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4.19.2 Da99NachtkonzertIb.doc


Nachtkonzert I

Vom wohltemperierten Klavier zum wohltemperierten Mikrophon

Pierre Schaeffer: Bilude (1979)

Pierre Schaeffer: Etude aux chemins de fer (1948)

L´oiseau RAI (1950)

Etude aux sons animés (1978)

John Cage: Root of an Unfocus

Pierre Schaeffer/Pierre Henry: Sinfonie pour un homme seul: Prosopopée I (1950)

Pierre Henry: Aus "Concerto des ambiguités" (1950)

Pierre Schaeffer/Pierre Henry: Bidule en ut (1950)

Bernard Parmegiani: Bidule en ré (1969)

Pierre Boulez: Aus "Douze Notations" (1945)

Pierre Schaeffer: Etude noire, Etude violette (1948)

Olivier Messiaen: Mode de valeurs et d´intensités (1949)

Pierre Boulez: Etudes I, II (1951)

Karlheinz Stockhausen: Klavierstück I (1952)

Karlheinz Stockhausen: Konkrete Etude ("Etude aux mille collants") (1952)

John Cage: Williams Mix (1952)

Ivo Malec: Reflets (1961)

Helmut Lachenmann: Wiegenmusik (1963)

Luigi Nono: Omaggio a Vedova (1960)

Luigi Nono: ... sofferte onde serene... (1976)

NB: Das Programm ist noch vorläufig - nur als Bezugsrahmen

für die in den nächsten Tagen eingehenden Beiträge zu den einzelnen Stücken

Pierre Schaeffer: Bilude (1979)

Am 1. November 1979 wurde in Paris ein kurzes Stück von Pierre Schaeffer aus der Taufe gehoben, das die konkrete Musik gleichsam im Disput mit der abstrakten präsentiert: Es beginnt mit vier Metronomschlägen, in deren Tempo anschließend ein Pianist traditionell notierte Musik zu spielen beginn: das c-Moll-Präludium aus dem 1. Teil von J. S. Bachs "Wohltemperiertem Klavier". Schon nach wei Takten ändert sich das Klangbild: Der Pianist hält an, und die beiden folgenden Takte des Stückes sind, jetzt im Cembaloklang, vom Tonband zu hören. (Per Bandschnitt wird der Hörer gleichsam vom modernen Klavierklang zurück in die Bachzeit versetzt.) Danach geht es im taktweisen Wechsel zwischen Klavier und Tonband weiter, mit neuen Klangkontrasten - bald zurückkehrend zum Klang des Flügels, bald im verfremdeten Klavierklang. Der Pianist gerät zunehmend in Konflikt mit der Tonbandpartie, die sich mehr und mehr von "natürlichen" Instrumentalklängen entfernt - nicht nur im verfremdeten, klanglich und rhythmisch "verwackelten" Klavierklang, sondern auch mit präparierten Klavierklängen oder sogar mit der Alltagswelt entstammenden Geräuschen und mit Zitaten aus Schaeffers konkreter Musik: mit Klängen klappernder Stäbe, von Metllteller, einer afrikanischen Sanza, einer mexikanischen Flöte und schließlich einer Lokomotive. Schaeffer verwandelt Bachs Prélude in ein Bilude, dessen wehmütiger Untertitel "Eternels regrets" mit melancholischer Ironie auf Nahes und Fernes anspielt: Live gespielte "abstrakte" (notierte) Musik verbindet sich mit konkreten Klängen, die vom Tonband kommen und sich im Verlauf des Stückes mehr und mehr aus der rhythmischen Strenge des Klavierparts herauslösen - in ironisch gebrochener Metamorphose des wohltemperierten in ein "übel"präpariertes Klavier. Die Tonbandpartie läßt erkennen, wie Bachs abstrakte Klangstrukturen in der Begegnung mit konkreten Klängen sich gleichsam von innen heraus zersetzen.

Pierre Schaeffer/Pierre Henry: Sinfonie pour un homme seul - Prosopopée I

Die Sinfonie pour un homme seul ist das erste großangelegte Werk der musique concrète, das 1950 uraufgeführt wurde. Die ursprüngliche Idee des Werkes zielte auf eine Medienkomposition, in der der "homme seul", der einzelne, vereinsamte Mensch, nicht nur als Adressat vorgestellt war, sondern auch als Klangquelle: Im Zentrum standen Klänge, die ein einzelner Mensch hervorbringen kann, z. B. Schritte, Rufe, Atmen usw. In einem zweiten Schritt der Ausarbeitung kamen instrumental erzeugte Geräusche hinzu, vor allem Klänge des präparierten Klaviers (die sich von den präparierten Klavierklängen bei John Cage häufig durch ihre stärkere Geräuschhaftigkeit und vor allem durch ihre technische Verarbeitung unterscheiden). Das Neuartige dieses Werkes wird schon in den ersten Klängen des ersten Satzes (Prosopopée I) deutlich:

Zu Beginn dreimaliger Wechsel: Klopfgeräusche (schnelles Türenschlagen, langsame Schritte) - Stimmen (ein Schrei, dann zwei kurze Sprachfetzen, immer leiser). Danach umrahmen Instrumental-Fragmente eine Passage mit präpariertem Klavier (die von den Autoren als "élément Cage" bezeichnet wird und an dessen Komposition Roof of an Unfocus für präpariertes Klavier erinnert und die andererseits mit den vorausgegangenen Klopfgeräuschen verwandt erscheint). Nach kurzen Einschüben (Sprache, Musik, halliges Geräusch) erscheinen wieder Klänge des präparierten Klaviers, im mehrmaligen Wechsel mit einer sich wandelnden, gesummten oder gepfiffenen Melodie. Nach einer Steigerung mit Klavierklängen folgt die Wiederkehr des halligen Schreis, mit dem das Stück begann.

Pierre Schaeffer: Etude aux sons animés (1958)

"Die quasi dramatische Geschichte eines Rollens, eines Knirschens, eines Reibens, eines Aufprallens" (Schaeffer). Dieses Stück entstand, als Schaeffer seine phänomenologische "Theorie der Klangobjekte" zu entwickeln. Das Klangmaterial erscheint hier in Zusammenhängen, die seine realistischen Ursprünge zurücktreten lassen. Der Formablauf wird von hörbaren Eigenschaften bestimmt, die sich der traditionellen Notation entziehen: subtile Veränderungen der Geräuschlage (Ton- oder Geräuschkurven) oder des dynamischen Verlaufes ((Klanganfang - Klangkörper - Klangende; dynamisch schwankende oder in Einzelimpulse "zerhackte" Ereignisse). Pfeilerartig wiederkehrende Klangobjekte oder abschnittsweise vorherrschende Klangeigenschaften gliedern die Form.

Pierre Boulez: NOTATIONS pour piano (1945)

1945, in seinem 20. Lebensjahr, schrieb Pierre Boulez die Komposition Notations für Klavier. Der Aufbau des Werkes ergab sich als Konsequenz einfacher konstruktiver Überlegungen:

Keimzelle der gesamten Komposition ist eine Zwölftonreihe. Analog zu ihren zwölf Tönen entwickelt Boulez zwölftaktige Strukturen in zwölf verschiedenen Varianten. So entsteht ein Zyklus aus zwölf zwölftaktigen Stücken. In ihnen von Stück zu Stück alternierend zwischen transparenten, prägnant gestalteten und kompakten, dichten, massiven Bildungen - präsentiert sich die Reihe gleichsam in zwölf verschiedenen Perspektiven:

1. in wechselnden melodischen und harmonischen Gestalten;

2. mit den gesamten Tonraum in markanten Sprüngen durchziehenden Tonbewegungen,

die eingerahmt werden von Tontrauben und aufschießenden Glissandi;

3. im Wechselspiel von Melodie und begleitenden Harmonien;

4. in kontrastierenden Tonlagen und melodischen Bewegungsformen

(mit einer Schritt für Schritt sich aufbauenden Melodie

und ständig wiederholten, dabei fortwährend rhythmisch veränderten Begleitmustern);

5. mit weit ausgreifenden Melodielinien über breit ausarpeggierten harmonschen Klangflächen;

6. in rasend schnellen, kanonisch verdichteten, den sprunghaft rasch durchquerenden Tonfolgen;

7. mit extrem reduzierten Intervallfolgen,

aus denen sich dann erst nach und nach freiere melodische Bindungen herauslösen;

8. mit unregelmäßig gehämmerten Quarten und, später einsetzend,

mit einem Schritt für Schritt sich auftürmenden, dann hin und her changierenden Akkord;

9. mit schattenhaft leisen Harmonien und Geräuschakzenten in extrem tiefer Lage,

verbunden mit extrem reduzierten melodischen Andeutungen (Intervallen, gehaltenen Tönen);

10. mit scharf geschnittenen, ständig wechselnden,

sich ablösenden oder ineinander geschobenen rhythmischen Gestalten;

11. im Wechsel von ornamentalen (in fließender Bewegung auf- oder abspringenden)

oder ausmodellierten (länger, in markant wechselnden Dauern, ausgehaltenen) Melodietönen;

12. mit massiven Akkorden, die sich bald im Tonraum bis in extreme Lagen hinein ausbreiten,

bald in engen Tonketten verdichten.

An mehreren Stellen des Zyklus ist noch die ursprüngliche Absicht erkennbar, in jedem der zwölf Stücke einen anderen der zwölf Reihentöne besonders herauszustellen (z. B. als Anfangston, so daß Stück 1 von Ton 1 ausgeht, Stück 2 von Ton 2 usw.). Wesentlicher für den Höreindruck ist in der Abfolge der Stücke der ständige Wechsel zwischen transparenten, reduzierten und kompakten, dichten Stücken.

Neuartiges ergibt sich in vielen Details dieses Zyklus aus der überraschenden Konfrontation von scheinbar völlig heterogenen, wenn nicht sogar unvereinbaren Anregungen und Einflüssen:

Boulez kombiniert hier die klassische Zwölftontechnik (im Sinne Schönbergs, Bergs und Weberns, deren Musik in Frankreich seit 1945 durch René Leibowitz bekannt geworden ist) mit rhythmischen Prozeduren im Geiste seines Lehrers Olivier Messiaen. In der Konfrontation durchaus heterogener melodisch-harmonischer und rhythmischer Gestaltungsprinzipien entstehen produktive Wechselwirkungen, die die Musik des jungen Boulez über ihre ursprünglichen Vorbilder hinausführen und allen Details ihr unverwechselbares Gepräge geben: Im Zuschnitt der melodischen Linien

in den vielfältig changierenden Farbwerten der Akkorde in der allgegenwärtigen rhythmischen Flexibilität in plastischen Formgestaltungen sei es mit jähren Kontrasten, sei es mit markant zielgerichteten Prozessen.

Die im ersten Satz keimhaft angelegten Gestaltungselemente kündigen an, was sich in späteren Sätzen breiter entfalten wird: Aus der kurzen melodischen Figur, die über einen ausgehaltenen Ton gesetzt wird (Nr. 1, Takt 1) werden später (in Nr. 5) eine weit ausschwingende Melodielinien über breit ausarpeggierten akkordischen Klangflächen. Aus geradlinig absteigenden, abschwellenden Staccato-Tönen (Nr. 1, Takt 2) werden später (in Nr. 2) im Fortissimo weiträumig und geradlinig auf- oder absteigende Linienzüge. Als Widerpart zu einem schattenhaft leisen und tiefen Melodieton (Nr. 1, Takt 3) erscheinen später (an zwei Stellen in Nr. 9) ebenso leise, aber wesentlich höhere und länger ausgehaltene selbständige Melodietöne, die ebenfalls durch Pausen vom Vorhergehenden und Nachfolgenden abgegrenzt sind (es sind übrigens die höchsten Töne dieses Stückes). Ein extrem dichter und lauter Akkord (Nr. 1, Takt 4; hier mit nachschlagendem Akzent) wird zur Vorankündigung späterer markanter Akkordballungen und Akkordbewegungen (in Nr. 12). Melodisch oder rhythmisch unregelmäßige Tonwiederholungen (Staccato: Nr. 1, Takt 5-6; Legato; Nr. 1, Takt 8) werden zur Andeutung späterer Wiederholungen von Tontrauben (Nr. 2, Takt 12; Nr. 9; Nr. 12), von Tonbewegungen (aus tiefster Lage aufschießendes Glissando, das in einem dichten Cluster mündet: Nr. 2, T. 1, 2 12), von fortwährend wiederholten (dabei aber auch fortwährend subtil variierten) Intervallen (Nr. 8), melodischen oder harmonischen Begleitmustern (Nr. 4, Nr. 7). Die Überlagerung von akkordischer Begleitung und Melodie (Nr. 1, Takt 7-8) tritt in späteren Stücken (Nr. 3, Nr. 5, Nr. 7) verstärkt in Erscheinung. Zweistimmigkeit mit synchronen Kopplungen zweier Stimmen (Nr. 1: T. 9 und, als erweiterte intervallische Variante, T. 10-11) findet ihr Gegenstück in zweistimmig polyphoner Kanonik (Nr. 6). Verwandtschaften zwischen erstem und letztem Takt finden sich außer im ersten auch in anderen Stücken (Nr. 3: einstimmig beginnend mit der Oberstimme, abschließend einstimmig zurückführend zu deren Anfangstönen in der Unterstimme).

Das Werk, das nach der Uraufführung (Paris 1945) für längere Zeit in Vergessenheit geraten schien, hat sich gleichwohl als bedeutsam erwiesen nicht nur für die allgemeine Musikentwicklung (die Modernisierung und konstruktive Radikalisierung der Zwölftonmusik),sondern insbesondere auch für die kompositorische Entwicklung von Boulez selbst. Zwei Stücke des Zyklus (Nr. 5 und 9) erscheinen später, kammermusikalisch apart orchestriert, in seiner 1958 uraufgeführten "Improvisation I sur Mallarmé", dem zuerst vollendeten Teilstück seines monumentalen Mallarmé-Zyklus "Pli selon Pli". 1978 ließ Boulez den vollständigen Klavierzyklus erneut aufführen (wiederum im Pariser Rundfunk), und danach begann er damit, einzelne Stücke für Orchester umzuarbeiten. Die ersten vier Stücke gelangten 1980 zur Uraufführung, die Umgestaltung eines weiteren (Nr. 7) wurde erst in den späten neunziger Jahren abgeschlossen. So hat sich ein knapper, konstruktiv geschlossener und wahrscheinlich relativ rasch komponierter Zyklus kurzer Solostücke verwandelt in ein größer dimensioniertes "work in progress", dessen (in der Abfolge nunmehr als variabel behandelte) Einzelstücke aus den Klaviervorlagen nicht einfach durch Orchestrierung, sondern vielmehr durch kompositorische Umgestaltung mit vielfältigen Multiplikationen und Transformationen der einzelnen strukturellen Zellen abgeleitet sind. Der originale Klavierzyklkus, der einen wichtigen Schritt auf dem Wege zu einer neuen Etappe der Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts markiert, hat also letztlich nicht nur im damaligen Stadium neue Wege eröffnet, sondern sich später auch als lebenskräftiger Keim neuer Verwandlungen erwiesen, die sogar die ursprüngliche Komposition selbst wieder in Frage stellten und sie umfunktionierten zum Keim neuartiger, über bisher Bekanntes hinausführender musikalischer Zusammenhänge.

John Cage: Williams Mix (1952)

Die tape music von John Cage und seinen Freunden entwickelte sich 1952 einerseits im deutlichen Kontrast zur frühen musique concrète, andererseits teilweise verwandt mit minutiösen Montagetechniken, wie sie sich in den ersten (seriell inspirierten) konkreten Tonbandmontagen etwa von Pierre Henry, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen finden.

Cage präsentiert in seiner Komposition Williams Mix kein Resultat spontaner, unmittelbar vom Ohr kontrollierter Montage, sondern eine von vielen möglichen Realisationen seiner vorgegebenen Partitur. Diese Partitur, die durch Zufallsmanipulationen zustandekam, beschreibt nicht das genaue Klangresultat, sondern ist eine Anweisung zur Bandmontage. Vorgegeben sind Typ und Eigenschaften der Klänge, die Anzahl der Spuren (8) sowie Länge und Form der zusammenmontierten Tonbandstücke.

Ivo Malec: Reflets (Spiegelungen) (1961)

Der Höreindruck wird bestimmt von unregelmäßig wiederkehrende Elementen: dumpf hallende Schläge (manchmal als Zupfklänge auf tiefen Klaviersaiten identifizierbar), ein oszillierender Zweiklang in verschiedenen Lagen, leise knisternde Geräusche. Malec unterschied bei der Komposition zwischen Material-Auswahl (meist Instrumentalaufnahmen), Material-Exposition (in der Originalgestalt) und Material-Wiederholung nach einem strengen Ablaufschema.

Helmut Lachenmann: Wiegenmusik

1963 geschrieben. Zugrunde lag eine Klangvorstellung als Resultat von periodisch bzw. kontinuierlich sich auffüllenden Intervall-Konstellationen. Es ergab sich ein Gefüge aus vielfach verzweigten Arpeggio-Fiuren, hinter denen sich durch verschiedene Formen von tenuto-Ausfilterungen bzw. Pedalisierungen eigene harmonische Ebenen verselbständigen.

Die ritardando-Tendenz erlaubt die Assoziation: "Kind im Einschlummern", quasi als Psychogramm abgewandelt.

Luigi Nono: Über elektronische Musik

Die Musik hat für ihre Klangverwirklichung immer jene, in verschiedener Weise bestimmten Mittel, die aus einer bestimmten historischen Situation in der Entwicklung der technisch-sprachlich-strukturellen Möglichkeiten folgen, verwendet. Natürlich geben diese neuen Möglichkeiten den Anstoß zu neuen Konzepten.

Dies geschieht auch heute, besonders im Zusammenhang mit den elektronischen Mitteln.

Die neue elektronische Dimension ist heute wirklich im lebendigen zeitgenössischen Musikleben, mit den verschiedenen Möglichkeiten der Verwendung und Entwicklung, die immer noch vor sich gehen, eine vollendete Tatsache.

Die jüngste Geschichte der elektronischen Praxis faßt sich in der sich aus ihr ergebenden Musik zusammen. Weshalb besteht man auf der Bezeichnung "experimentelle Musik"? Vielleicht aus einer faulen Unterordnung unter ästhetische Kategorien, die heute eine Verzögerung, wenn nicht sogar einen offenen Widerstand gegen das Verständnis der neuen schöpferisch-gestalterischen Fähigkeiten des Menschen darstellen?

Oder vielleicht auf Grund eines falschen Humanismus, der die angebliche heutige technische Materialität verachtet?

(Luigi Nono 1961)

zitiert nach Jürg Stenzl (Hrsg.): Luigi Nono - Texte, Studien zu seiner Musik.

Zürich und Freiburg 1975, S. 149

Luigi Nonos elektronische Komposition Omaggio a Vedova (1960) ist dem ihm befreundeten, 1919 geborenen venezianischen Maler Emilio Vedova gewidmet, der, wie Gerhard O. Koch beobachtet hat, "in der ekstatischen Farbenpracht seines expressiven Tachismus" "dem hochgespannten musikalischen Temperament Nonos" nahekommt.

Luigi Nono: .....sofferte onde serene...

Während sich meine Freundschaft mit Maurizio Pollini wie auch meine staunende Kenntnis seines Klavierspiels vertiefen, hat ein harter Todeswind das "unendliche Lächeln der Wellen" in meiner und Pollinis Familie hinweggefegt.

Diese gemeinsame Erfahrung hat uns in der Trauer des unendlichen Lächelns der ".....durchlittenen heiteren Wellen..." einander noch näher gebracht.

Die Widmung: "Für Maurizio und Marilisa Pollini"meint auch das.

In mein Heim auf der Guidecca in Venedig dringen fortwährend Klänge verschiedener Glocken, sie kommen mit unterschiedlicher Resonanz, unterschiedlichen Bedeutungen, Tag und Nacht, durch den Nebel und in der Sonne.

Es sind Lebenszeichen über der Lagune, über dem Meer.

Aufforderungen zur Arbeit, zum Nachdenken, Warnungen.

Und das Leben geht dabei weiter in der durchlittenen und heiteren Notwendigkeit des "Gleichgewichts im tiefen Inneren", wie Kfka sagt.

Pollini: Klavier live, erweitert sich mit Pollini: Klavier auf Tonband bearbeitet und komponiert.

Weder kontra-stierend noch kontra-punktierend.

Pollinis im Studio hergestellte Aufnahmen, vor allem Einsätze, sein außerordentlich artikulierter Anschlag, verschiedene Intervallfelder, sind später auf dem Tonband verarbeitet worden, ebenfalls im Studio di Fonologia der RAI in Mailand mit Hilfe von Marino Zuccheri.

Daraus ergeben sich zwei Klangebenen, die oft verschmelzen und dabei die mechanische Fremdheit des Tonbandes aufheben.

Zwischen ihnen beiden sind die Beziehungen in der Klangbildung untersucht worden; darunter auch die Verwendung des Vibrierens der Pedalschläge - vielleicht besondere Anklänge "im tiefen Inneren".

Es sind nicht "Episoden", die sich in der Abfolge erschöpfen, sondern "Erinnerungen" und "Gegenwärtigkeiten", die sich überlagern, die sich indes als Erinnerungen, als gEgenwarten, mit den "heiteren Wellen" vermischen.

Luigi Nono (deutsche Übersetzung: Catherine Stenzl)
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