis nach 8´59 (ausblend. auf überm. Dreiklang)

(Weiterführung der vorigen Zuspielung mit Registerwechsel)

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(In einer Ausführungsanweisung stellt Kagel dem Interpreten eine Interpretationsweise anheim, die schon in seiner Komposition PANDORASBOX eine wichtige Rolle gespielt hat: Der Solist artikuliert sich nicht nur instrumental, sondern auch vokal. In EPISODEN, FIGUREN ist dies aber nicht obligatorisch. Kagel notiert:

"Gelegentliches Mitsummen während des Spiels ist nicht unerwünscht."

Teodoro Anzellotti hat von dieser Empfehlung keinen Gebrauch gemacht. Er hat sie mit der Entstehungsgeschichte des Stückes erklärt - weil Kagel Anzellotti ursprünglich kein eigenständiges Akkordeonstück, sondern eine Umarbeitung seines älteren Bandoneonstückes PANDORASBOX für Akkordeon geben wollte. Anzelotti sagt:

"Das Mitsummen ist noch ein Relikt aus der anfänglichen Beschäftigung mit PANDORASBOX... Beim Mitsummen in EPISODEN, FIGUREN kann allerdings die Gefahr bestehen, daß man es der Konzentration beraubt, deshalb Misummen nur gelegentlich und nicht unbedingt."

Für den Schluß des Stückes gibt Kagel eine musikszenische Anweisung - eine Anweisung für die szenische Begleitung des letzten Abschnittes: für Musik mit einem sehr hohen, leise ausgehaltenen Akkord und für diesen begleitenden, Schritt für Schritt von hoher in tiefe Lage absteigenden Figuren. Kagels Vorschriften lauten:

"Bis zum Ende des Stückes auswendig spielen! - Zuhörer mit weit geöffneten Augen bis zum Ende des Stücks anschauen - anschauen - allmählich lächeln - (lächelnd anschauend) - lächelnd erstarren."

Anzellotti erklärt diese Anweisung aus einem kontrapunktischen Spannungsverhältnis zwischen Klang und szenischer Aktion. Er erläutert, daß Kagel "mit dem Erreichen und Aushalten des hohen Akkords einen musikalisch quasi bedrohlich diabolischen Zustand" artikulieren wollte, während nach Anzelottis Deutung "das Lächeln zum Publikum... konträr zum Zustand der Musik steht und den Spieß umzudrehen versucht." Auffällig ist immerhin, daß Kagel, ein an musikszenischen Aktionen und am instrumentalen Theater intensiv interessierter Komponist, nur am Schluß dieses Stückes eine szenische Anweisung gibt, die die Schlußwirkung der Musik selbst in witzig-effektvoller Weise verstärkt.

Teodoro Anzellotti hat berichtet, daß EPISODEN, FIGUREN in enger Zusammenarbeit zwischen Komponist und Interpret entstanden und in diesem Entstehungsprozeß auch vielfältig verändert worden ist; wir wissen von Anzellotti, daß einige ad-libitum-Vorschriften Kagels im Zusammenhang mit nachträglichen Veränderungen stehen. So erklärt es sich, daß Anzellotti sich zu den ad-libitum-Vorschriften unterschiedlich verhalten hat und daß überdies die Aufnahme der von ihm gespielten Uraufführung, die auf CD veröffentlicht ist, sich in einigen von ihm erwähnten Aspekten vom definitiven Notentext unterscheidet - z. B. mit anderen Oktavlagen oder der Auslassung von Wiederholungen (während Anzellotti von anderen faktultativen Kürzungsmöglichkeiten, etwa der von Kagel erlaubten Weglassung einer Überleitung, keinen Gebrauch macht). Interessant ist auch Anzellottis Information, daß die komplexe Vielschichtigkeit mancher Passagen sich erst als Resultat einer späteren Überarbeitung ergeben hat:

"Aus einem zweistimmigen Satz wurde ein drei- oder gar vierstimmiger Satz..."

Was Anzellotti berichtet, eröffnet weitere Perspektiven der Ambivalenz des Stückes: Mehrdeutig ist nicht nur sein instrumentales und tonstrukturelles Erscheinungsbild, sondern - in verschiedenen Details - auch seine satztechnische und formale Erscheinung.)

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Zu Beginn des Stückes hört man zwei leicht bewegte melodische Figuren auf dem harmonischen Grund eines weichen Akkordes. Beide melodische Figuren beginnen gleichzeitig - die höhere etwas rascher als die tiefere. Beide Figuren münden im Crescendo auf langen Tönen, die gleichsam eintauchen in die begleitende Harmonie und danach mit dieser ausklingen.

Z: 1. Figur: 0´´ bis vor 9´´(aufhören vor Einsatz der 2. Figur) 1. Frage pp-cresc-mp-dim-ppp

Der 2. Abschnitt des Stückes ist eine Abwandlung des ersten: Wieder überlagern sich 2 Figuren und ein Akkord: Lauter und höher einsetzend als zuvor und danach ausklingend; insgesamt etwas kürzer als zuvor.

Z: 2. Figur: 9´´ bis vor 15´´ (aufhören vor Einsatz der 3. Figur) 1. Antwort: mf-dim

Der 2. Abschnitt klingt wie eine Reaktion auf den ersten - wie die Antwort auf eine zuvor gestellte Frage.

Z: 1. und 2. Figur: 0´´ bis vor 15´´ (aufhören vor Einsatz der 3. Figur) Frage-Antwort (1) mp-mf

Die eingangs eingeführte Figur verwandelt sich auch im weiteren Verlauf. Auch beim 3. Abschnitt wird sie nochmals verkürzt. Dabei kommt es zu einem Rollentausch zwischen Oberstimme und Unterstimme, da jetzt die rascheren Bewegungen in der tieferen Lage zu hören sind.

Z: 3. Figur: 15´´ bis vor 19´´ (aufhören vor der 4., stärker akkordischen Figur) 2. Frage pp-cresc

(evtl.) (ausblenden auf cresc.)

Im Spiel der Figuren setzt sich auch der Wechsel von Frage und Antwort fort - allerdings in veränderter Weise: Die 4. Figur beginnt wieder lauter als dritte, wie die bekräftigende Antwort auf eine neue, wieder leise gestellte Frage; andererseits bringt sie auch neue Charakterzüge ins Spiel: Man hört wechselnde Akkorde anstatt melodischer Bewegung und anschließend deren echoartige Weiterführung.

Z: 3. und 4. Figur: 15´´ bis vor 36´´ (ausblenden auf d2, vor Einsatz der Rückl. zur Hauptfigur)

Frage - Antwort (2, mit erweit. Antwort): pp cresc - mf dim, mit Echo pp

Die Forsetzung des Frage-und-Antwort-Spiels erscheint mit wechselnden Akkorden - als harmonische Belebung des Anfangs mit seinen ruhenden Akkordflächen. Die harmonische Belebung bereitet den Weg zur melodischen Belebung, die in den folgenden Abschnitten zu hören ist - vor allem in der Unterstimme.

Z: Rückführung zur Hauptfigur - Wiederkehr derFiguren (ergänzt mit Baßmelodie)

36´´ bis vor 1´27 (bis Ausklingen - aufhören vor Einsatz der aufsteigenden Mel. ü. tiefen Pendeltönen) (evtl. nur bis vor 1´15 - Pause vor der abschließenden Beruhigung)

Die Figuren, mit denen das Stück begann, kehren später wieder - mit veränderter Begleitung und in anderen Lagen; abgewandelt und durch Kontrastierendes ergänzt, schließlich sich beruhigend.

Z: Beruhigung am Abschluß der 1. Periode 1´15 (nach Pause, mf cresc.) bis vor 1´27 (Mel. aufw.)

Die erste Episode des Stückes ist geprägt vom Wechsel der Figuren in verschiedenen Lagen, Bewegungen und Färbungen. Ganz anders gestaltet ist die zweite, insgesamt etwas kürzere Episode. Anfangs hört man Dynamisches und Statisches gleichzeitig: Dynamisches, einen gerichteten Prozess, in einer ruhig und weiträumig aufsteigenden Melodie - Statisches, Zustandhaftes in der Begleitung mit sehr tiefen Tönen, mit einem Halteton und mit darunter gesetzten, hin- und herpendelnden Terzen.

Z: Anfang der 2. Episode: Aufsteigende Melodie - Halteton, Pendelterzen 1´27 - vor 1´46 (Pause)

Auch in der 2. Episode findet sich ein Austausch der Lagen. Die Melodie, die anfangs von hoher in sehr hohe Lage aufgestiegen war, springt später in die Baßlage. Genau umgekehrt verfährt Kagel mit der Begleitung: Halteton und pendelnde Terzen erscheinen anfangs in sehr tiefer Lage und wechseln später über in hohe Lage.

ev. Z: Zusammenschnitt (kurz) Pendelterzen tief (1´27) - hoch (1´52 bis Pause und F, vor 2´06)

Während in der 1. Episode mit ihren ausgehaltenen Tönen und Akkorden der melodische und rhythmische Ablauf insgesamt ziemlich ruhig erschien, verstärkt sich in der 2. Episode der rhythmische Fluß - vor allem durch die hin- und herpendelnden Terzen. Noch stärker belebt erscheinen die Tonbewegungen in der 3. Episode.

Z: (Anfang der) 3. Episode: Rasche Tremolandi 2´21 (a2) bis vor 3´ (Einsatz Tremo. m. Baßfig.)

(evtl. bis vor 3´15: Tremolandi mit absteigenden Baßfiguren bis vor Eins. pol. Trem. m. Mel.)

Die 3. Episode mit ihren raschen Tremoli und Trillern ist viel länger als die beiden ersten. Auch in dieser Episode erscheinen Figuren in wechselnden Lagen, sich überlagernd und überkreuzend - in raschen, mehrmals polyphon verdichteten Tonbewegungen. Auf dem Höhepunkt schlägt die Entwicklung um: Polyphones wird synchron - die Pendelbewegungen münden in wuchtig hin und her pendelnden Akkorden - die markante Verlangsamung bereitet zugleich den Weg zur dynamischen und rhythmischen Beruhigung.

Z: 3. Episode: Polyphonie (Schluß) - Synchronität - Wuchtige Akkorde - Beruhigung

4´13 (2. Einsatz 2 Tremoloschichten, dazu Mel. Mittellage) bis vor 4´57 (Beruh. Ende: a2)

oder evtl. bis vor 5´31 (Beruh. mit Baßpendeltönen, aufhören vor mel. Pendelbew. abw.)

Die weit ausgedehnte, sich in verschiedene längere Abschnitte gliedernde 3. Episode schließt mit einer Beruhigung in tiefer Lage. Damit wird ein Formprozeß vorbereitet, der auch die folgende, relativ kurze 4. Episode prägt: Beruhigung - Abstieg.

Z: 4. Episode: Beruhigung - ruhiger Abstieg: 5´31 (Pendeln mel. abst:) bis nach 6´35 (d ausbl.)

(Am Anfang dieser 4. Episode findet sich ein besonders prägnantes Beispiel für Kagels Konstruktionstechnik: Man hört nacheinander verschiedene Tongruppen, die jeweils mit langen Tönen enden - mit stets wechselnden Tonzahlen, und zwar in folgender Abfolge: 4-2-3-5-1. Es erscheint eine serielle Zahlenfolge - alle Zahlen zwischen 1 und 5 in charakteristischer Abfolge, jede genau einmal.

Z: Beruhigung Anfang: 1. serielle Tongruppe: 5´31 (g2) bis nach 5´43 (c)2 (5´44 Anf. neue Gru.):

4-2-3-5-1 (evtl. mitzählen)

Unverkennbar seriell geprägt ist auch eine Passage, die nach dem Abschluß dieser 4. Episode erscheint: Wieder sind Pendeltöne zu hören - nicht nur in wechselnden Lautstärken und Klangfärbungen, sondern auch in Abschnitten mit seriell wechselnden Längen; nach der Zahlenfolge 6-5-4-7, d. h. zunächst sich verkürzend und dann wieder länger werdend.

Z: Pendeltöne e2-d2 in seriell dosierten Abschnittsdauern: 6´50 bis vor 7´10 (Einzelakkord)

6-5-4-7 (evtl. mitzählen))

Der Beruhigung, mit der die 4. Episode abschließt, folgt der Kontrast. In der 5. Episode, die anschließend - nach einigen remiszenzartigen Pendeltönen - einsetzt - ist imaginäre Akkordeon-Folklore zu hören.

Z: (Pendeltöne 6´50) Quasi-Folklore ab 7´11 (kurzer Anfang bis Pause, z. B. aufhören vor 7´20 oder eher - oder evtl. später: 7´28 Einsatz tieferer Oberstimmenlage)

Auch in der 5. Episode verändern sich die Figuren, werden Ober- und Unterstimmen vertauscht, bis sich schließlich die Bewegung dynamisch und rhythmisch beruhigt - sich verlangsamend und auf einem Akkord innehaltend.

Z: 5. Episode Schluß Akkordeon-Pseudofolklore: Einblenden vor 8´41 (ruh. sich ausbr. Akkorde):

Schluß Figuren - Beruhigung bis nach 8´59 (ausblenden auf dem tiefen übermäß. Dreiklang) -

oder evtl. nur kurze, vor den sich ausbreitenden Akkorden 8´41 endende Beruhigung)

Ein Wendpunkt in der Formentwicklung wird dadurch markiert, daß leise, langsame Akkorde einsetzen: Beginnend in der Mittellage - von dort auseinanderstrebend bis zu sehr hohen über sehr tiefen Tönen. So ist der Beginn einer 6. Episode markiert, die im Zeichen von ausgehaltenen oder wechselnden Akkorden steht.

Z: (Überleitung zur 6. Episode: auseinanderstrebende Akkorde 8´41) - 6. Episode m. Akk.

(ausblenden nach 8´59 tiefer überm.Dreiklang oder vor 10´34 auf d2, pp-Beruh. nach ff-Akkord)

(Der harmonisch kompakten 6. Episode folgt eine Erinnerung an früher gehörte Spielfiguren: In der 7. Episode stehen hin- und herpendelnde Tonbewegungen im Vordergrund: Ruhig beginnend - später in rascheren Umspielungen: zunächst mit leicht tänzerischen Staccati, später mit umspielenden Ornamenten. Die Entwicklung steigert sich bis zum anschwellenden Akkord.

Z: 7. Episode Pendelquarten 10´34 (ruhig) - ab 10´49 mit Staccati - bis vor 11´ cresc. ff

oder bis vor 11´11 cresc. vor fff (aufhören vor Einsatz der sehr lauten Akkorde)

Im Wechsel von Harmonie und Melodie, von Akkorden und Figuren endet das Stück. Die 8. Episode beginnt mit massiv gesetzten Akkordfolgen in charakteristisch abgewandelten rhythmischen Mustern.

Z: Akkordischer Höhepunkt 7. Episode Anfang 11´11 bis vor 11´22 (ausbl. nach Eins. lang. Akk.)

Nach dem Höhepunkt der massiv gesetzten Akkorde beruhigt sich die Entwicklung im Diminuendo und Ritardando. Man hört aufsteigende Akkorde - kurz, durch Pausen getrennt, in mehrfach wiederholter Abfolge. Die letzte Akkordfolge führt bis in die höchste Lage - zu einem geheimnisvoll leisen, lange ausgehaltenen Akkord, dem sich Figuren überlagern, die Schritt für Schritt von sehr hoher in sehr tiefe Lage führen. Kagel schreibt für die Konzertwiedergabe dieser Stelle vor, daß der Spieler auswendig spielen und die Zuhörer mit weit aufgerissenen Augen anstarren soll. Sobald er die tiefsten Töne erreicht hat, setzt der hohe Akkord aus, und die Mine des Spielers soll sich verändern, bis er schließlich die Hörer anlächelt. Nach dem letzten tiefen Ton gibt es eine Pause, in der das Lächeln des Solisten erstarrt.

Z: Schluß ab höchstem Akkord mit Figuren (11´35) bis Schluß (letzter Ton 12´38 - dann Pause)

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Die stilistisch-kompositionstechnische Ambivalenz in Kagels Akkordeonstück ergibt sich - wie auch in vielen anderen seiner Stücke, vor allem in den meisten seit den siebziger Jahren entstandenen Kompositionen - vor allem aus dem Spannungsverhältnis zwischen (quasi-)tonalen und (quasi-)

seriellen Tonstrukturen: Man hört Bekanntes in unbekannten Konstellationen. Die Figuren, von denem Kagel in seinem Werkkommentar spricht, bewegen sich im Niemandsland zwischen melodischen Floskeln, etüdenartigen Spielfiguren und Begleitfloskeln. Sie erscheinen bald in wörtlichen Wiederholungen, bald in wechselnden Rhythmen, Tonlagen, Intervallen oder Klangfarben. Auf Assoziationen mit der traditionellen, an der Rhetorik orientierten musikalischen Figurenlehre würde der Hörer oder der Analysierende wahrscheinlich ohne Kagels ausdrücklichen Hinweis nicht ohne weiteres kommen. Seine hintergründig-ironischen Anspielungen auf den Stellenwert des verwendeten Instrumentes im heutigen Musikleben artikulieren sich in scheinbar provozierenden Widersprüchen zu den vertrackten seriellen Strukturen. Bekanntes un Unbekanntes, spontan Assoziiertes und intrikat Konstruiertes verbinden sich im provozierend Neuen.
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