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Rudolf Frisius
RAUMKLÄNGE - KLANGRÄUME
Zur elektronischen Musik von Sabine Schäfer
1. Topophonic Scenes von Anfang bis Pause (oder Top. Zones I Sprachgewirr und Comp.flügel)
Sabine Schäfer ist eine Musikerin, die eingefahrene Wege meidet. Eine konventionelle komositorische Karriere, die sich auf festivalgeeignete Auftragswerke für weitgehend traditionelle Besetzungen stützen würde, hat sie nicht angestrebt. Wichtiger erschienen ihr Präsentationen jenseits des etablierten Musikmarktes, z. B. in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern im Rahmen von Kunstausstellungen oder audiovisuellen environments. Auch ihr Interesse für technifizierte Instrumente wie den Computerflügel und für elektroakustische Musik kann, zumindest im deutschen Musikleben, für Angehörige ihrer Komponistengeneration als durchaus ungewöhnlich gelten.
Bemerkenswert ist überdies, daß Sabine Schäfers kompositorische Entwicklung engstens verknüpft ist mit einem Bereich, der von vielen im Antagonismus zur Komposition gesehen wird - nämlich mit dem Bereich der Improvisation. Für Sabine Schäfer war dieser Bereich seit ihrer Studienzeit wichtig, und er wurde in wichtigen Aspekten später zur Basis ihrer kompositorischen Arbeit.
2. Panta Rhei, Ausschnitt (Improvisation Sabine Schäfer - Helmut Bieler-Wendt)
Sabine Schäfer, Jahrgang 1957, hat von 1979 bis 1983 ihre professionelle Ausbildung an der Musikhochschule Karlsruhe erhalten. Sie studierte nicht nur Klavier bei Günter Reinhold, sondern auch Analyse, Theorie und Improvisation bei Eugen Werner Velte. Velte war ein einfallsreicher, unorthodoxer Lehrer, von dessen Anregungen so unterschiedliche kompositorische Talente wie Wolfgang Rihm, Volker Heyn und Joachim Krebs profitiert haben. Von den meisten seiner Professorenkollegen an deutschen Musikhochschulen unterschied er sich nicht zuletzt dadurch, daß er nicht nur eine Kompositionsklasse leitete, sondern auch hierfür begabte Studenten intensiv zum Improvisieren ermutigte - zum Beispiel den Geiger Helmut Bieler-Wendt und Sabine Schäfer, die Klavier (und später auch Synthesizer) spielte. Beide hatten zunächst in der von Velte gegründeten "Gruppe Kreativ" gespielt und sich dann 1982 zu einem eigenen Improvisationsduo zusammengeschlossen. Aus der mehrjährigen Arbeit dieser Gruppe erklärt es sich, daß die erste Schallplatten-Veröffentlichung von Sabine Schäfer eine Improvisations-Schallplatte ist, die den Namen des improvisierenden Duos trägt: Panta rhei.
3. (evtl.) Panta rhei (Duoausschnitt mit Klavier - evtl. Forts. von 2.)
Die Zusammenarbeit zwichen Sabine Schäfer und Helmut Bieler-Wendet im Bereich der Improvisation hat schon frühzeitig auch über die Grenzen der Musik hinausgeführt. 1981 engagierten beide sich, zusammen mit anderen Karlsruher Künstlern, in einer Multi-Media-Theater-Aktion namens "Altstadtrevue", die in einer Ausstellung zur Karlsruher Alststadtsanierung im Künstlerhaus Karlsruhe stattfand. 1982 folgte eine sechzehnstündige Multi-Media-Aktion mit Karlsruher Künstlern in einer Ausstellung der Malerin Sibylle Wagner, mit der Sabine Schäfer auch in späteren Jahren mehrfach zusammengearbeitet hat. Auch in der Folgezeit traten Sabine Schäfer und Helmut Bieler-Wendet mehrfach bei Ausstellungseröffnungen auf. Außerdem arbeiteten sie zeitweise in einer Performance-Musik-Gruppe zusammen mit dem Bildhauer Ralf de Moll und kombinierten ihre Musik bei mehreren Gelegenheiten mit Tanztheaterprojekten. Schon 1985 - in dem Jahre, als das Improvisations-Duo sich den Namen "Panta rhei" gab - wurden in einem Projekt live-Elektronik (Baritonviolektra, Synthesizer) und Tonbandwiedergabe kombiniert, wobei - wie es in einer Zeitungskritik hieß - die live-Musiker "dem Tonbandgetöse eine starr stehende, letztlich zerbröckelnde Wand" entgegenstellten. - Aus einem Informationstext des Duos und aus verschiedenen Kritiken läßt sich überdies ablesen, daß beide immer wieder auch andere Musiker an ihren Auftritten beteiligten, ebenso wie sie die wechselnde Zusammenarbeit mit Künstlern aus unterschiedlichen Kunstbereichen suchten.
Bemerkenswert ist, daß Sabine Schäfer - ähnlich wie ihr Duopartner Helmut Bilder-Wendt - mehrere Jahre improvisatorisch gearbeitet hat, bevor sie an der Karlsruher Musikhochschule offizielle Kompositionsstudien aufnahm.Ursprünglich wollte sie, nachdem sie 1984 ihr Klavierdiplom abgelegt hatte, bei Eugen Werner Velte, ihrem bisherigen Lehrer in Analyse und Improvisation, auch Komposition studieren. Nachdem Velte 1984 plötzlich verstorben war, nahm Sabine Schäfer noch in demselben Jahr Kompositionsstudien bei Mathias Spahlinger auf. 1986 ging sie zu Wolfgang Rihm, der in Karlsruhe die Nachfolge seines einstigen Kompositionslehreres Velte angetreten hatte. In demselben Jahr besuchte Sabine Schäfer erstmals die Darmstädter Ferienkurse. So verstärkten sich die Anregungen zu kompositorischer Arbeit im Bereich der Instrumentalmusik. Dennoch waren die weiter zurückreichenden improvisatorischen Erfahrungen offensichtlich stark genug, um Sabine Schäfer letztlich doch auf andere Wege zu bringen und sie eigene Akzentsetzungen für ihre Arbeit finden zu lassen: Elektronische Musik, Freie Improvisation, Experimentelle Musik. Der Name ihres Duos läßt sich auch auf ihre kompositorische Entwicklung beziehen: Panta rhei.
Panta rhei - alles fließt: Dieses Wort des vorsokratischen Philosophen Heraklit kennzeichnet treffend den besonderen Charakter der Improvisation. Im Zusammenspiel von Sabine Schäfer und Helmut Bieler-Wendt ergeben sich einfache Dialog- und Kontrastbildungen, die einfacher - gleichsam "musikhochschulnäher" - erscheinen könnten als viele nonfigurative Improvisationen etwa aus den späten sechziger Jahren. Für Sabine Schäfer war diese improvisatorische Arbeit offensichtlich unter verschiedenen Aspekten bedeutsam: Einerseits ermöglichte sie eine zugleich behutsame und organische Loslösung von tradierten musiksprachlichen Konventionen. Andererseits ergaben sich in der Arbeit mit dem Synthesizer erste Anregungen zur Auseinandersetzung mit neuartigen Klangmaterialien der elektroakustischen Musik.
4. Panta rhei (Duoausschnitt mit hervortretendem Synthesizer)
Die Improvisation mit dem Synthesizer war für Sabine Schäfer gewissermaßen die praktische Vorbereitung für die spätere intensive Konzentration auf die Elektronische Musik. In ersten Ansätzen zeichnete sich diese Hinwendung zur technisch produzierten Musik schon in der Studienzeit ab: Zwischen 1981 und 1983 hat Sabine Schäfer am Studio für Elektronische Musik der Universität Karlsruhe gearbeitet. Erst in der mehrjährigen improvisatorischen Arbeit aber fand sie ihren eigenen Weg zu dieser damals wie heute in Deutschland relativ wenig gepflegten Musik. Der erste Schritt in diese Richtung bestand darin, daß - wie Sabine Schäfer es später formuliert hat - aus dem zunächst akustischen Improvisationsduo bald auch ein elektronisches wurde. Es kam dazu, daß Helmut Bieler-Wendet statt der Violine eine Bariton-Violektra spielte - ein Instrument mit dem Tonumfang eines Cellos, auf dem man auch mit elektrisch verstärkten Bogengeräusche komplexe Geräusche produzieren konnte. Auch Sabine Schäfer erweiterte ihre Möglichkeiten, indem sie bei verschiedenen Gelegenheiten nicht Klavier, sondern Synthesizer spielte - und dies unter Umständen selbst dann, wenn Helmut Bieler-Wendt nicht Violektra, sondern Violine spielte. Sabine Schäfer berichtet, daß schon bei ihren Improvisationen auf dem Synthesizer sie weniger die Imitation akustischer Instrumente als die Entdeckung neuer Klangfarben interessierte. Das Studium der digitalen Klangsynthese ihres Synthesizers war für sie "der erste Schritt in die Computerwelt". Aufbauend auf mehrjährigen in der live-elektronischen Improvisation gesammelten Erfahrungen entstanden seit den späten achtziger Jahren dann auch fixierte Kompositionen. Als Schwerpunkt der damaligen kompositorischen Arbeit bezeichnet Sabine Schäfer das Studium von elektronisch erzeugten Klangbändern und den Veränderungsmöglichkeiten ihres Innenlebens. In dieser Charakterisierung wird deutlich, wie dezidiert sich ihre Konzeption der Arbeit mir elektroakustischen Klängen von herkömmlicher Instrumentalmusik unterscheidet. In diesem Medium geht es ihr in erster Linie nicht um die Arbeit mit klar abgestuften Tongestalten und leicht identifizierbaren Klangfarben, sondern um das Eindringen in das Innere der Klangmaterie und der permanent fließenden Klangveränderungen. Besonders deutlich wird dies in den vielfältigen Spektralglissandi der 1989 entstandenen Komposition "Irisierend".
5. Irisierend, Elektronische Musik (1989), Anfang (Gesamtdauer 8´12)
Sabine Schäfers Arbeit mit kontinuierlich fließenden Klängen war der Versuch, mit relativ einfachen Mitteln möglichst komplexe, den modernen elektronischen Möglichkeiten adäquate Klangwirkungen zu erreichen. In diesem Sinne realisierte sie 1989, im Entstehungsjahr der Komposition "Irisierend", auch die kontinuierliche Klangstudie "Metamorphose I", in der drei parallel laufende frequenzmodulierende Sinusgeneratorenpaare zur Verwendung kommen, die ihr Frequenzspektrum in unterschiedlicher Fließgeschwindigkeit verändern.
evtl. 6. Metamophose I (1989), Elektronische Musik (Ausschnitt von Anfang) (Gesamtdauer 5´45)
Die Arbeit im elektronischen Studio und die instrumentale, stark improvisatorisch geprägte Spielpraxis waren für Sabine Schäfer keine unüberbrückbaren Gegensätze. Für sie lag es deswegen nahe, sich nicht nur mit reiner Tonbandmusik zu befassen, sondern auch mit Verbindungen live gespielter und vom Tonband wiedergegebener Musik. Die sinnfälligste Spielart dieser Kombinationsform, die bei den Franzosen "musique mixte" (also: "gemischte Musik") heißt, ist Musik für Tonband und ein Soloinstrument, bei der meistens die Tonbandklänge durch technische Verarbeitung von Tönen und Klangeffekten des Soloinstrumentes entstehen. Ein solches Stück hat Sabine Schäfer 1990 für den Kontrabassisten Johannes Frisch komponiert - einen Musiker, der auch in Improvisationen häufig mit ihr zusammengespielt hat. Das Stück heißt "shape I - Musik für Kontrabaß solo und Tonband". (In einer früheren Titel-Formulierung heißt diese Komposition "Musik für Kontrabaß solo und Elektronik"). Auch in diesem Stück sind gleitende Klangfarbenveränderungen von wesentlicher Bedeutung. Dies wird auch in den Spielanweisungen der Partitur deutlich hervorgehoben, wenn dort begründet wird, warum der Solist fast ausschließlich am Steg spielen soll. Sabine Schäfer macht deutlich, daß dies der klanglichen Verschmelzung von live-Part und Tonbandwiedergabe sowie der organischen Klangentwicklung dienen soll. Intendiert ist nach ihren Worten "eine spezielle Art von Klangfarbenspiel, das sich oft intensiv mit der gleichzeitig - oder kurz davor bzw. danach - erklingenden Klangfarbe des Tonbandklanges verbindet (verbinden soll). Grundsätzlich sollten über das sul ponticello-Spiel die Obertonstrukturen dynamisch, intensiv, melodiös - immer in Bewegung seiend, mit stetig (sich) verändernden Anteilen an Geräuschhaftigkeit - gespielt werden."
In der Solopartie finden sich zahlreiche Differenzierungen zwischen Ton und Geräusch - z. B. durch das Spiel auf der Stegkante, durch unterschiedliche Flageolett- und Obertoneffekte und durch Klangfarbenübergänge etwa vom Steg zum Griffbrett. Die meist langsamen Farbveränderungen in der live-Partie überlagern sich mit dichteren Klangmassierungen im Tonbandpart - zunächst mit Impulsketten, später auch mit abrupten Gruppierungen verfremdeter Pizzikati und mit dichten Glissandoknäueln. Im Schlußabschnitt des Stückes tritt die live-Partie mit verschiedenen improvisatorischen Freiheiten wieder stärker in den Vordergrund. Man findet hier beispielsweise schnelle rhythmisierte Bogenbewegungen auf einer Position, schroffe Akzente mit extrem starkem Bogendruck und geräuschhafte Klänge, die durch perkussives Anstreichen oder durch Drehbewegungen des Bogens auf den Saiten entstehen.
Der gesamte Formprozeß des Stückes läßt sich charakterisieren als Resultante komplexer Fließbewegungen zwischen Ton und Geräusch, zwischen lang ausgehaltenen, weiträumig gleitenden, schneidend akzentuierten und in Impulsen dicht massierten Klängen.
Das Stück beginnt stark geräuschhaft in tiefer Lage und entwickelt sich anschließend klangdynamisch weiter in höhere Lagen hinein - bis zu scharfen, splitternden Klangakzenten. Später kommen kontrastierende Elemente hinzu: Kurze Zupftöne - ein Tremolo - gleichsam "erstickte" Klänge. Danach kommt die Musik wieder stärker in Bewegung, geht über zu quasi glissandierenden Tonbewegungen und schärfer exponierten Kratzgeräuschen, bevor sie schließlich wieder leiser wird und in tiefere Lage absinkt.
Die Komplexität der Klangverarbeitung im Tonbandpart ist hier so stark, daß die live-Partie nicht selten wesentlich einfacher erscheint - wie eine nur leise Andeutung des Farbreichtums der Tonbandklänge, die allerdings gerade im Vergleich mit den instrumentalen Klängen auch um so brillanter erscheinen können.
Eine Aufnahme des Stückes, deren Solopart Johannes Frisch spielte und deren Tontechnik Sabine Schäfer und Joachim Krebs besorgten, entstand im Digitalschnitt im Computerstudio des Instituts für Neue Musik an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe.
7. shape I, Musik für Kontrabaß solo und Tonband, 1990. Ausschn. v. Anf. (Dauer 10´40)
Das Verhältnis zwischen traditionellen Instrumentalklängen und ihren technischen Transformationsmöglichkeiten hat Sabine Schäfer nicht zuletzt auch an ihrem eigenen Instrument untersucht: am Klavier. Gleichsam als Gegenstück zu ihrer Musik für Kontrabaß solo und Tonband komponierte sie zwei Jahre später, im Jahre 1992, eine "Musik für Klavier solo und Computerflügel". In diesem 21minütigen Werk ist die Verbindung zwischen live gespielten und digital gesteuerten Partien koordiniert mit der Unterscheidung zwischen plastischen, meist live gespielten Tongestalten einerseits und eher ornamental begleitend wirkenden Läufen im Computerflügel andererseits.
Die Uraufführung des Werkes fand am 19. September 1992 anläßlich der 8. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie statt. Den Solopart spielte Günter Reinhold.
8. Musik für Klavier solo und Computerflügel. Ausschnitt von Anfang
Die "Auseinandersetzung mit Selbstspielklavieren" ist für Sabine Schäfer seit 1990 ein Hauptarbeitsgebiet. Zunächst testete sie in Wien bei der Firmal Bösendorfer einen Konzerflügel mit einer eingebauten Elektronik, die die Mechanik des Instrumentes steuert: einen Computerflügel. Für die genauere Ausarbeitung erwies es sich als notwendig, die Zusammenhänge zwischen eingegebenen Daten (etwa für für Lautstärke und Dauer) und musikalischen Resultaten genauer experimentell zu untersuchen. Zusammen mit dem niederländischen Musikwissenschaftler Alcedo Coenen führte Sabine Schäfer 1991 vergleichende Unersuchungen an Selbstbauklavieren verschiedener Firmen durch - z. B. Ermittlungen der jeweils maximalen Geschwindigkeiten (von Läufen oder Tonrepetitionen) oder Akkorddichten, von Möglichkeiten der Realisierung extrem kurzer und esxtrem langer Töne. Im Vergleich zeigten sich besondere Möglichkeiten des Computerflügels, z. B. beim extrem leisen und schnellen Abspielen von Skalen.
evtl. 8a. rasche und leise Skalen
Auch die Möglichkeiten der raschen Repitionen wurden getestet - und zwar nicht nur im Vergleich verschiedener Instrumente, sondern auch in der Abhängigkeit von Tonhöhe und Tondauer (wobei höhere, lautere und längere Töne bessere Repetitionsmöglichkeiten boten).
evgtl. 8b. hohe, laute und lange Töne in rascher Repetition
Besonders sinnfällige, dem konventionellen live-Klavierspiel deutlich überlegene Möglichkeiten des Computerflügels ergeben beim gleichzeitigen Anschlag vieler Tasten, also in sehr dichten Akkorden; so können beispielsweise auf dem Computerflügel bis zu 32 Tasten gleichzeitig angeschlagen werden, was - zumal in Kombination mit live gespielten Akkorden - in extrem kompakten harmonischen Massierungen ausgenutzt werden kann.
evtl. 8c. extrem dichte Akkorde live und Comp.flügel Höhep. Musik...
Aus den technischen Möglichkeiten des Computerflügels ergeben sich neue Möglichkeiten der kompositorischen Gestaltung, z. B.:
- Ausführbarkeit von Passagen in extrem hoher Geschwindigkeit und mit vielen Tönen gleichzeitig auch in extrem großen Intervallabständen (also unabhängig von manuellen Möglichkeiten)
- Große Differenzierungsmöglichkeiten in den Bereichen Metrum und Tempo
- hohe dynamische Präzision (z. B. bei der Überlagerung oder Abfolge extrem unterschiedlicher Lautstärken)
- polyphone Komplexität, auch mit schichtweise verschiedenen Bestimmungen der Tempi, der dynamischen Werte, der Lagen und Dichten.
Charakteristisch für Sabine Schäfers Arbeit mit dem Computerflügel ist einerseits die Suche nach vollkommen neuen, im live-Spiel nicht darstellbaren Klangmöglichketien, andererseits der Versuch, Klangstrukturen auf dem Computerflügel mit anderen Klangmaterialien zu verbinden - z. B. mit live-Klavierspiel oder mit elektronischen Klängen. Besonders im ersten Falle treten die neuartigen Möglichkeiten des Compterflügels besonders sinnfällig hervor. Beispielsweisde eröffnet Sabine Schäfer einen dreiteiligen Zyklus von Studien für den Computerflügel mit komplexen Glissando-Kaskaden, die sich von live-Passagen unterscheiden durch ihre genau kontrollierte Dynamik (vor allem im leisen Bereich) und ihre dichten Schichtungen. So wird die Studie "Glissando Cascades" zu einem interessanten Kontrastmodell zu traditionellem Passagenwerk.
8x.glissando cascades 3´20
Eine zweite Studie für Computerflügel konzentriert sich auf Repetitionen, wobei verschiedene überlagerte Töne teils synchron, in Akkordrepetitionen, sich bewegen, teils asynchron (d. h. in der Überlagerung unterschiedlich schneller Repetitionen). So wird die Studie "chords and repetitions" zu einem variablen Gestaltungsfeld der pulsierenden Töne und Akkorde.
8y. chords and repetitions 4´40
Die dritte Studie, eine "Hommage à Steve Reich", charakterisiert Sabine Schäfer als ein minimalistisches Abschlußstück, in dem nach ihren Worten Akzentverflechtungen immer neue Vorder- und Hintergrundsklangflächen bilden, bis am Schluß des Stückes die akkordische Synchronität zerbricht und übergeht in individuell ritardierende Töne.
8z. Studie III hommage... 6´20
Bereits 1991, ein Jahr vor der "Musik für Klavier solo und Computerflügel", hat Sabine Schäfer drei "studies on computer controlled piano" komponiert. Schon im ersten der drei Stücke werden die neuartigen Möglichkeit des computerkontrollierten Klaviers deutlich. Dieser Satz heißt "Glissando Cascades". Er beginnt mit raschen Läufen im Wechsel zwischen zwei verschiedenen Lagen. Später kommen deutlich artikulierte tiefere Lagen und plastische Lautstärkekontraste hinzu. Es entwickelt sich eine facettenreiche, komplexe Musik, die über die Möglichkeiten einer virtuosen live-Interpretation weit hinausführt.
9. studies on computer controlled piano: Nr. 1 Glissando Cascades 3´20
Die zweite Studie für Computerklavier heißt "Chords and Repetitions". Es ist eine vielschichtige Musik der repetierten Töne in wechselnden Akkorden, wobei sich an zentraler Stelle des Stückes pulsierende Repetitionen in drei verschiedenen Geschwindigkeiten überlagern. In vielfältigen Wechseln von Lagen, Tempi und Pedalisierungen entfaltet sich diese facettenreiche Musik der Akkord-Figurationen.
10. studies Nr. 2 Chords and Repetitions 4´40
Die dritte Studie für Computerklavier, eine "Hommage à Steve Reich", ist - wie man es auch in anderen mehrteiligen Kompositionen von Sabine Schäfer findet - eine originelle, in den Details differenziert ausgearbeitete minimal music mit wechselnden Akkorden und Akkordrhythmen.
11. studies Nr. 3 Hommage à Steve Reich 6´20 (evtl. nur längerer Ausschnitt von Anfang)
Selbst dann, wenn sich bei Sabine Schäfe noch Berührungspunkte zur traditionellen Instrumentalpraxis finden, strebt ihre Musik über deren Grenzen offensichtlich hinaus. Traditionelle Instrumentalklänge und Klangstrukturen verwandeln sich durch die technische Manipulation in etwas Neues.
Noch deutlicher werden die neuartigen Klangwirkungen der technisch geprägten Musik dann, wenn wie sich von Assoziationen an bekannte Instrumentalklangfarben vollständig lösen - zum Beispiel in der 1992 entstandenen Hörspielmusik "Insert", in der ein science-fiction-Text von Villem Flusser sich verbindet mit Geräuschen und vibrierenden Tönen.
12. Insert I. Hörspielmusik 1992. Text: Villem Flusser. 4´30
Je weiter sich Sabine Schäfer von der traditionellen Instrumentalmusik abkehrte und der elektroakustischen Klangwelt zuwandte, desto intensiver wurde ihr Interesse an neuen Formen klanglicher Präsentation, an Alternativen zur traditionellen Konzertpraxis. So erklärt es sich, daß in den neunziger Jahren mehrere Studioproduktionen entstanden, in denen neue Klangwirkungen sich verbinden mit neuen Raumwirkungen. Sabine Schäfer ist sich dessen bewußt, daß zugleich mit neuen Ansätzen der musikalischen Raumkomposition sich auch musikübergreifende Aspekte entwickeln lassen - etwa in der Weise, daß die räumliche Klangplastik auch visuell erfahrbar wird, daß die Musik sich in eine Klanginstallation integriert. Dies geschieht in dem Projekt "The spiritual location of sound". In dieser Arbeit, die ursprünglich als Klanginstallationsmusik für einen Kirchenraum konzipiert war, geht es um die musikalische Artikulation verschiedener Raumdimensionen - nicht nur in der Ebene, sondern auch in der Differenzierung von Höhe und Tiefe. Der musikalische Formverlauf ist so angelegt, daß der Raum in seinen verschiedenen Dimensionen behutsam erschlossen und allmählich, Schritt für Schritt belebt wird.
13. The spiritual location of sound (bis Anfang der rhythmischen Belebung - evtl. je nach Sendenzeit vorher Anfang kürzen)
In der elektroakustischen Musik von Sabine Schäfer spielen neue Beziehungen zwischen Klang und Raum eine wichtige Rolle. In verschiedenen Werken hat sie Techniken der digitalen Klangverteilung auf ein größeres Lautsprecherensemble angewandt - bald im audiovisuellen Kontext von Klanginstallationen, bald in reinen Hörstücken. Mehrere dieser Stücke sind zu einem Zyklus von sogenannten "Topophonien" zusammengefaßt, dessen Leitbegriff auch in den einzelnen Werktiteln immer wieder hervorgehoben wird: "Topophonic Spheres", "Topophonic Zones", "Topophonic Scenes". In diesen Stücken sind die Klänge auf bis zu 16 verschiedene Lautsprecher aufgeteilt und in prägnanten Formen der räumlichen Bewegung auskomponiert. Es kommt zu einprägsamen klangplastischen Konstellationen, bei denen sich - je nach Herkunft der Klänge - spezifisch unterschiedliche Klangwirkungen ergeben können: Für konkrete, d. h. an die reale Hörwelt erinnernde, für eher abstrakte elektronische oder für aus neuartigen Farbmischungen entstehende, morphologisch mehrdeutige Klänge. Das Klangmaterial wird so vielseitig eingesetzt, daß sich auch rein musikalische Strukturen in umfassendere Zusammenhänge einer musikübergreifenden Akustischen Kunst integrieren lassen - in der Öffnung sei es zum Hörspiel, sei es zur Musikcollage (also zur "Musik über Musik", zu Musik zweiten Grades), sei es zur musikbegleiteten Klanginstallation, sei es zur Anekdotischen Musik.
Charakteristisch unterschiedliche Möglichkeiten präsentieren sich in der dreiteiligen Komposition "Topophonic Spheres", die 1993 als Auftragsarbeit für eine Tagung des Bundesforschungsminisgteriums und der OECD in Dresden entstand, worauf der Mittelteil als musikalische und zeitgeschichtliche Collage über Dresden Bezug nimmt. Im ersten und dritten Teil stehen innermusikalische Aspekte stärker im Vordergrund. Im ersten Teil konkretisiert sich dies in räumlich flexiblen Konstellationen von scharfen Klangakzenten, dichten Klangflächen und quasi instrumentalen (nämlich mit dem Computerflügel realisierten) Figuren - in vielfältigen Erscheinungsformen von Akzenten und Schnitten, Konfigurationen und Klangströmen.
14. Topophonic Spheres part 1, Ausschnitt von Anfang (Gesamtdauer 10´35)
Im dritten und letzten Teil dieser Komposition setzt Sabine Schäfer Gestaltungsmöglichkeiten ein, die ihr offensichtlich als für prägnante Schlußwirkungen besonders geeignet erscheinen. Die minimalistischen Tonstrukturen sind hier ähnlich konturiert wie im Schlußstück der "studies on computer controlled piano", in der "Hommage à Steve Reich". Neu ist allerdings in den "Topophonic Spheres" die hochdifferenzierte 16kanalige Raumdisposition, die selbst in einer Stereofassung des Werkes in subtilen inneren Klangbewegungen spürbar wird.
15. Topophonic Spheres part III Ausschnitt von Anfang (Gesamtdauer 9´25)
Auch die 1992 entstandenen "Tophophonic Zones" sind dreiteilig. Die Musik entstand für Klanginstallationen in drei aufeinander abgestimmten Räumen. In jedem der drei Teile treten spezifisch unterschiedliche Klangkonstellationen in den Vordergrund. Das erste Stück gehört zu einer Klang-Installation mit dem Titel "A Sound Warp" oder "The fruit of Columbus" (gemeint ist die Kartoffel). Dieses ironisch auf die zwiespältigen, bis in die moderne Massenkultur hineinreichenden Folgen der Conquista verweisende Objekt verbindet sich mit einer Musik der abgerissenen Figuren, der behutsam hinzugemischten silbrigen Klangflächen, der naturgetreuen oder technisch manipulierten Stimmlaute, der Mischung sprachlicher und musikalischer Klangmuster, der surrealistisch einmontierten Geräusche - mit Musik einer babylonischen Vielstimmigkeit der Sprachlaute und Geräusche, mit musikalisch artikulierter Zivilisationskritik.
16. Topophonic Zones I: A sound warp - The fruit of Columbus
(m. Stimmen - Geräuschen) (evtl. am Anf. kürzen) (Gesamtdauer 7´30)
Einen deutlichen klanglichen Kontrast zu "A Sound Warp - The fruit of Columbus" bildet die Klanginstallation "Lost": Musik aus heftigen, komplexen und langgezogenen Geräuschen im Wechsel verschiedener Lagen - belebt durch kontrastreich hinzugemischte, an- und abschwellende Klangschichten und durch im Inneren subtil belebte Geräuschmuster.
17. Tophophonic Zones II: Lost. 4´35
Der dritte Teil der "Topophonic Zones" heißt "Lines between". Er geht aus von einer leicht vibrierenden, obertonreichen Klangfläche. Später setzen sich härtere, stärker metallisch wirkende Klangfarben durch. Die Vibrationen der Klänge verstärken sich - zunächst in der Baßlage, später auch aufsteigend in höhere Lagen. Den Schluß dieses Satzes - und damit der gesamten Komposition - bilden langgezogene, abschwellende Rauschklänge, die an Atemgeräusche erinnern. So präsentiert sich Musik der innerlich bewegten, organisch sich entwickelnden Klänge und Geräusche.
18. Topophonic Zones III: Lines between
Das relativ kurze, knapp achtminütige Hörstück "Topophonic Scenes" ist ein Sonderfall im Zyklus der Topophonien. Musikübergreifende Affinitäten - sei es zum Hörspiel, sei es zur Klanginstallation - bieten sich hier nicht ohne weiteres an. Statt dessen treten hier Klänge in den Vordergrund, die primär durch ihre eigenen, überaus plastischen Färbungen und Verlaufsformen wirken. Das Werk wurde ausgezeichnet mit einem Förderpreis im Rahmen des Medienkunstpreises des Siemens Kulturprogramms München und des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, auf dessen Festival, der "Multimediale", auch im November 1993 die Uraufführung stattfand. Das Stück ist eine energisch zupackende Musik der blitzenden Akzente, der im Raum kreisenden perkussiven Klänge, der sparsam gesetzten Ruhepunkte und der strömenden Bewegungen innerhalb komplexer Klangflächen. Vor allem die brillanten Klangakzente sorgen für eine prägnante Gliederung des Stückes, in dessen Verlauf sie immer wieder die Tore aufstoßen zur Einführung neuer Klangbilder, Klangflächen und Klangbewegungen. Hier verbinden sich Techniken der kräftigen Klangmodellierung mit subtilen, in feinster Mikrotonalität abgestuften Klangschichtungen. Die heftig zupackenden vokalen und elektronischen Impulsklänge, die vor allem den Beginn des Stückes prägen, bezieht die Komponistin auf musikalische Anregungen, die über den engen Bereich der E-Musik-Avantgarde hinausführen: Im Oktover 1993, zur Entstehungszeit des Stückes, besuchte sie die Donaueschinger Musiktage und war besonders beeindruckt vom Auftritt der experimentellen Popgruppe "Einstürzende Neubauten", die sich dort an einer Multimedia-Veranstaltung mit Nam Yun Paik beteiligten. Wahrscheinlich haben diese musikalischedn Anregungen entscheidend dazu beigetragen, daß Sabine Schäfer in diesem Stück überraschend neuartige Klangwirkungen in überzeugender Spontaneität und Frische gelungen sind.
19. Topophonic Scenes 7´50 (evtl. längerer Ausschnitt vom Anfang oder nach Ende von 1.)
Sabine Schäfers Raumkompositionen sind häufig darauf angelegt, die Präsenz der Klänge und Klangbewegungen in verschiedenen Dimensionen deutlich zu machen - in räumlichen Differenzierungen, die den Hörer nicht nur frontal, sondern von allen Seiten umkreisend erreichen und die überdies in unterschiedlichen Raumhöhen gestaffelt sind. Diese alle drei Dimensionen ausschöpfenden räumlichen Dispositionen hat Sabine Schäfer in mehreren Arbeiten auf verschiedenen Wegen erforscht. Danach begann sie damit, die bisher erprobten Raumkonzeptionen in überraschender Weise zu modifizieren: In der Reduktion auf die Fläche. Die Massierung zahlreicher Lautsprecher sollte also nicht mehr dazu führen, daß der Hörer die Klänge ringsum von oben bis unten hören kann. Jetzt ging es vielmehr darum, möglichst viele Fixpunkte auf einer großen Fläche zu markieren, vor der der Hörer sich befindet. Er hat den Kopf den Klängen gleichsam zugewandt, die diesen so wirksamer erreichen, als wenn sie etwa von hinten kämen. Um so genauer lassen sich die Lautsprecher auf einer großen Hörfläche verteilen. Sabine Schäfer ordnet sie an wie ein mathematisches Unendlichkeitszeichen: In mittlerer Höhe befinden sich die Lautsprecher, die die Ausßenpositionen markieren: extrem links und extrem rechts. Genau in der Mitte zwischen ihnen, im Zentrum des gesamten sets, ist ein weiterer Lautsprecher postiert. An dieser Stelle, ebenso wie an den beiden extremen Außenstellen, wird der Klang nur in mittlerer Höhe abgestrahlt. Zwischen diesen drei Markierungspunkten aber gibt es Differenzierungsmöglichkeiten auch in der Höhe: Links und rechts finden sich je vier, zu einem Quadrat zusammengestellte Lautsprecher - jeweils zwei oben und zwei unten. So ergeben sich insgesamt 11 verschiedene Lautsprecherpositionen, zwischen denen Sabine Schäfer ihre Klänge bald in Kurven bewegt, bald sich beidseitig vom Zentrum aus ausbreiten und wieder dorthin zusammenziehen läßt. So bewegen sich die Klänge innerhalb einer Hörfläche; die Konstellation der Lautsprecher ergibt eine Konfiguration, auf die Sabine Schäfer auch im mehrdeutigen Titel eines 1994 begonnenen Stückes anspielt: Ein "Hörbild". Diese "Musik für ein Hörbild" lotet flächige Bewegungsmöglichkeiten von Klängen in verschiedenen Weisen aus: einerseits in kontinuierlich gleitenden Klängen; andererseits in räumlich bewegten Impulsen, die beim Wandern von einem Lautsprecher zum anderen ihre Bewegungsspuren gleichsam als gestrichelte Linien in den Hörraum zeichnen.
Im ersten Teil des Stückes dominieren die bewegten Impulse, die einerseits auf der Fläche hin- und herkreisen, andererseits vom Zentrum auseinanderprallen und von diesem dann gleichsam magnetisch wieder angezogen werden.
20. Hörbild, 1. Teil: Impulse
Zu Beginn des Stückes wird der Raum gleichsam durchlaufen, in weit ausgreifenden Bewegungen erschlossen. Später wird der Raum an mehreren Stellen gleichzeitig markiert. Dann geht es nicht mehr darum, daß bestimmte Klänge von einem Lautsprecher zum anderen wandern. Wichtiger ist statt dessen, daß an verschiedenen Stellen der Hörfläche sich unterschiedliche Klangmuster ausbilden, die sich überlagern, aber dabei ihre räumlichen Positionen behalten. Die Vielfalt der Raumpositionen erschließt sich also nicht in der zeitlichen Abfolge, im Wechsel von einem Klangorgt zum anderen, sondern in der Gleichzeitigkeit, in der Überlagerung verschieden positionierter Klänge.
21. Hörbild, 1. Teil Fortsetzung: Markierung des Raumes: Demo - Ausschnitt aus StückIm weiteren Verlauf des Stückes treten andere Prinzipien der Koordination von Klangbewegung und Raumbewegung in den Vordergrund. Jetzt setzen sich länger andauernde, im Tonraum gleitende Klänge durch. Wenn sie sich im Raum bewegen, läßt sich das Tonhöhenglissando gleichsam zum räumlichen Glissando umfunktionieren - im fast unmerklichen, quasi-kontinuierlichen Übergang von einem Lautsprecher zum anderen.
22. Hörbild, 2. Teil: Bewegte Glissandi
Sabine Schäfers "Musik zu einem Hörbild" markiert möglicherweise den Anfang einer neuen Entwicklungsphase. Die Komponistin ist sich durchaus dessen bewußt, daß durch die flächige Anordnujng zahlreicher Lautsprecher nicht nur neue Chancen, sondern auch neue Schwierigkeiten sich ergeben können - und zwar für den Komponisten ebenso wie für den Hörer.
Das System der digital gesteuerten Raumverteiloung von Klängen, das Sabine Schäfer in ihren Kompositionen verwendet, hat der eng mit ihr zusammenarbeitende Techniker Sukandar Kartadinata entwickelt. Dieses Sysxtem erlaubt verschiedene Placierungen der beteiligten Lautsprecher in Fläche und Höhe, und sein Erfinder arbeitet daran, die Möglichkeiten der Steuerung weiter zu verfeinern - z. B. durch kontrollierte Veränderung der Geschwindigkeit, in der sich Klänge von einem Lautsprecher zum anderen bewegen. Unabhängig von solchen und anderen Möglichkeiten der künftigen technischen Perfektionierung bleiben jedoch bestimmte raumakustische und akustische bzw. gehörpsychologische Schwierigkeiten bestehen, wie sie an anderer Weise auch Karlheinz Stockhausen in seiner oktophonen elektronischen Musik zu bewältigen hat: Die Möglichkeiten, einen Klang klar zu orten, können je nach dessen Eigenschaften durchaus unterschiedlich ausfallen. Bei tiefen Frequenzen beispielsweise sind sie stark eingeschränkt. Bewegungen von Klängen lassen sich besonders dann leicht verfolgen, wenn in den Klangspektren die hohen Frequenzen hinreichend stark vertreten sind. Die Möglichkeiten der Raumbewegung sind also insoweit begrenzt. - Weitere Schwierigkeiten können sich daraus ergeben, daß die Unterscheidung zwischen höheren und tieferen Raumpositionen von Klängen dem Hörer, zumal unter komplizierten raumakustischen Verhältnissen, besonders schwer fallen kann. Die Unterscheidbarkeit zwischen höheren und tieferen Klangorten kann auch davon abhängig sein, in welcher Höhenlage sich der Hörer befindet. So können sich vielfältige Abhängigkeitsverhältnisse ergeben, auf die der Komponist angemessen reagieren muß - etwa bei der richtigen Dosierung von Lautstärken und Lautstärkeverhältnissen für verschiedene Lautsprecher. - Die Bedeutung dieser und anderer Schwierigkeiten darf man sicherlich nicht unterschätzen. Andererseits sollte man aber auch nicht vergessen, daß gerade diese Schwierigkeiten Hinweise darauf geben können, wie wichtig in diesen Zusammenhängen die Erschließung neuer musikalischer Erfahrungsbereiche werden kann. Gerade Sabine Schäfer hat in ihrer künstlerischen Arbeit besonders wichtige Beiträge geleistet, deren Bedeutsamkeit sich nicht nur innermusikalisch, sondern auch musikübergreifend verifizieren läßt. Ihre entschiedene Hinwendung zur technisch produzierten Musik zeugt von Mut unt Bereitschaft zu neuen Wegen, wie sie gerade in ihrer Generation, zumal im deutschen Musikleben, durchaus ungewöhnlich sind. Ihre langjährige Schulung in improvisatorischer Praxis, ihre gründlichen Klangexperimente etwa im Bereich der Mikrotonalität und in der Arbeit mit dem Computerflügel und besonders ihre musikalische und musikübergreifende Erschließung des Raumes haben der musikalischen Entwicklung der technisch produzierten Musik wichtige neue Impulse gegeben. In einer Zeit zunehmender Stagnation und ästhetischer Indifferenz artikuliert ihr künstlerisches Werk sich im unprätenstiösen, aber beharrlichen Glauben an die Möglichkeit, auch künftig Neues zu finden.
23. Topophonic Spheres I Anfang (Gesamtdauer 10´35)
Den Aspekt neuer Beziehungen zwischen Klang und Raum bezeichnet Sabine Schäfer als "Entwicklung von Klang-Installationen bzw. Klang-Sklpturen". Verfahren der digitalen Klangsteuerung eines die drei Raumdimensionen auslotenden Lautsprecherensembles setzt sie so ein, daß die inneren Bewegungen der Klänge und Klangflächen und ihre realen räumlichen Beweungen sich wechselseitig beleuchten und intensivieren können. Wolfgang Rihm hat diese Gleichberechtigung von Klang und Raum bei Sabine Schäfer mit folgenden Worgten charekterisiert:
"Ort und Klang fallen zusammen, bilden einander, formen einander aus und geraten in Bewegung, gemeinsam: der eine nicht mehr fix und dennoch Ort, der andere nicht mehr flüchtig aber dennoch Klang. Und trotzdem viel mehr als nur ein klingender Ort oder ein ortloser Klang. Es entsteht der durch Klang individcualisierte Raum-Körper. Ein Körper aus Raum.
Der Komponist betritt diesen geschaffenen Raum als Bildhauer. Der Hörer ist sein eigener Lichtfall. Vielleicht entsteht ein sehender Ort? Ausblicke werden vernehmbar."
24. Topophonic Spheres - Wiederholung oder Fortsetzung der vorigen Zuspielung
Für Sabine Schäfer ist die Raumkomposition zum Zentralproblem der technisch produzierten Musik geworden. In ihrer Arbeit geht es dabei nach ihren Worten"um die Schaffung von Klang-Körpern, die aus der Positionierung einer bestimmten Anzahl von Lautgsprechern im Raum resultieren." Dabei ändert sich auch die Funktion der Lautsprecher. Sabine Schäfer schreibt hierzu:
"Die elektronische Musik wird in einen ihr originären Zusammenhang gebracht. Durch die räumlichen Bewegungen des Klanges verändert sich die Bedeutung der Komponente "Lautsprecher".
Der Lautsprecher ist kein beliebiges Wiedergabemedium mehr, sondern wird zu einer Art Klangquelle, denn die Musik läßt sich nur erfassen, wenn alle Lautsprecher zur "richtigen" Zeit aktiv sind. Sie "geben" also nicht nur "wieder", sondern sie tun dies auch koordiniert zu verschiedenen Zeiten.
Dieses Phänomen, daß man mehr als vier Lautsprecher in ihrer Wiedergabegtätigkeit steuern kann, kann nur mit besonderen technischen Mitteln realisiert werden...
... Die Lautsprecher des Klangkörpers stellen, jeder für sich, eine reale Klang-Quelle dar, die im Verbund mit anderen Lautgsprechern einen individuellen Hörraum schafft. Es entsteht somit ein komplexes "Instrument" mit spezifischen Eigenschaften und Optionen - einem Orchester vergleichbar, in dem jeder Instrumentalist ebenfalls als einzelne "Klangquelle" mit den anderen zusammenwirkt."Die kompositorische Differenzierung des Realraumes verbindet sich in Sabine Schäfers Elektronischer Musik mit neuartigen Verfahren einer feindifferenzierten Ausgestaltung des Tonraumes. Sabine Schäfer hat in diesem Zusammenhang neue Verwendungsmöglichkeiten der Mikrotonalität entwickelt, bei denen es weniger um die weitere Aufspaltung des chromatischen Tonsystems geht als um die Kreation neuartiger Farbwerte, die sich ergeben können aus mikrointervallischen Umschichtungen und aus verschiedenen Konstellationen in der Überlagerung von verschiedenen Klangfarben und von verschiedenen (z. B. aus unterschiedlichen Skalen gewonnenen) Mikrointervallen, die sich in komplexen Schwebungsknäueln überlagern können. Mikrointervallische Differenzierung ist für Sabine Schäfer also ein spezieller Aspekt der Klangfarben-Differenzierung, deren zentrale Bedeutung für die Komposition elektronischer Musik die Komponistin nachdrücklich hervorfgehoben hat. Nach ihren Worten gilt es, "den Klang zu entwerfen, seiner Struktur, seinen Eigenheiten folgend, ein kompositorisches Konzept zu entwickeln." In diesem Sinne charakterisiert Sabine Schäfer die Elektronische Musik in erster Linie als neuartige Klangfarbenmusik. Sie schreibt:
"Die Offenheit in der Behandlung der Klänge im Sinne von extremer Wandelbarkeit, Biegsamkeit seiner inneren Struktur / seiner Farbe, ist eine der elektronischen Musik innewohnende Charakteristik."
In so konzipierten mikrotonalen Strukturierungen sind alle traditionellen Intervallabgrenhungen aufgehoben. Sabine Schäfer hat hier - ähnlich wie in der Raumkomposition - wichtige Möglichkeiten der Ausgestaltung eines komponierbaren Kontinuuums entdeckt. Sie schreibt hierzu:
"Die Erscheinung des Phänomens "Tonhöhe" wandelt sich zu einem vorstellbaren Tonhöhen-Kontinuum, besser: Klanghöhenraum, in dem überhaupt jede gehörsmäßig wahrnehmbare Position gleichwertig einnehmbar erscheint."
Durch Sabine Schäfers Verfahren der Mikrotonalität verlagert sich der Akzent von der Tonhöhenkomposition auf die Klangfarbenkompositon. In diesem Sinne plädiert sie für "eine Anwendung des Microtuning zur Darstellung feiner Klang-, Farbwertverschiebungen." Dabei können mikrotonale Differenzierungen nicht nur Farbverschiebungen eines Klanges bewirken, sondern auch neuartige harmonische und melodische Wirkungen durch Färbung einzelner Tonhöhen oder durch Erzeugung plastischer Intervaallbeziehungen. Dies realisiert sich - in Verbindung mit Raumstaffelungen - besonders sinnfällig im Eröffnungssatz des dreiteiligen Zyklus "Topophonic Spheres": Schon zu Beginn dieses Stückes hört man farblich changierende, durch mikrotonale Umstimmungen und entsprechende Schwegungen belebte Intervallfelder.
25. Topohonic Spheres I 0´b is 1´ (Baß, Glissando 2mal)
Ein ruhig vibrierender Baßton verbindet sich hier mit Glissandi auf dem Computerflügel. Später belebt sich die Musik in einer stärker flktuierenden Klangfläche, in Ostinati des Computerflügels und in einem irisierenden kreisenden Klangband. Ein starker Akzent beschließt diesen Abschnitt.
27. Spheres 1´- 2´30 oder kurz nach 2´FM, irisierendes Klangband ... bis Initialisierungsklang
Im weiteren Verlauf verstärkt sich die Bedeutung der vom Computerflügerl zugespielten Figuren, die sich allmählich verlängern und erweitern. Auch diese Entwicklung wird wiederum abgeschlossen durch einen starken Akzent, dessen Klang - ähnlich wie beim vorausgegangenen Akzent - den Hörer umkreist.
28. ab 2´30 Initialisierungsklang oder später, z. B.: 2´40 Klanggemische, 3´30 Bösendorfer-Fikguren, 5´20 sfz-Schlag - bkis Initialisierungsklang 7´23-8´00
Am Schluß des Satzes kehren Akzente und Klangschichtungen des Anfangs wieder, so daß der formale Bogen sich schließt.
29. 9´12 Initialisierungsklang bis Schluß 10´38
Am Beispiel des ersten Satzes ihrer "Topophonic Spheres" hat Sabine Schäfer genauer beschrieben, wie sich in ihrer Arbeit räumliche und klangliche Differenzierungen wechselseitig ergänzen - z. B. bei der fluktuierenden Aufteilung einer sechtönigen Klangfläche auf verschiedene mikrotonale Skalierungen, Klangfärbungen und Raumpositionen. Alle Detaildifferenzierungen integrieren sich in den Kontext einer plastisch gegliederten Großform, in der immer wieder kräftige Klangakzente - sogenannte "Initialisierungsklänge" - Zäsuren setzen: Vorhergegangenes abschließend bzw. Neues vorbereitend. Akzente, Klangflächen und Tonmuster, synthetisch erzeugte und vom Computerflügel zugespielte Klänge verbinden sich hier zu neuartigen Konstellationen. Die Raumklkänge erschaffen sich ihre Klangräumke und umgekehrt. So verbindet sich ein neu erwachtes Interesse an Elektronischer Musik mit neuen Ansätzen der Raumkomposition. Sabine Schäfers Musik präsentiert sich so als moderne, auch über die engen Grenzen der Musik hinausweisende moderne Klangkunst, die den Weg freimacht für Neues.
30. Top. Spheres I (oder evtl. Lost)
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