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1.2.13 PAIX.DOC


Rudolf Frisius

Iannis Xenakis: Pour la Paix (1981)

Musik als Spiegel politischen Unheils, das in der Vergangenheit aufgebrochen und bis heute wirksam geblieben ist - solche Musik, wie sie sich bei Xenakis immer wieder findet, kennt weder illusorisch verklärenden Heroismus noch unangebrachte Sentimentalität. Auch in ihrem Stimme (im experimentellen Chorklang), sondern auch im modernen technisch produzierten Klang: In der Komposition "Pour la Paix" ("Für den Frieden"), die in der ursprünglichen Fassung als hörspielartiges Radiostück konzipiert ist, hört man von Frauen gesprochene Sprechtexte, die die Greuel des Krieges anklagen (nach Texten von Francoise Xenakis, der Ehefrau des Komponisten, die, wie er, zur Zeit des 2. Weltkrieges im Widerstand aktiv war) und Chorgesang (in musikalisch weitgehend autonomen, auch als selbständiges Chorwerk aufführbaren Sequenzen, die allerdings an einigen hervorgehobenen Stellen auch auf die Sprechtexte Bezug nehmen) und brüsk einmontierte Strukturen mit Computerklängen. Die Sprechtexte, die textlosen und textierten Chorpartien und die Computerklänge verbinden sich in Zusammenhängen, die man einerseits als Vokalmusik analysieren kann (Verklanglichung eines Textes), andererseits als Hörspiel (akustische Inszenierung eines Textes in den Dimensionen Sprache, Geräusch und Musik)-

Die Sprechtexte beschwören die Schrecken jüngst vergangener Kriege, um vor zukünftigem Krieg zu warnen. Die Chorsequenzen enthalten teils (oft tonmalerische) Vokalisen, teils die Vertonung von Abschnitten oder Schlüsselworten des Sprechtextes. Die Computerklänge gewinnen im Zusammenhang mit Text und Gesang oft sprachähnliche Bedeutungen, indem sie Sprache und Musik teils gliedern, teils akzentuieren, teils kontrapunktieren. Die technischen Medien ermöglichen in diesem Stück nicht nur eine Musikalisierung der Stimmlaute, sondern auch das Umgekehrte - nämlich eine Semantisierung musikalischer Klänge, auch der scheinbar abstrakten Computerklänge. So artikuliert sich moderne, technisch produzierte Musik gegen den Krieg als Musik für den Frieden.

Tendenzen der Semantisierung, wie sie in den frühen achtziger Jahren in der Musik von Iannis Xenakis an Bedeutung gewonnen haben, verweisen auf Ansätze, die sich schon in seinen früheren Vokalwerken herauszubilden begannen. In den sechziger Jahren ging es Xenakis zunächst noch um die Semantisierung einer Musiksprache, die sich vorher in großen Orchesterwerken artikuliert hatte. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Kompositionstechnik von Xenakis vor allem im Bereich der Computermusik erweitert: in der Verbindung mit andersartigen (z. B. auch konkreten oder analog-elektronischen) elektroakustischen Klängen, in audiovisuellen Zusammenhängen und in der Kopplung mit Sprache und live-Musikpraxis hat Xenakis die Form- und Ausdrucksmöglichkeiten seiner Computer-Klangstrukturen ständig erweitert.

"Pour la Paix" ist ein Versuch, Klangstrukturen und Bedeutungszusammenhänge neuartiger Musik sinnvoll aufeinander zu beziehen - ein Versuch, die Sprache zum Klingen und die Klänge zum Sprechen zu bringen. Musiksprache und Musikpraxis erneuern sich hier wechselseitig. Die verschiedenen Klangmittel der Musik verbinden sich in Bedeutungszusammenhängen, die über die Musik hinausgreifen.
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