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4.24 Da99Soli-Interaktionen.doc


Soli-Interaktionen

Morton Feldmann: Intermission 6 (1953) - Karlheinz Stockhausen: Klavierstück XI (1956)

Morton Feldman: Intermission 6, for one or two pianos (1953)

Die Partitur des Stückes besteht aus 15 voneinander isolierten Zellen, die als Einzeltöne, Zwei- oder Dreiklänge, als lange Töne unbestimmter Dauer oder als Vorschlagsnoten auf ein Blatt geschrieben sind und in verschiedener Abfolge gespielt werden sollen. In den Spielanweisungen heißt es:

Composition begins with any sound and proceeds to any other. With a minimum of attack, hold each sound until barely audible. Grace notes are not played too quickly. All sounds are to be played as soft as possible.

This "Intermission" may be played with either one or two pianos.

Die notierten, frei über das Blatt verteilten Zellen sind:

- Einzeltöne: A, e4 (vor Beginn 1/8 Pause), cis1, des (Vorschlagsnote, Oktave zu cis1), d1, c1, g2

- Zweiklänge (Töne im Abstand von 3 Oktaven): c1-c4, d-d3

- Dreiklänge (Dreitonakkorde): Ges-ais1-h2,, gis-f1-gis2, B-es3-a4, es-es1-f1 (nach 1/8-Pause, mit Oktave!)

- Vierklänge (Viertonakkorde): Ais-cis1-h1-c3, As-des-g2-a4 (nach Fermatenpause, Vorschlagsnoten)

Karlheinz Stockhausen: Klavierstück XI (1956)

Karlheinz Stockhausens Klavierstück XI (1956) läßt von Aufführung zu Aufführung unterschiedliche Versionen zu. Alle 19 Formteile des Stückes sind auf einem großen Notenblatt aufgezeichnet. Zu Beginn der Aufführung blickt der Pianist "absichtslos" auf die Noten, und er beginnt mit dem Formteil, auf den sein Blick zuerst gefallen ist. Am Schluß dieses Formteils findet er Anweisungen darüber, in welcher Weise er den nächsten Formteil spielen soll (in welchem Tempo, in welcher Grundlautstärke und in welcher Artikulation). Welcher der 19 Formteile nach diesen Anweisungen gespielt werden soll, entscheidet sich wiederum im "absichtslosen" Blick des Interpreten. Entsprechend geht es weiter von Formteil zu Formteil. -

Es gibt ausnotierte Varianten für den (in jeder Aufführung irgendwann eintretenden) Fall, daß der Blick des Interpreten auf einen Formteil fällt, der zuvor schon gespielt worden ist. Der Komponist möchte also nach Möglichkeit vermeiden, daß irgendein Formteil im Laufe einer Aufführung unverändert wiederkehrt. Wichtiger erscheint ihm, daß derselbe Notentext auf viele verschiedene Weisen interpretiert werden kann - sogar im Laufe desselben Stückes. In dieser Vorstellung spiegelt sich die kompositorische Grundidee des gesamten Stückes: In jedem der 19 Formteile findet man keimhaft alles, was für die gesamte Komposition charakteristisch ist: Eine rhythmische Zellstruktur mit festen Zeiteinteilungen und sie aufbrechenden "kleinen Noten", dargestellt in charakteristischen Abfolgen von Einzeltönen oder Tongruppen.

Jeder der 19 Formteile kann am Anfang, aber auch am Ende einer Aufführung stehen. (Eine Aufführung ist nämlich dann zu Ende, wenn der Blick des Interpreten einen Formteil zum drittenmal "findet"; dieser Teil darf dann nicht mehr gespielt werden.)

Jeder Formteil kann an beliebiger Stelle einer Version vorkommen. Nicht nur die Abfolge, sondern auch die Anzahl der Versionen kann sich von Aufführung zu Aufführung ändern: Es kann vorkommen, daß verschiedene Formteile in einer bestimmten Version gar nicht gespielt w erden oder daß zahlreiche Formteile zweimal vorkommen und dadurch ein exponiert vielgliedriger Ablauf entsteht.

Die verschiedenen denkbaren Versionen des Stückes sind untereinander in ähnlicher Weise verwandt wie die Formteile des Stückes: als vielfältige Varianten einer einheitlichen, den Gesamteindruck prägenden Grundidee.

Mauricio Kagel: Exotica (1970/71) für aussereuropäische Instrumente

Die Situation erscheint mir ungewöhnlich. Während ich diese Einführung zu EXOTICA schreibe, ist die Komposition weder fertig, noch scheint es sicher, ob alle Instrumente, die ich zur Schallplatten-Aufnahme bestellt habe und die aus allen Himmelsrichtungen nach München kommen sollen, dort tatsächlich vorhanden sein werden.

Ich möchte nicht verheimlichen, dass ich viele dieser Instrumente nur von Abbildungen her kenne und deswegen kaum imstande bin, angemessen für sie zu schreiben. Aber dies schadet der Sache wenig: die Ausführenden werden auch nicht in der Lage sein, die zusammengetragenen Klangerzeuger instrumentengerecht zu traktieren.

Es war immer mein Wunsch, ein Stück zu komponieren, dessen wesentliche Bedingung für die Mitwirkenden darin bestünde, jeweils nicht das Instrument zu spielen, auf dem sie jahrelang trainiert haben, sondern nur eines, dass sie nicht beherrschen. (Mit einem grossen Orchester würde die Durchführung dieses Prinzips unvorstellbare Klangzustände hervorrufen: ein guter Teil der auf Anhieb produzierten Unvollkommenheit könnte Neuer Musik in vollendeter Interpretation ähnlich werden; der andere Teil wiederum würde das fachliche Können der Mitwirkenden so infrage stellen, dass jene aus Entsetzen und Panik, vielleicht auch aus Ironie und Freude heraus tatsächlich Musik erfinden würden. Sicher wären Musiker weisser Hautfarbe mit diesem Stück nicht glücklich. Aber andere?)

Mauricio Kagel, November 1971

Toshio Hosokawa: Nachtstück (1994/96)

Toshio Hosokawa wurde 1955 in Hiroshima geboren. Er gehört heute zu den profliertesten japanischen Komponisten unserer Zeit und wird mehr und mehr auch in Europa bekannt; bei den wichtigsten internationalen Festivals für Neue Musik ist er mit seinen Kompositionen regelmäßig präsent. Zu seinen Lehrern im Fach Komposition zählen Isang Yun (1976 in Berlin) sowie vor allem Klaus Huber und Brian Ferneyhough (1983-1986 in Freiburg). An der Berliner Hochschule der KÜnste studierte Hosokawa bei B. Kuhner und W. Szalonek Klavier und Musiktheorie. Beim Kompositionswettbewerb aus Anlaß des 100. Geburtstages der Berliner Philharmoniker erhielt er den ersten Preis. Unter den weiteren Auszeichnungen sind zu nennen ein erster Preis beim Wettbewerb für junge Komponisten in Tokyo und der Kompositionspreis der "Jungen Generation in Europa" (Köln, Paris, Venedig 1985). Hosokawa lehrt regelmäßig bei den Darmstädter Frrienkursen für Neue Musik; in Japan hat er mit dem Akiyoshidai-Festival eine vergleichbare Einrichtung geschaffen.

Hosokawas Musik ist eine Mischung aus japanischer Klangwelt und europäischer Instrumentaltechnik. Seine Klangvorstellungen richten sich - auch in seinem Nachtstück - stark nach innen. Töne, die er aus allen Lebenserscheinungen heraushört, ordnet er neu; dabei geht es ihm darum, das Gehörte musikalisch zu verfeinern und zu vertiefen. Besonders stark ist seine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Zeit.
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