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MGG/Artikel Improvisation
20. Jahrhundert
INHALT:
Seite
I. Komposition und Improvisation -
Veränderungen der Musiksprache im Zeitalter der
technischen (Re-)Produzierbarkeit 1
II. Zur Terminologie 4
III. Zur geschichtlichen Entwicklung 9 **********************
I. Komposition und Improvisation -
Veränderungen der Musiksprache im Zeitalter der
technischen (Re-)Produzierbarkeit a) Praxis und Theorie der Improvisation, ihre begriffliche Bestimmung und ihre Bedeutung im Musikleben (einschließlich ihrer musikwissenschaftlichen Beschreibung und ihrer musikpädagogischen Vermittlung) haben sich im 20. Jahrhundert entwickelt unter dem Einfluß übergeordneter Veränderungen der abendländischen Musiksprache und des weltweiten Musiklebens:
1) Die Auflösung der Dur-Moll-Tonalität tangierte die Improvisation vor allem in ihrem Verhältnis zur Komposition.
2) Die Veränderungen der Musikpraxis unter dem Einfluß technischer Medien veränderten Bedingungen und Möglichkeiten der Improvisation für ausübende Musiker und Hörer. Im Zusammenwirken beider Faktoren wurde deutlich, daß Improvisation in größeren Zusammenhängen, losgelöst von speziellen Voraussetzungen der abendländischen Musiktradition, untersucht werden mußte.
b) Unter dem letzteren Aspekt wird die Grundbedingung der Improvisation - die Unvorhersehbarkeit bzw. Unvoraussagbarkeit nicht nur für die Hörer, sondern auch für den Musiker - zumindest insofern prinzipiell im Frage gestellt, als grundsätzlich jede Musikdarbietung technisch konserviert und reproduziert werden und bei wiederholter Wiedergabe den Charakter der Unvoraussagbarkeit verlieren kann.
Der Begriff Improvisation muß deswegen im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit genauer definiert werden: Als Handlung (oder Ergebnis einer Handlung), die im Moment ihres Vollzugs (bzw. der Wahrnehmung ihres Ergebnisses) unvorhersehbar bzw. unerwartet oder unvoraussagbar erscheint.
Dabei ist die Unterscheidung zwischen Erwartbarkeit , Voraussagbarkeit einerseits und Unerwartetheit, Unvoraussagbarkeit andererseits in der Regel nicht allgemein, sondern nur bezogen auf einzelne Aspekte möglich, so daß unter verschiedenen Aspekten dieselbe Handlung sowohl voraussagbar als auch unvorhersehbar genannt werden kann. Für den Begriff der musikalischen Improvisation bedeutet dies insbesondere, daß Improvisation und Komposition sich nicht gegenseitig ausschließen müssen, so daß dieselbe Aufführung oder dasselbe Klangergebnis sowohl unter improvisatorischen als auch unter kompositorischen Aspekten beschrieben werden können. (d.h. unter Aspekten einerseits der spontanen Musikerfindung während der Aufführung, andererseits der Befolgung von bereits vor der Aufführung fixierten musiksprachlichen Konventionen, organisatorischen Dispositionen, Regeln oder Absprachen). Die genaue Unterscheidung zwischen diesen Aspekten ist selbst bei technisch reproduzierbaren Improvisationen nicht in jedem Falle möglich, da sie außer der Kenntnis des Klangergebnisses auch eine detaillierte Kenntnis der Aufführungsbedingungen (incl. ggf. der nachweisbaren musikalischen Vorbereitungen oder Modelle) voraussetzt. Daraus ergibt sich, daß für die spezifischen Anforderungen einer musikalischen Improvisationsanalyse die Beschreibung einer Improvisationsaufnahme nur begrenzten Aussagewert haben kann, wenn sie nicht ergänzt wird durch Informationen der Musiker oder der Interpreten, ggfs. auch ihrer Zuhörer(, die auf die Aktivitäten der Musiker einwirken, unter bestimmten Umständen sich auch daran beteiligen können). Improvisationsanalyse, die nicht vom klanglich-musikal. Entstehungsprozeß ausgeht (als Strukturanalyse), sondern vom klingenden Ergebnis (als Formanalyse) kann sich auf dieser Basis nicht in jedem Falle klar von der Kompositionsanalyse abgrenzen. (Zu fragen ist auch, ob eine streng phänomenologische Analyse, die von musikalischen Entstehungsprozessen absieht, in jedem Falle sich zwischen beiden Möglichkeiten entscheiden muß; ob z.B.: Musik von Giacinto Scelsi (Angermann 1993) unabhängig von der Frage analysiert werden kann, ob es sich hier womöglich um transkribierte Improvisationen handelt.)
c) Tonbandaufnahmen improvisierter Musik machten deren Reproduktion und weltweite Verbreitung im originalen Klangbild möglich - nicht nur in der Vermittlung durch eine abstrahierende, in wesentlichen klanglichen Details notwendigerweise unvollständige Transkription.
So konnte sich etwa im Bereich des Jazz die Wirksamkeit von Aspekten improvisierter Musik verstärken, die sich in traditionellen abendländischer Notenschrift nicht angemessen wiedergeben lassen. Selbst die für diese spezielle Notation konstruktive hierarchische Abstufung verschiedener Elementareigenschaften (Tonhöhe-Zeitwert; in zweiter Linie auch Lautstärke, Artikulation und Klangfarbe) kann für die Untersuchung improvisierter Musik unwesentlich werden, wenn sie im originalen Klangbild zugänglich ist. (Für wichtige Bereiche improvisierter Musik ist eine Transkription in traditioneller europäischer Notenschrift entweder nur von begrenztem Aussagewert oder gänzlich unmöglich).
Über die kommunikativen Aspekte eines Improvisationsprozesses läßt sich unter günstigen Bedingungen dann Genaueres ermitteln, wenn auch z.B. seine visuellen Aspekte beobachtet und ggfs. auf der Basis einer filmischen Dokumentation genauer untersucht werden können (unter Aspekten audiovisueller Improvisationsanalyse).
Transkriptionen, Ton- oder Filmaufzeichnungen und aufführungspraktische Informationen (etwa Interviewäußerungen von Musikern) bieten sich an als Hilfsmittel der Analyse eines klanglichen Ergebnisses bzw. des Prozesses seiner Entstehung (Unter den Aspekten der Formanalyse bzw. der Strukturanalyse). Spezifika der Improvisation erschließen sich dabei am ehesten dann, wenn ihre Profilierung in der Abgrenzung von kompositorischen Aspekten möglich ist.
II. Zur Terminologie
a) IMPROVISATION bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch unvermutetes, unvorbereitetes, im lat. Wortsinne (adj. improvisus, adv. ex improviso) unvorhergesehenes Handeln, genauer: eine Handlung (u. U. auch das Ergebnis einer Handlung), die in wesentlichen Aspekten als unvorhergesehen (evtl. auch unvorhersehbar, lat. improvisibilis) erscheint - und zwar nicht nur für die von der Handlung betroffene(n) Person(en), sondern auch für die handelnde(n) Person(en).
b) Im engeren Wortsinn bezieht sich der Begriff "unvorhergesehen" auf sichtbare und/oder an visuell geprägten Vorerwartungen meßbare Handlungen. Im Zusammenhang der Musik bezieht sich der Aspekt des Unvorhergesehenen, wenn er im engeren Sinne definiert wird, auf das Fehlen einer schriftlichen Vorlage, wie sie in der abendländischen Musiktradition als Substrat der Komposition vorausgesetzt wird. In diesem engeren Sinne ließe sich der Begriff Improvisation nicht beziehen auf weite Bereiche der außereuropäischen Musik, der Popularmusik, des Jazz und der Kunstmusik des 20. Jahrhunderts (insbesondere der Elektroakustischen Musik).
c) Musikalische Improvisation im engeren Sinne unterscheidet sich von in traditioneller Notenschrift fixierter Komposition dadurch, daß mindestens ein in deren Notationssystem primärer Parameter (d. h. Tonordnung oder Zeitordnung, die jeweils von Einzelwerten bzw. ihren Konstellationen ausgehend fixiert sind) nicht exakt vorhersehbar ist. (Die eventuelle Unvorhersehbarkeit sekundärer Merkmale, z. B. in Details der Phrasierung, Artikulation, Tempogestaltung und Klangfärbung, ist in diesem Falle primär nicht der Improvisation, sondern der Interpretation zuzurechnen, die bestimmte Anforderungen der Aufführungspraxis zu erfüllen hat, während von Improvisation nur dann gesprochen werden kann, wenn über diese Anforderungen hinaus Unvorhersehbarkeit gewährleistet ist).
d) Die Begriffe Komposition und Improvisation schließen sich selbst dann nicht in jedem Falle aus, wenn eine Komposition im Sinne eines schriftlich fixierten Notentextes vorliegt: Auch dann, wenn eindeutig bestimmte Tonhöhen in festgelegter Zeitordnung (nacheinander oder gleichzeitig in eindeutig bestimmten Zeitwerten bzw. Zeitverhältnissen), evtl. außerdem auch in sekundären Merkmalen notiert sind, kann die Notation das Hörprotokoll (die Rezeptions-Notation) einer Improvisation sein; andererseits kann auch eine der klanglichen Realisierung vorausgehende Notation (Produktions-Notation), in der melodisch-harmonische und rhythmische Konstellationen, evtl. auch sekundäre Merkmale eindeutig fixiert sind, Möglichkeiten der Improvisation bei der Aufführung zulassen, wenn - in Befolgung aufführungspraktischer Konventionen oder dem Notentext beigefügter Anweisungen - auf verschiedene Weise ausführbare (bei der Aufführung allein auf Grund des Notentextes nicht vorhersehbare) Abweichungen vom Notentext zugelassen sind (z. B. eingefügte Diminutionen oder Kadenzen, mehrfache Wiederholungen mit im Groben vorgegebenen Abwandlungsmöglichkeiten). - Sofern eine Improvisation auf die begrenzten Möglichkeiten eines gegebenen Notationssstems ausgerichtet ist (z. B. im Falle einer tonalen, taktrhythmisch gebundenen Klavier-Improvisation), kann ihre nachträgliche schriftliche Fixierung ohne zusätzliche Informationen nicht in jedem Falle eindeutig von einer Komposition unterschieden werden (zumindest vom externen Leser ihrer Notation oder vom externen Hörer ihrer neuerlichen, gleichsam "rekonstruierten" Aufführung). Andererseits kann der Hörer einer Aufführung ohne Zusatzinformationen nicht immer klar erkennen, in welchen Bereichen die aufgeführte Musik improvisiert ist und in welchen Bereichen ihr Regeln oder Absprachen, mündliche oder schriftliche Fixierungen zu Grunde liegen.
e) Im weiteren Sinne bezieht sich der Begriff Iimprovisation auf die Unerwartetheit oder Unerwartbarkeit von Ereignissen. Im Zusammenhang der musikalischen Iimprovisation kann sich diese auch dann ergeben, wenn eine präzise visuell konstituierte Vorerwartung (durch Lesen einer bereits vor der klanglichen Realisierung existierenden Notation) deswegen nicht möglich ist, weil eine solche Notation nicht existiert oder in wesentlichen Aspekten eine eindeutige Fixierung vermissen läßt. (Die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Aspekten kann je nach dem geschichtlichen und aufführungspraktischen Kontext der jeweiligen Notation unterschiedlich ausfallen. Wenn z. B. Tonhöhen und Zeitwerte als primäre, durch Position im Liniensystem bzw. Form des Notenzeichens fixierte Eigenschaften, Dynamik und Artikulation, evtl. auch Klangfarbe durch fehlende oder nur akzidentelle Bezeichnungen als sekundäre Eigenschaften ausgewiesen sind, fallen unvorhergesehene Varianten oder Konkretisierungen der sekundären Eigenschaften bei der klanglichen Realisation primär in den Bereich der Interpretation; wenn aber in der Notation die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Eigenschaften in anderer Weise vorgenommen oder gänzlich aufgegeben wird, können sich bei der klanglichen Realisierung andere Abgrenzungen zwischen Interpretation und Improvisation ergeben).
f) Unvorhergesehen oder unvorhersehbar kann die klangliche Realisation von Musik dann sein, wenn in ihr die Vorgänge der Erfindung und Ausführung zeitlich zusammenfallen. Von musikalischer Improvisation kann in diesem Zusammenhang dann gesprochen werden, wenn das klangliche Ergebnis in wesentlichen Aspekten unvorhergesehen oder unvorhersehbar (unerwartet oder unerwartbar) sowohl für den Ausführenden als auch für den Hörer ist. Die Aspekte des Unvorhergesehenen (Unerwarteten) oder der Unvorhersehbarkeit (Unerwartbarkeit) einschließlich ihrer Einteilung in wesentliche und unwesentliche Aspekte können im einzelnen unterschiedlich abgegrenzt sein für Ausführende und Hörer, aber auch für verschiedene Ausführende und verschiedene Hörer, sofern sie sich nicht im Vergleich mit einer schriftlichen Vorlage oder mit anderen für die Musiker verbindlichen Regeln oder Absprachen objektivieren lassen. Unter verschiedenen Aspekten kann dieselbe Musikdarbietung oder sogar dieselbe Partitur nach Kriterien sowohl der Komposition als auch der Improvisation beschrieben werden. (In extremen Fällen kann sogar der Begriff "Improvisation" im Werktitel einer Komposition erscheinen, z. B. bei Reger und Boulez; die Partitur der "composed improvisation" von Cage ist die schriftlich fixierte Anweisung an einen Interpreten, in der Prozedur festgelegte, aber im Klangergebnis unvorhersehbare kompositorische Entscheidungen zu treffen.)
g) Unvorhergesehene (unerwartete) oder unvorhersehbare (unerwartbare) Ereignisse können sich im Verlaufe jeder musikalischen live-Darbietung ergeben. In den Bereich der Improvisation fallen sie dann, wenn sie auch in Kenntnis vorgegebener Regeln, Verabredungen oder Notationen in wesentlichen Aspekten nicht voraussehbar (erwartbar) sind, weder von den Ausführenden noch von den Hörern. Die Unvoraussehbarkeit (Unerwartbarkeit) ist an die einmalige Situation des ersten Erklingens gebunden; sie ändert sich für den Hörer schon dann, wenn er eine Improvisation in technischer Aufzeichnung wieder hört (einmal oder mehrmals, wobei sich im ersten Falle zusätzlich das Problem des Vergleiches zwischen dem originalen Höreindruck und seinem "Abbild" in der technischen Konservierung stellt). Technisch konservierte Improvisationen sind vom externen Hörer nicht ohne weiteres als solche zu erkennen, z. B. (ohne zusätzliche Information) von Kompositionen unterscheidbar. Wenn improvisierte Musik auf der Basis einer technischen Aufzeichung nachträglich analysiert wird (wobei auch der Versuch der Transkription oder der apparativen Visualisierung als Basis oder Teilaspekte der Analyse mit einbezogen sein können), stellt sich die Frage, inwieweit die Bedingungen der technisch vermittelten Reproduktion (evtl. auch Notation) noch den kommunikativen Voraussetzungen des Improvisationsprozesses gerecht werden können. Vor allem dann, wenn technisch produzierte Musik technisch verbreitet wird, kann der Hörer nicht ohne weiteres erkennen, ob und ggf. in welchem Ausmaße live-Darbietung und live-Improvisation eine Rolle spielen (sei es bei einer Aufführung - wenn es diese überhaupt gegeben haben sollte -, sei es beim Arbeitsprozeß der klanglichen Realisation im Studio, wo seit den ersten Produktionen der musique concrète improvisatorische Verfahren eine wesentliche Rolle spielen).
h) Vorhersehbarkeit und Unvorhersehbarkeit (Erwartbarkeit und Unerwartbarkeit) können sich in Prozeß und Ergebnis der Improvisation unter verschiedenen Aspekten miteinander verbinden. Ihre Unterscheidung kann sich aus der konkreten Improvisation selbst ergeben (Möglichkeiten und Grenzen der Erwartung künftiger Hörereignisse auf der Basis des zuvor Gehörten), aber auch auf Grund von externem Vorwissen über die betreffende Improvisation (z. B. Kenntnis einer zu Grunde liegenden schriftlichen Vorlage, die improvisatorische Gestaltungsspielräume offenläßt) oder auf Grund der Kenntnis von Regeln, die für die betreffende Improvisation als verbindlich bekannt sind bzw. vorausgesetzt werden - z. B. bezogen auf variierbare, horizontal und/oder vertikal erweiterbare Modelle von Skalen, Tonfolgen, Melodien, Rhythmen, Akkorden, Akkordfolgen oder auch auf musikalische Vorlagen, die vollständig oder partiell übernommen und verarbeitet werden, wobei sie aus der Erinnerung, aus einer Notation oder aus einer - vor und/oder während der Aufführung gehörten - Schallaufzeichnung bekannt sein können; bei musikalischen Klanginstallationen können sich unvorhersehbare Klangereignisse ergeben z. B. in Abhängigkeit von Bewegungen von Klangerzeugern (Windspiele u. ä.) oder von Hörern und/oder Interpreten oder von eingespielten Klangereignissen, die nach Zufallsprinzipien bzw. nach bestimmten Algorithmen verarbeitet werden.
III. Zur geschichtlichen Entwicklung
1. Allgemeines
Der Begriff "(musikalische) Improvisation", die auf ihn beziehbare Musik sowie die ihm entsprechenden Möglichkeiten der Erfindung, der klanglichen Realisation und der Verarbeitung von Musik haben sich im 20. Jahrhundert vor allem insoweit verändert als
1. grundlegende Veränderungen der abendländischen Musiksprache (insbesondere die Infragestellung ihrer durmolltonalen und taktrhythmischen Grundvoraussetzungen) den Stellenwert der Improvisation im Verhältnis zur Komposition (und damit auch zur Notation und zur Interpretation) wesentlich modifizierten und
2. Veränderungen der Rezeptionsbedingungen, der Aufführungspraxis und der Produktionsweise von Musik unter dem Einfluß technischer Medien sich nicht nur in Wechselwirkungen mit Veränderungen der Musiksprache (siehe 1.) auswirkten, sondern auch mit anderen von vergleichbaren Erfahrungsbereichen (vor allem der Sehwahrnehmung unter den Bedingungen der technischen Reproduzierbarkeit bzw. Produzierbarkeit).
2. Kindliche Spontanimprovisation und professionelle Soloimprovisation als Extremfälle Improvisation wird im 20. Jahrhundert untersucht einerseits unter dem Aspekt des Verfalls der professionellen, mit der Komposition gleichrangigen, von berühmten Komponisten/Interpreten praktizierten Improvisationskunst (Bannard 1915), andererseits unter entwicklungspsychologischen Aspekten der Melodieerfindung musikalisch nicht besonders vorgebildeter Kinder (Werner 1917). Avancierte Kompositionstechniken und eine stark reproduktiv orientierte, auf ein traditionsbewährtes Repertoire ausgerichtete Musikpraxis entwickelten sich so weitgehend auseinander, daß nur in wenigen Ausnahmefällen noch die Verwendung moderner Gestaltungsmittel auch im Bereich der Improvisation für realisierbar gehalten und pädagogisch empfohlen wurde: "Nun leuchtet aber ein, daß die Erziehungsmethoden der letzten Jahrhunderte unsere Kinder nicht darauf vorbereiten können, die Verfahrensweisen moderner Künstler zu begreifen und sich anzueignen. Unsere Künstler haben sich neue Darstellungsmittel geschaffen. Man muß dieselben Mittel auch den Kunstliebhabern in die Hände geben. Ja, man muß diese mit ihrer Handhabung vertraut machen, und zwar in einem Alter, wo die Erlernung ihnen noch leicht fällt (Dalcroze 1922, S. 6).
Kennzeichnend für die Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts ist, daß der Stellenwert der Improvisation, vor allem in ihrem Verhältnis zur Komposition, in vielen Bereichen in Frage gestellt wird oder zumindest erheblich an Bedeutung verliert. Nur unter speziellen aufführungspraktischen und musiksoziologischen Bedingungen konnte sie sich behaupten oder sogar an Bedeutung gewinnen - z. B. im Bereiche der Orgelimprovisation, die in Theorie und Praxis von Marcel Dupré weiterentwickelt wurde und die Olivier Messiaen, der bei Dupré Orgelimprovisation studiert hatte, später (teilweise aufbauend auf rhythmischen und melodisch-harmonischen Innovationen in der Improvisationslehre von Dupré) im engen Zusammenhang mit seinen eigenen kompositionstechnischen Innovationen (insbesondere den rhythmischen und melodisch-harmonischen Modi) weiter entwickelt hat. Messiaen gehört zu den wenigen profilierten Komponisten des 20. Jahrhunderts, bei denen sich, bis in sein Spätwerk hinein, Zusammenhänge zwischen Improvisation und Komposition nachweisen lassen, so daß noch sein spätes Orgelwerk Livre du Saint Sacrement sich aus dem Keim transkribierter Improvisationen entwickeln konnte.
Tendenzen der sich verstärkenden Polarisierung zwischen Komposition und Improvisation zeigen sich in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts auch darin, daß in bestimmten Bereichen der Pädagogik der Improvisation Beachtung geschenkt wird unter Aspekten, die dezidiert opponieren nicht nur gegen die stark reproduktive Ausrichtung des Musiklebens und insbesondere der Musikpädagogik, sondern auch gegen die Herabstufung der Improvisation im Verhältnis zur Komposition. Bereits Ferand hat erkannt, welche Schwierigkeiten eine in erster Linie kompensatorisch argumentierende Wissenschaft und Pädagogik in der Neuzeit und insbesondere im 20. Jahrhundert zu überwinden hat. Seine erste umfassende Monographie zur Improvisation eröffnet er mit den Worten: Der unmittelbare Antrieb zur vorliegenden Arbeit war ein subjektiver: der Wunsch, die praktischen Erfahrungen des Musikpädagogen durch historisch-entwicklungsgeschichtliche Erkenntnisse zu unterbauen (Ferand 1938, S.VII). Im abschließenden Rückblick auf seine Untersuchung zieht er folgende Bilanz: Ursprünglich identisch mit der Komposition selbst, spaltet sich die Improvisation immer mehr von der (zur Zeit dieses Ablösungsprozesses "r e s f a c t a" genannten) aufgezeichneten Komposition ab, wird späterhin ganz auf das Gebiet der r e p r o d u k t i v e n M u s i k ü b u n g verwiesen und rettet so für einige Zeit noch ein Stück schöpferischen Singens und Musizierens in die schließlich auf reine Reproduktion beschränkte musikalische Wiedergabe..., bis ihr durch die zunehmende Rationalisierung und Mechanisierung der reproduktiven Musikpraxis schließlich auch hier das Lebenselement entzogen wird. Seinen Abschluß findet dieser Rationalisierungsprozeß in der mechanischen Musik. (Vereinzelte Neubelebungserscheinungen der Improvisation machen sich abseits vom Hauptstrom der offiziellen Kunstmusik, auf dem Gebiete der Jugend- und Laienmusik, im Tanz und in der neueren Musikerziehung, in erfreulicher Weise bemerkbar.) (Ferand 1938, S. 421) Ferand bezieht sich darauf, daß in der ersten Jahrhunderthälfte eine zeitgemäße Improvisationspädagogik nicht nur durch die zunehmend von der Improvisation sich entfernende aktuelle kompositorische Entwicklung, sondern auch durch das von den Massenmedien beeinflußte, zunehmend auf Rezeption und Konsum orientierte Musikverhalten vor beträchtliche Schwierigkeiten gestellt wurde. Dies erklärt auch seine kritischen Vorbehalte gegen improvisationspädagogische Ansätze, die von musiktheoretischen Vorstellungen früherer Jahrhunderte ausgehen und (wie etwa Wehles Lehrgang der Klavierimprovisation oder, auf anspruchsvollerer Ebene, Kelletats Lehrgang der Orgelimprovisation; Wehle 1925 ff., 1950 und 1953; Kelletat 1935)) Improvisation weitgehend zum methodischen Hilfsmittel der Erlernung traditioneller Musiktheorie umfunktionieren (ausgehend von Kleinformen, von einfachen Melodien und Begleitformen - mündend in improvisatorisch erarbeiteten, allerdings häufig von kompositorischen Modellen früherer Jahrhunderte ausgehenden Formschemata). Die Produktion (ein Begriff, unter dem Stoverock im musikpädagogischen Zusammenhang "Improvisation", "Phantasie" und "Erfindungsübung" subsumiert, Stoverock 1930) hat sich in der Musikpädagogik leichter historisch und psychologisch motivieren als zeitgemäß realisieren lassen, was sich in realistischer Perspektive auch in begrenzten Zielsetzungen ablesen ließ:
Die Produktion wird gebraucht:
1. um die musikalischen Grundelemente (Rhythmus, Melodie, Takt, Dynamik, Harmonie) zu verdeutlichen;
2. um zu musizieren, d. h., um selbsttätig in die Formen- und Gefühlswelt der Musik einzudringen (Stoverock 1930, S. 20).
Für den mit improvisatorischen Praktiken arbeitenden Instrumentalunterricht wurden erst in der zweiten Jahrhunderthälfte neue, der aktuellen Musikentwicklung adäquate Modelle und Lehrgänge entwickelt, beispielsweise für das Klavier von Heilbut, Runze und Bojé. Bojé entwickelte seine Vorstellungen auf Grund eines allgemeinen, in seinen Grundvoraussetzungen für verschiedene Instrumente (Trompete: Mathez 1977, Posaune: Rosin 1977, Violine: Siegert 1978, Blockflöte: Vetter 1983) konkretisierbaren Instrumentalpädagogik, deren Grundkonzeption auf neue Ansätze des allgemeinbildenden Unterrichts (Frisius u. a. 1972) zurückgeht und maßgeblich von der improvisatorischen Arbeit Michael Vetters (Vetter 1977, 1983) geprägt ist.
Die Schwierigkeit einer dem aktuellen Entwicklungsstand adäquaten Musikpädagogik, in der auch improvisatorische Praktiken den musikalischen und pädagogischen Erfordernissen entsprechend Anwendung finden, ist spätestens seit den zwanziger und dreißiger Jahren offenkundig geworden. Selbst Dalcroze bezog seine der aktuellen Musikentwicklung am nächsten kommenden rhythmischen Anregungen, abweichend von den Prämissen seiner musikübergreifenden pädagogischen Konzeption, primär auf die Komposition (nicht auf die Improvisation) (Dalcroze, Die Rhythmik und die Musikkomposition, in Dalcroze 1922, S. 93-108; dazu die Notenbeispiele S. 219-242, die in wichtigen Details sich auf rhythmische Innovationen von Strawinsky beziehen und vorausweisen auf rhythmische Prozeduren im Improvisationslehrgang von Dupré und bei Messiaen, der seinerseits ebenfalls in wichtigen Details von Strawinsky ausgeht). Die Schwierigkeit der improvisationspädagogischen Nutzung dieser Ideen wird auch daran deutlich, daß sie nicht aufgegriffen werden in den taktrhythmisch und tonal konventionellen Erfindungsübungen von Fritz Jöde (Jöde 1928), nicht einmal in der von Dalcrozes rhythmischen Ideen beeinflußten pädagogischen Arbeit von Carl Orff, deren bis in die dreißiger Jahre zurückreichend Ansätze sich überdies erst zwei Jahrzehnte später auf breiter Basis durchsetzten (Orff/Keetman 1950-1954), deren archaisierende und elementarisierende Ansätze also erst zu einer Zeit populär wurden, als die aktuelle kompositorische Entwicklung schon längst andere Wege gefunden hatte. - Orff ist es seinerzeit nur teilweise gelungen, mit seinen präzise notierten Spielstücken reproduktive Musikzierpraktiken zu überwinden (obwohl seine Vorlagen eigentlich als improvisatorisch variable Musik-Bausteine konzipiert sind). Die ambivalente Wirkung des Orff-Schulwerkes ergab sich daraus, daß in der pädagogischen Breitenarbeit, vor allem im Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen, nicht der gesamte Lehrgang (einschließlich seiner modalen Alternativen zur Dur-Moll-Tonalität) übernommen wurde, sondern vorwiegend nur seine elementare Grundlegung, in der die pentatonischen Tongruppen meist nur in einfachster Form, als rudimentäre Vorformen der Durskala, wahrgenommen wurden, d. h. im Sinne traditioneller Musiktheorie und Musikpädagogik, wie sie etwa auch Fritz Jöde in seinen Erfindungsübungen noch akzeptierte (Jöde 1928).
Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte setzte eine neue Musikentwicklung ein, die zu neuen Modellen der Zusammenarbeit zwischen Komponisten und improvisierenden Musikern führen konnte. Erste Ansätze hierzu ergaben sich im Bereich der musique concrète - der ersten komponierten Musik, deren Substrat nicht die Partitur, das Symbol der Trennung zwischen Erfindung und klanglicher Realisation, ist, sondern die technisch produzierte und konservierte Aufnahme - eine Aufnahme, deren Klangmaterialien nicht dem relativ engen Bereich der traditionell notierbaren Musik entstammen mußten, sondern beliebiger Herkunft sein konnten aus den Bereichen der Umweltgeräusche, von Stimme und Sprache sowie von beliebiger vorgefundener, also unter Umständen auch improvisierter Musik (Musik unter Verwendung einer Klavierimprovisation: Schaeffer, Concertino diapason, 1948; improvisierte sowie technisch gespeicherte und verarbeitete Jazzmusik: Hodeir, Jazz et Jazz, 1951; collagierte außereuropäische Musik: Schaeffer, Simultané camerounais, 1959; elektroakustische Musik aus Klangmaterialien improvisierter Popular- oder außereuropäischer Musik: Parmegiani, Du Pop à l´àne, 1969; Popecletic, 1969; MacDonald, Kilim, 1993).
Die Infragestellung überlieferter Notationsprinzipien (sei es durch ihre prinzipielle Entbehrlichkeit und/oder ihre Unmöglichkeit im Bereich der elektroakustischen Musik, sei es durch die Entwicklung neuer Notationsformen im Bereich der experimentellen Instrumentalmusik), die in der Entwicklung der komponierten Musik seit den fünfziger und sechziger Jahren eine wichtige Rolle gespielt hat, tangiert auch den Bereich der Improvisation: Abweichungen von traditionellen Notationsprinzipien (die ihrerseits ausgehen von eindeutig fixierten Tondauern und Zeitverhältnissen innerhalb vorgefundener, als allgemeingültig angesehener Ton- und Zeitordnungen) erweisen sich als notwendig nicht nur dann, wenn ein Komponist sein Werk als Anweisung für Interpreten notiert (Produktions-Notation), sondern auch dann, wenn ein Wissenschaftler das klangliche Resultat einer Improvisation zu transkribieren versucht (Rezeptions-Notation) (vgl. Frisius 1973). Die präzise Notation von eindeutig bestimmten Tonhöhen und Zeitwerten, gegebenenfalls ergänzt durch Zusatzzeichen für Dynamik, Artikulation und Klangfarbe (Spieltechniken - verwendete Instrumente) erweist sich als fragwürdig für Kompositionen und Improvisationen, in denen die ursprünglich mit dieser Notation assoziierte Hierarchie musikalischer Grundeigenschaften in Frage gestellt wird - d. h.eine Abstufung zwischen konstitutiven, detailliert ausnotierten Eigenschaften einerseits und nachgeordneten, nur global fixierten Eigenschaften andererseits. In komponierter Musik war diese Abstufung in der Regel koordiniert mit unterschiedlichen Graden der Verbindlichkeit der Anweisungen für die Interpreten: Konstitutive Markmale waren eindeutig und für den Interpreten verbindlich notiert, während im Bereich der nachgeordneten Eigenschaften interpretatorische, unter Umständen sogar improvisatorische Freiheiten zugelassen waren. Bei der Beschreibung improvisierter Musik bleibt diese hierarchische Abstufung unangetastet, so lange versucht wird, ihre klanglichen Resultate in traditioneller Notation darzustellen (z. B. in ausnotierten Ausschmückungen oder Veränderungen einer Vorlage oder in Transkriptionen z. B. von Jazz oder außereuropäischer Musik, bei denen die hierarchische Abstufung u. U. so weit führen kann, daß nur die Melodieführung fixiert wird, nicht aber Details der harmonischen Begleitung).
Sobald die traditionelle Abstufung musikalischer Eigenschaften aufgegeben wird, ergeben sich neue Voraussetzungen sowohl für die Komposition als auch für die Improvisation, überdies auch Konsequenzen für die Beziehungen beider Bereiche zur Notation. Die Schwierigkeit, Klänge präzise zu notieren, die den Grundvoraussetzungen traditioneller Notation (eindeutig bestimmte, für eine meßbare Dauer gleichbleibende Tonhöhen in einfachen,quantitativ eindeutig bestimmten metrisch-rhythmischen Konstellationen) nicht entsprechen, ist im Bereich der Komposition spätestens dann deutlich geworden, als John Cage seine ersten Kompositionen für Schlagzeugensemble und präpariertes Klavier schrieb. In den Schlagzeugkompositionen konnte dies dazu führen, daß nur die rhythmischen Strukturen schriftlich fixiert wurden, während die Instrumenten-Auswahl weitgehend den Interpreten überlassen blieb (Quartet, 1935; Living Room Musik, 1940). In diesem Falle waren die rhythmischen (simultanen und sukzessiven, detail- und großformbezogenen Aspekte auskomponiert, während bei der Auswahl der Instrumente (bzw. ggf. auch unkonventioneller Klangerzeuger) interpretatorische bzw. improvisatorische Freiheiten blieben. So ergab sich in ersten Ansätzen ein neues Verhältnis zwischen Komposition und Improvisation als Konsequenz der Unbestimmtheit (bzw. Unbestimmbarkeit) der vom Komponisten gewählten komplex-geräuschhaften Klangmaterialien. - In seinen Kompositionen für präpariertes Klavier (beginnend mit Bacchanale, 1940) hat Cage zunächst versucht, durch möglichst präzise Präparations-Anweisungen (die allerdings sich als Resultate improvisatorischer Experimente ergeben hatten) die klanglichen Resultate möglichst exakt festzulegen, interpretatorische bzw. improvisatorische Gestaltungsmöglichkeiten also weitestmöglich einzuschränken. Allerdings stellte sich heraus, daß auch die präzisierten verbalen Präparationsanweisungen je nach Beschaffenheit und Typus des verwendeten Instrumentes zu unterschiedlichen Klangresultaten führen konnten; diese Einsicht bereitete den Weg dafür, daß Cage später die - zunächst gegen seinen Willen erreichte - klangliche Unbestimmtheit ausdrücklich akzeptierte und seine Kompositionstechniken (einschließlich ihrer Notation) so grundlegend veränderte, daß sie (z. B: mit graphischen und/oder verbalen Anweisungen) unbestimmte, vom Komponisten nicht im voraus fixierte klangliche Resultate ergeben konnten (sei es in Stücken mit unbestimmten oder mehrdeutigen Präparations-Anweisungen, sei es, im 1957-1958 entstandenen Concert for Piano and Orchestra, in verschiedenen unbestimmten Notationen, bei denen oft auch die traditionelle Hierarchie der musikalischen Eigenschaften nicht unangetastet blieb; die Solostimme des Klavierkonzertes zieht mit einem Kompendium neuartiger Notationsformen die Bilanz einer seit 1952 einsetzenden Entwicklung, in der John Cage, Morton Feldman, Christian Wolff und Earle Brown mit neuen, auf Unbestimmtheit zielenden Notationsformen die überlieferten Abgrenzungen zwischen Komposition, Interpretation und Improvisation in Frage stellten. Dabei zog Cage aufführungspraktische Konsequenzen aus kompositorischen Zufallsverfahren, deren Ergebnisse er zunächst in rigoros fixierten Partituren fixiert hatte, bevor er den Widerspruch zwischen kompositorischer Freiheit und interpretatorischer Fixierung erkannte und zu überwinden versuchte (beispielsweise in der Arbeit mit nicht determinierbaren Radioklängen, bei denen die 1956 entstandene Partitur der Radio Music für 1-8 Radios den Mitwirkenden bedeutend größere interpretatorische und improvisatorische Freiheiten läßt als die rigoros in verschiedenen Parametern fixierte Partitur Imaginary Landscape No. 4 oder March No. 2 für 12 Radios mit 24 Spielern aus dem Jahre 1951). Earle Brown konzentrierte sich auf die Erprobung unterschiedlicher Abstufungen der Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit in graphischen Notationen (z. B. in Folio, 1952), während Feldman in mehreren Werken unbestimmte, nur in der ungefähren Tonlage festgelegte Tonhöhen notierte (sich also von der primären Rolle, der genauestmöglichen und eindeutigen Differenzierung und Vorausfixierung dieses Parameters, wie er in der traditionellen Notation üblich war, löste und dadurch bisher unbekannte Möglichkeiten der interpretatorisch-improvisatorischen Tonhöhengesteltung ermöglichte) (z. B. in Projection 5 für 3 Flöten, Trompete, 2 Klaviere und 3 Violoncelli, 1951, oder in Intersection 3 für Klavier, 1953) und in einem Falle (Intermission 6 für 1 oder 2 Klaviere, 1953) das Verfahren umkehrte mit präzise notierten Tonhöhen in unbestimmter zeitlicher Placierung - so daß einzelne, in den Dauern nur global fixierte, leise Akkorde in jeder Aufführung anders angeordnet werden bzw. aufeinander folgen, also in der zeitlichen Abfolge improvisatorisch behandelt werden konnten konnten; in Karlheinz Stockhausens Klavierstück XI, 1956, findet sich ein ähnliches Verfahren, wobei Stockhausen allerdings nicht rhythmisch unbestimmte Akkorde, sondern in Höhen und Zeitverhältnissen fixierte, mehrschichtige Zellstrukturen verwendet, die der Pianist in jeder Aufführung anders anordnen soll - im Wortsinne vom "Augen-Blick" abhängig, nämlich immer dort spielend oder weiter spielend, wohin sein Blick gerade fällt, wobei jeder Abschnitt, je nach Zusammenhang, jeweils andere, nach der Vorstellung des Komponisten von Aufführung zu Aufführung wechselnde Profile erhält unter den Aspekten der Artikulation, des Tempos, teilweise auch der Oktavlagen bestimmter Töne. - Die genannten Klavierstücke von Feldman und Stockhausen sollten so aufgeführt werden, daß der Pianist während der Aufführung die Abfolge der einzelnen Abschnitte spontan festlegt. Im Sinne dieser Anweisung des Komponisten sind beispielsweise bei Aufführungen und Aufnahmen von Stockhausens Stück David Tudor und Bernhard Wambach verfahren, indem sie die Abfolge der melodisch-harmonisch-rhythmisch fixierten Abschnitte improvisatorisch behandelten, wobei sich sehr unterschiedliche Abläufe und selbst Aufführungsdauern ergeben konnten. Aloys Kontarsky allerdings hat in einer vom Komponisten autorisierten Aufnahme auf diese improvisatorischen Freiheiten verzichtet und statt dessen eine Version ausgearbeitet, die die Vielfalt des zur Wahl stehenden Materials möglichst breit dokumentieren sollte. Er (und, seinem Beispiel folgend, Herbert Henck) hat also vom Komponisten verlangte improvisatorische Aspekte zurückgestellt zugunsten einer (im traditionellen Sinne) stärker fixierenden interpretatorischen Lösung. Am Falle dieses Stückes und seiner Aufführungspraxis zeigt sich besonders deutlich, wie schwierig seit den fünfziger Jahren eine exakte Abgrenzung zwischen Komposition, Interpretation und Improvisation geworden ist.
Stockhausens Klavierstück XI ist ein frühes Beispiel für die Entwicklung aleatorischer Kompositionsverfahren in der europäischen Musik der fünfziger Jahre. In diesem Werk - ähnlich wie in vergleichbaren Kompositionen von Pierre Boulez (3.Klaviersonate), Henri Pousseur (Mobile für zwei Klaviere), Luciano Berio (Circles) - verbinden sich kompositorische Fixierungen mit interpretatorisch-improvisatorischen Freiheiten, wobei allerdings die Details stärker fixiert sind als in experimentellen Partituren von Cage, Brown, Wolff oder Feldman. Besonders bei Stockhausen artikuliert sich eine klare Gegenposition zu der in Details und Formgestaltung unbestimmten amerikanischen Musik der fünfziger Jahre. Während in seinem Klavierstück XI eine allen 19 notierten Abschnitten gemeinsame rhythmische Zellstruktur auskomponiert, also fixierte Detailkomposition mit variabler Formgestaltung kombiniert ist, verfährt Stockhausen in Zyklus für einen Schlagzeuger, 1959, und in dem Ensemblestück Refrain, 1959, genau umgekehrt: In beiden Stücken sind die großformalen Prozesse festgelegt (als zyklischer Prozeß mit frei wählbarem Anfangs- und Endstadium bzw. als einheitliche harmonische Grundstruktur mit variabel placierbaren Einschüben, während die Details variabel sind und, vor allem in Zyklus, dem Interpreten zahlreiche Möglichkeiten der interpretatorischen Freiheit eröffneten (auch der interpretatorischen Gestaltung - wenn er nicht, wie Christoph Caskel, der Interpret der Uraufführung, die Ausarbeitung einer fixierten Version vorzieht, das Stück wurde auch in Versionen anderer Solisten aufgeführt und auf Tonträgern veröffentlicht - in einem Falle, mit Mircea Ardeleanu, sogar in zwei Versionen desselben Solisten).
In den fünfziger und sechziger Jahren haben mit Aspekten der Unbestimmtheit operierende graphische und verbale Notationen zentrale Bedeutung erlangt. Den ausführenden Musikern boten sich damit Möglichkeiten der freien interpretatorischen bzw. improvisatorischen Ausgestaltung, die deutlich kontrastierten zu den rigorosen, den Interpreten weitlegend festlegenden seriellen Konstruktionen in instrumentaler und technisch produzierter Musik der frühen fünfziger Jahre z. B. von Boulez, Henry (Antiphonie, 1951; Vocalises, 1952) und Stockhausen. Vor allem in ihren Tonbandproduktionen der frühen fünfziger Jahre haben diese und andere, ihnen nahe stehende Komponisten (z. B. Philippot, König und Pousseur) kompositorische Modelle der radikalen Absage an Interpretation und Improvisation im traditionellen Sinne realisiert (wobei sie sich vor allem unter dem letzteren Aspekt deutlich von der frühen musique concrète absetzten, in der improvisatorische Studiotechniken eine wichtige Rolle gespielt hatten). Vor allem Karlheinz Stockhausen, der in den frühen fünfziger Jahren mehrere exakt auskonstruierte Tonbandproduktionen realisiert hat (Konkrete Etüde, 1952; Elektronische Studie I, 1953; Elektronische Studie II, 1953), hat, als er neben der Studioarbeit auch die Instrumentalkomposition weiterzuführen beschloß, die Verlagerung seines Interesses auf freier interpretierbare aleatorische (Instrumental) Partituren damit begründet, daß streng fixierte Partituren besser im Studio realisiert werden könnten als in einer instrumentalen Aufführung, während andererseits eine flexible Formgestaltung sich leichter mit Interpreten als mit Maschinen des elektronischen Studios realisieren ließe. Diese Aussage machte Stockhausen unter den technischen und kompositorischen Voraussetzungen der fünfziger Jahre. In den sechziger Jahren änderte sich die von ihm beschriebene Situation. Damals haben sich, unter dem Einfluß neuer Möglichkeiten der live-Elektronik, sowohl in der Technik als auch in der Aufführungspraxis in zunehmendem Maße improvisatorische Praktiken durchgesetzt, vor allem in Werken von Cage (Music for Amplified Toy Pianos, 1960; Cartridge Music, 1960; Variations V, 1965) und Stockhausen (Mixtur, 1964; Mikrophonie I, 1964; Mikrophonie II, 1965; Solo, 1965-66; Prozession, 1967; Kurzwellen, 1968; Aus den sieben Tagen ), die - jedes in seiner Weise - sich mehr und mehr von der Fixierung unterschiedlicher Parameter lösten und in ihren Notationen Schritt für Schritt die interpretatorisch-improvisatorischen Freiräume modifizierten und erweiterten.
Sowohl bei Stockhausen als auch bei Cage verstärkten sich in ihren live-elektronischen Kompositionen der sechziger Jahre die Elemente der Unbestimmtheit und Unvoraussagbarkeit bzw. die improvisatorischen Freiheiten der Interpreten. Dies führte einerseits zur Zusammenarbeit mit improvisatorisch erfahrenen Interpreten, andererseits dazu, daß Interpreten sich kompositorisch zu emanzipieren begannen und sich mehr und mehr von der ständigen Zusammenarbeit mit einzelnen Komponisten lösten. So hat die langjährige Zusammenarbeit von John Cage mit David Tudor schließlich dazu geführt, daß dieser über die improvisatorische Realisation von Cage-Partituren hinausging und eigene kompositorsiche Projekte realisierte (z. B. die live-elektronische Installation Rainforest). Ähnliche Entwicklungen ergaben sich in der Zusammenarbeit von Karlheinz Stockhausen mit verschiedenen Interpreten. Viele von ihnen nutzten die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Stockhausen auch dazu, sich als selbständig improvisierende Interpreten zu profilieren ober bereits zuvor gesammelte improvisatorische Erfahrungen weiter auszubauen (z. B. die englischen Gruppen Gentle Fire und Intermodulation). Andererseits arbeitete Stockhausen damals auch mit Musikern zusammen, von denen er wußte, daß sie bereits als improvisierende Interpreten Erfahrungen gesammelt hatte, z. B. Michel Portal, Jean-Pierre Drouet, Carlos-Roque Alsina und Vinko Globokar. Die Zusammenarbeit funktionierte allerdings nur vorübergehend, da Stockhausen weiterhin auf seiner kompositorisch-aufführungspraktischen Hauptverantwortung bestand, während die Interpreten seine priviliegierte Position als Komponist in Frage zu stellen begannen. Es entstanden Konflikte, aus denen Stockhausen die Konsequenz zog, daß er die Elemente improvisatorischer Freiheit in seiner Musik weiter reduzierte und zu genau fixierten Notationen zurückkehrte.
Entwicklungen der technisch vermittelten Improvisationspraxis haben in der Folgezeit dazu geführt, daß sich im Bereich der Avantgardemusik - ähnlich wie zuvor in der Popmusik - neue Musikergruppen bildeten, in denen Komponisten/Interpreten gleichberechtigt zusammenarbeiteten, z. B. Musique Vivante, Musica Eletronica Viva und Nouva Consonanza.
Die neuen musiktheoretischen und aufführungspraktischen Ideen avancierter Komponisten haben seit den fünfziger Jahren auch neue musikpädagogische Aktivitäten stimuliert, die auf die eigenständige Erfindung und klangliche Realisation von Musik zielten, und zwar sowohl im Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen (von der Vorschule bis zur Sekundarstufe) als auch in der Instrumentalpädagogik. (Anonymus 1958; Schafer, 1965, 1971, 1973; Friedemann 1964, 1969, 1979, 1973, 1983; Roscher 1970, 1976; Paynter/Aston 1970, dt. 1972; Meyer-Denkmann 1970, 1972, 1984; Frisius u. a. 1972; Runze 1971, 1973; Heilbut 1976; Wiener Instrumentalschulen: Mathez 1976; Rosin 1977; Siegert 1978; Bojé 1982, 1984; Vetter 1973).
In den frühen siebziger Jahren entwickelte sich ein intensives Interesse an improvisationspädagogischen Fragestellungen und Modellen - zu einer Zeit, als exponierte Avantgardekomponisten, die diese Entwicklung zuvor stimuliert hatte (Cage, Wolff, Schnebel, Stockhausen, Riedl) sich bereits weitgehend wieder anderen Fragestellungen zugewandt hatten.
Rudolf Frisius
Neue improvisationspädagogische Ansätze seit den 70er Jahren
Die seit den 70er Jahren fixierten Lehren und improvisationspädagogischen Ansätze bewegen sich zumeist im Grenzbereich zwischen Komposition und Improvisation. Dies ist besonders daran ablesbar, daß häufig Begriffsbildungen wie Erfindung (=Komposition) und Gestaltung (=Improvisation) für Methodenlehren gebraucht werden. Die Fixierung oder Aufforderung erfolgt je nach dem Grad der Freiheit - gebunden, gelenkt oder frei - formuliert als verbale Vorlage, Graphik, traditionelle Notenvorlage oder als Mischung verschiedenen Notationsformen, letzteres zumeist als Fortsetzungsvorlage. Oftmals beschränken sich die Vorgaben nur auf den Gesamtverlauf des zu realisierenden Stückes oder gehen den umgekehrten Weg durch Festlegung der Details ohne die Gesamtform vorzugeben. Ansätze, die sich vollkommen von tonalen oder rhythmischen Ordnungen gelöst haben, beziehen auch fotographische oder andere bildnerische Stimuli für improvisatorische Aktionen ein oder verweisen durch assoziative Darstellung auf eine zu realisierende außermusikalische Gegebenheit. Die letztere Form hat in zunehmendem Maße als Verklanglichung oder improvisatorische Klanggestaltung in die verschiedenen Bildungspläne allgemeinbildender Schulen Einzug gehalten.
In der Zielsetzung unterscheiden sich die Ansätze dadurch, daß sie entweder progessive Lehrgangsstruktur aufweisen oder eine lockere Sammlung von Übungen darstellen, deren Reihenfolge und Klangresultat völlig offen angelegt sind.
In zunehmendem Maß sind auch Unterweisungen zu finden, die eine Erlernbarkeit von Improvisation betonen. Nach wie vor finden sich auch kritische Stimmen, die behaupten, "daß die Idee der absoluten Improvisation immer nur ein regulatives Prinzip sein kann: eine ästhetische Utopie.."( Dahlhaus,in:Brinkmann,1979,S.16), da sie zumeist doch nur auf eingeübte Formeln zurückgreife (ders.,S.19/20).
Seit Ende der 60er Jahre haben sich einige zeitgenössische Komponisten vorübergehend auch der Schaffung von pädagogisch ausgerichteten Werken gewidmet ( vgl. rote reihe 1-70; Schnebels "Schulmusik"). Dies hatte seine Vorläufer besonders in den USA, wo eine Gruppe um La MonteYoung 1963 eine Sammlung von Einzelanweisungen verschiedenster Komponisten herausgab, die dem realisierenden Musiker einen großen Freiraum für die Gestaltung der Vorlage ließ ( La Monte Young 1963 ). Dies fand 1969 in England mit "Improvisation Rites" durch C.Cardew seine Fortsetzung, der eine rein verbale Sammlung von verschiedenen Personen, zumeist Nicht-Komponisten, veröffentlichte, die von jedermann zu realisieren sei ( Cardew 1969 ).
In allgemeinpädagogisch ausgerichteten Ansätzen ist eine zunehmende Tendenz in Richtung einer Schaffung von Lernsituationen, eine Vernachlässigung des Lernergebnisses zugunsten des Lernprozesses festzustellen ( Paynter/Aston 1970 ; Wieblitz 1978 ). Der Modell- und Projektcharakter (Kohlmann 1978) einerseits, die Anlage als Sammlung von Spielen (Friedemann 1983; Schwabe 1992) oder als darstellendes Spiel (Krause 1976) in Verbindung mit anderen Künsten als interdisziplinärer Ansatz (Roscher 1970,76,83 u. 84 ) andererseits bestimmen das Bild seit den 70er Jahren.
Weit verbreitet hat sich der experimentell-forschende Charakter als Voraussetzung für den Einstieg in die von der zeitgenössischen Musik der 5oer und 60er Jahre erschlossenen neuen Klangbereiche der Musik auf den Gebieten des Geräusches ( vokal wie instrumental ) , der Klangfarbe ( Art der Klangerzeuger ) (Meyer-Denkmann 1972) und der Elektronik. Voraussetzungsloses Improvisieren meint unter Verwendung eines erweiterten Begriffes von Musik als einer Ordnung von allem Hörbarem ( Frisius u.a., 1972; Reibel 1984) den Verzicht auf ein konventionelles Instrumentarium zugunsten von unkonventionellen Klangerzeugern des Alltags (Sons 1971; Keller 1975) oder eine Einbeziehung von alltäglichen technischen Medien ( Schwan 1980; Reinhardt 1982; Meyer-Denkmann 1984) inclusive Synthesizer und Computer (Schwan 1991) .
Seit den 80er Jahren und verstärkt mit Beginn der 90er Jahre haben sich Komponisten ( P.Boulez; R.Teitelbaum; D.Waisvisz; C.Barlow) zunehmend mit interaktiven Systemen (Computer-Stimme, Computer-Instrumente, Computer-Körpersensoren, MIDI-Systeme an Blasinstr.und Klavieren ) beschäftigt .Dies hat jedoch noch nicht zu einer vermittelbaren Ausformulierung wie auf dem Gebiet der Vokal- oder/und Instrumentalpädagogik in den Bereichen von Jazz- oder Rockmusik geführt. Hier sind in den nächsten Jahren mit entsprechend konfigurierten Instrumenten bzw. computergesteuerten Klangerzeugern zu rechnen, deren Klangergebnisse von der Live-Reaktion des jeweiligen Interpreten abhängen. Eine Entsprechung findet sich derzeit nur auf dem visuellen Sektor mit Cyber Space, wo sich der Interpret (=User) in einer virtuellen Realität seine eigenen Wege sucht. Entsprechendes dürften auf dem akustischen Sektor erst neue Computergenerationen leisten,die auch Computerlaien einen qualifizierten Eingriff in die Interaktions-/Improvisationsalgorithmen des Steuerprogramms gestatten oder - so wie dies bereits Computerflügel/MIDI-Flügel teilweise leisten - live-Improvisationen speichern und zusätzlich nach vom Interpreten vorgegebenen Regeln transformieren, um schließlich dann direkt anschließend wieder zuzuspielen, worauf der Interpret wiederum improvisierend reagieren kann. Dieser an sich bis ins Unendliche fortsetzbare interaktive Regelkreis wird seit den späten 80er bzw.mit Beginn der 90er Jahre von Komponisten wie J.-C. Risset ( Risset 1995) und S.Schäfer (S.Schäfer 1994) im Bereich der Klaviermusik erforscht. Improvisationspädagogische Konsequenzen sind allerdings noch stark von solchen Systementwicklungen der Musikgeräteindustrie abhängen,die einen bezahlbaren Rahmen für öffentlich-rechtliche Schulen oder Musikschulen darstellen. Dies gilt auch für Systeme, die Bewegungen in Steuerbefehle an MIDI-Klangerzeuger derart weiter leiten, daß bspw. Handbewegungen die verschiedenen Klangparameter steuern oder/und modifizieren. Hier ist der technische Stand - im bezahlbaren Bereich - noch nicht über die zufälligen, wenig kontrollierbaren Klangergebnisse hinausgekommen ( Hier leistet das in den 20er Jahren entwickelte Theremin wesentlich gezieltere Umsetzungen von Handbewegungen in klangliche Resultate, wenn auch die Klanagfarbenvielfalt heutiger synthetischer Klangerzeuger bei weitem nicht erreicht wird ).
Weniger häufig finden sich Darstellungen, die ihre theoretische Fundierung aus der Ableitung von praxisorientierten Erkenntnissen mit musikalischen Laien und Musikern dadurch gewinnen, daß sie in direkter Auseinandersetzung mit dem Werken von zeitgenössischen Komponisten innerhalb von Workshops in Zusammenarbeit mit Komponisten zu Klangresultaten gelangen oder die improvisatorische Ausgestaltung/Interpretation von Werken mit musizierenden Laien realisieren (Schwan 1991; 1995).
Hinzu kommen Ansätze, die soziale und kommunikative Aspekte (Holthaus 1993) oder therapeutische Intentionen (Hegi 1986) in der Vordergrund stellen und die Form der kollektiven respektive Gruppenimprovisation präferieren. Die Betonung des Erlebnischarakters vor der Qualität des musikalischen Resultates (Stroms 1979, S.33: "Dabei steht das Spiel im Vordergrund und der damit verbundene erzieherische Wert - nicht die Musik.") impliziert automatisch voraussetzungsloses improvisatorisches Arbeiten (Schibler 1976). Improvisation wird als Haltung oder als Lebensform definiert (Hegi 1986,S.146) oder auch als Gegenpol zum Lernfach Improvisation gesehen. "An die Stelle von mus. Regeln treten Verhaltensregeln... Gemeinsames Musizieren wird in der freien Improvisation zur Auseinandersetzung mit den Partnern " (Fritz 1975, S.63).
In gewisser Weise greifen andere Ansätze wieder Tendenzen der 50er Jahre , die Improvisation damals eher als "Mittel der Schulmusikerziehung" (Kemlein 1956) denn als selbständige, erlernbare Kunstfertigkeit oder als"intuitives Weiterspinnen angefangener Melodien" (R.Schoch,1957,S.2) verstanden wissen wollten dadurch auf, daß sie Improvisation wieder in ein festgelegtes Regelwerk einbetten mit der Notwendigkeit eines nicht-voraussetzungslosen Improvisierens (Sengstschmid 1976), oder auch dadurch, daß Improvisation "als Auseinandersetzung mit tradierten Musikstücken" begriffen wird ( Schaarschmidt 1983, S.144).
Beide Pole - der sozial-kommunikative wie der propädeutische - nehmen persönliche bzw. musikalische Vorgeprägtheiten zunächst in Kauf, um dann in einem späteren Stadium die Schüler/Studierenden wieder davon zu befreien.
Alexander Schwan
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