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Bruckner (6)
Z: Ecce sacerdos Schluß
ab 1st. greg. Choral Gloria Patri - Tutti-Fortsetzung mit Medianten - ausklingender Schluß A
Best ab 3´40 - 5´05
Musik und Sprache, Musik und Gesang verbinden sich bei Anton Bruckner als geistliche Musik. Die Texte, die er vertont, entstammen der kirchlichen Tradition. Diese Tradition artikuliert sich auch in seiner Musik, die offensichtlich Elemente des gregorianischen Chorals und der klassischen Vokalpolyphonie aufgreift. Dennoch hat Bruckner der Versuchung widerstanden, alte Texte archaisierend zu vertonen. Die Bedeutung der liturgischen Texte auch für die Gegenwart des späten 19. Jahrhunderts macht er dadurch deutlich, daß er Spuren weit zurückliegender Musikgeschichte mit den kühnsten Modernismen seiner eigenen Tonsprache zusammenbringt. Seine Musik erhebt Einspruch gegen kraftlose Traditions-Beschwörungen einer religiösen Kunst, die ihre ästhetischen Ideale nur in der Vergangenheit zu finden vermag. Den religiösen Konservativismus vieler katholischer Kirchenmusiker seiner Zeit hat er für sich selbst niemals akzeptiert. Er kannte die musikalische Tradition so gut, daß schwächliche Kopien traditioneller Kirchenmusik für ihn nicht in Frage kommen konnten. Seine Motette "Ecce sacerdos" ist das vielleicht kühnste Beispiel der Konfrontation extrem unterschiedlicher Stile in seiner Musik. Die Klangstrukturen dieser Musik führen von einfachsten modalen Wendungen bis in die moderne Chromatik, vom einstimmigen Gesang bis zur Vereinigung von Stimmen und Instrumenten im spätromantischen Klangbild.
Z: Ecce sacerdos vollständig. Best 0´´ - 5´05
Die eigenständige Kraft der Tonsprache Bruckners ist so deutlich ausgeprägt, daß sie auch dann wirksam bleibt, wenn er traditionellen Stil- und Satzregeln folgt - etwa im Wechsel einer einfachen Einstimmigkeit, die im Geiste des gregorianischen Chorals geschrieben ist, und einem mehrstimmigen Chorsatz, der der Choralmelodie bald in einfachen Akkorden folgt, bald in altklassisch-polyphonen Imitationen.
Z: Salvum fac. Jones 3´24
Altes und Neues verbinden sich in Bruckners Musik miteinander, ohne sich zu beschädigen oder zu nivellieren. Der Text "Salvum fac populum tuum" beginnt in Bruckners Vertonung wie eine Reminiszenz altkatholischer Kirchenmusik. Dennoch ist diese Musik alles andere als eine sterile Stilkopie. Besonders deutlich wird dies am Schluß des Stückes, dessen Text von Hoffnung spricht: Hier verwandelt sich die Musik im Geiste der modernen Chromatik.
Z: Salvum fac. Jones 2´49 - 3´24
Den Traditionen des gregorianischen Chorals und der Kirchenmusik früherer Jahrhunderte folgt Bruckner nicht nur in seinen Melodien und Harmonien, sondern auch in der formalen Anlage seiner Vertonungen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Motette "Tota pulchra es Maria". Das Lob Marias erklingt hier im Wechselgesang zwischen Tenorsolo und vierstimmigem Chor.
Z: Tota pulchra es Maria 4´49
Die 1879 geschriebene Motette "Tota pulchra es Maria" steht im engen thematischen Zusammenhang mit der wohl berühmtesten Anrufung der Jungfrau Maria, die Bruckner mehrmals vertont hat: Mit dem "Ave Maria".
Z: Ave Maria 1856. Bis 1. Marienkadenz 0´´ - 0´38´´ ("Maria")
Im 1856 hat Anton Bruckner das "Ave Maria" vertont für vierstimmigen Chor mit Soli und mit Orgelbegleitung. Das Werk beginnt dem Lobpreis der Maria, das die Orgel mit sanften Registern begleiten soll. Das Thema, das im Alt beginnt, wird später auch von den drei anderen Stimmen übernommen. Dann vereinigen sich alle vier Stimmen, um den Namen der heiligen Jungfrau zu singen: Maria.
Z: Ave Maria 1856 bis 38´´ Maria
Das Motiv, mit dem hier die Jungfrau Maria angerufen wird, spielt in der Musik Anton Bruckners auch an anderen Stellen eine wichtige Rolle.
Z: 3. Symphonie, 2. Satz Marienmotiv
Das Motiv, auf dem Bruckner in seinem frühen "Ave Maria" den Namen der Jungfrau singen läßt, erscheint auch an wichtigen Stellen im 2. Satz seiner 3. Symphonie - einer Komposition, die fast zwei Jahrzehnte später entstanden ist.
Z: 3. Symphonie, 2. Satz Anfang bis 2. Mal Marienmotiv 2´32 (Blende unten auf 4. Achtel es)
Das kurze Motiv, das aus Bruckners frühem "Ave Maria" später den Weg gefunden hat in den zweiten Satz seiner dritten Symphonie, ist ein Motiv der Beruhigung nach vorausgegangener Steigerung. Dies wird vollends deutlich in den ausladenden sinfonischen Wellen des später entstandenen langsamen Satzes der Dritten. Deutlich vorgezeichnet ist es alledings auch schon in der früheren Vokalkomposition: Das Motiv bildet hier den Abschluß einer polyphonen Steigerung - der Darstellung eines Themas in vier verschiedenen Stimmen. Nachdem alle vier Stimmen mit dem Thema zu Wort gekommen sind, vereinigen sie sich in einer abschließenden Kadenz.
Z: Ave Maria Anfang bis 38´´ Maria
Die Entwicklung sich fort mit Soli des Alts und des Soprans. Alle vier Stimmen vereinigen sich wieder, wenn erneut ein heiliger Name gesungen wird: Jesus.
Z: Ave Maria: gratia plena bis 3 Anrufungen Jesus
Der dreimal gerufene Name "Jesus" wird gesungen im feierlichen A-cappella-Satz: An dieser zentralen Stelle des Stückes schweigt die Orgel. Im Zentrum des Gebetes an die Gottesmutter steht der Name des Gottessohnes.
Z: Ave Maria 1856 vollständig. Pancik 4´24
Die wohl wichtigste Vertonung des "Ave Maria", die Bruckner geschaffen hat, entstand im Jahre 1861 - als Motette für siebenstimmigen gemischten Chor. Auch in diesem Gebet an Maria gewinnt der Name des Gottessohnes zentrale Bedeutung: Schon zur Entstehungszeit des Stückes ist bemerkt worden, daß Bruckner im Zentrum dieser Stückes eine besonders enge Integration von textlicher und musikalischer Aussage gelungen ist - in der dreimaligen ekstatischen Anrufung des Namens "Jesus".
Z: Ave Maria 1861 - 3 Anrufungen "Jesus"
Bruckners Marienmotette beginnt im Wechsel zwischen hohen und tiefen Stimmen. Die dreimalige Anrufung des Namens "Jesus" führt zu einem markanten Höhepunkt, in dem sich erstmals alle Chorstimmen vereinigen. Auch das anschließende Gebet an die Jungfrau Maria beginnt im Wechsel verschiedener Chorgruppen und führt danach in den vollen Chorklang, auf dem sich die Entwicklung abschließend beruhigt.
Z: Ave Maria 1861 vollständig. Best 4´00
In Bruckners Chormotette "Ave Maria" zeigen sich Profile, die über die Ästhetik der klassischen Vokalpolyphonie hinausführen. Dies kann man erkennen, wenn man genauer studiert, wie derselbe Text von Palestrina vertont worden ist: Palestrina gestaltet den Text anders, als er in Bruckners ekstatischen Formentwicklungen klingt. In Palestrinas Musik hingegen erscheinen die Textworte in ruhigem, innerlich reich differenziertem Ebenmaß - in klarer Scheidung der verschiedenen Textabschnitte und in stetigem melodisch-harmonischen Fluß.
Z: Palestrina, Ave Maria
Die Musiktraditionen der gregorianischen Chorals und der klassischen Vokalpolyphonie Palestrinas sind Bruckner so vertraut, daß er selbst in diesen Sprachen sprechen kann, ohne daß er dabei Vorhandenes zitieren müßte. Immer wieder wird in seiner Musik deutlich, wie wichtig es ist, auch das musikalisch Tradierte immer wieder in unlösbare Zusammenhänge zu stellen mit seinem Weiterleben bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.
Z: Os justi. Jones. 1. Abschnitt Os... sapientiam. 0´´ - 0´54
In seiner Motette "Os justi" folgt Bruckner den Regeln des strengen Satzes im Kirchenstil. Dennoch schreibt er keine archaisierende Musik. Den ruhigen Strom der Harmonien und Melodielinien, mit dem diese Komposition beginnt, entwickelt Bruckner wie eine breite sinfonische Wellenform - mit ruhig schreitenden Tönen, ähnlich wie im langsamen Satz seiner 6. Symphonie.
Z: 6. Symphonie 2. Satz Jochum. Anfang bis Anfangsakkord Gesangsthema. 0´- 2´29
Bruckners späte Motetten lassen sich hören als Konzentrate von Symphonien. Der wortlose Gesang seiner Orchestermusik verwandelt sich zurück in den menschlichen Gesang, aus dem er sich zuvor entwickelt hatte.
Z: Os justi vollständig. Jones 0´´ - 5´05
In Anton Bruckners Motette "Os justi" wird der Gerechte besungen, der die Weisheit Gottes erkennt, der daraus die Kraft seiner Sprache schöpft und der das Gesetz Gottes in sich trägt. Wie wichtig es für Bruckner war, seiner neuen Musik ihren geistigen Ort zu geben, zeigt sich besonders deutlich am Schluß seiner Komposition. In den letzten Takten kehrt der Chorgesang zu der Grundharmonie zurück, von der er in den ersten Takten ausgegangen war. Diese Rückkehr zum Anfang verbindet sich mit einer Rückkehr zu den geistigen Quellen des Textes und der Musik: Die Musik mündet im einstimmigen Alleluja-Gesang.
Z: Os justi Chorschluß et non supplantabuntur gressus ejus - Alleluja, alleluja.
Jones oder evtl. andere Aufnahme. Jones 3´41 - 4´11 (3´59 Einsatz 1st. greg. Choral)
Diese in der Verwandlung der Tradition sich erneuernde Musik steht im engen Zusammenhang mit der liturgischen und kirchenmusikalischen Tradition. Bruckner selbst hat diese Verbindung als so wichtig angesehen, daß er für die Verwendung im Gottesdienst auch die Fortsetzung des Alleluja komponiert hat: Dem Alleluja-Gesang folgt einstimmiger Choralgesang mit Bruckners Orgelbegleitung - der Vers "Inveni David"; danach wird das Alleluja wiederholt.
Z: Os justi Chorschluß und liturgischer Schluß. Jones 3´41 - 5´05
Den Vers "Inveni David" hat Bruckner 1879 am Schluß seiner Motette mit schlichter akkordischer Orgelbegleitung angefügt - einen Text, den er zuvor schon als selbständiges Musikstück vertont hatte: in seiner 1868 entstandenen Motette "Inveni David" für vierstimmigen Männerchor und 4 Posaunen. Die Kraft Gottes, der seinen Diener David stärkt, besingt Bruckner in dieser Musik in seiner eigenen Sprache - beginnend mit einem düster-markanten Hauptthema, endend in feierlichen Halleluja-Anrufungen im Wechsel zwischen einzelnen Stimmen und dem vollen Männerchor.
Z: Inveni David 1868, vollständig. Flämig 2´55
Die Auseinandersetzung mit Texten der liturgischen Tradition bedeutet auch für Bruckner den immer wieder erneuerten Versuch, Worte in Musik zu setzen, von denen er wußte, daß dies in früheren Jahren und Jahrhunderten auch schon viele andere Musiker getan hatten - beispielsweise Giovanni Pierluigi da Palestrina, dessen altklassische Vokalpolyphonie aus den Melodielinien des gregorianischen Chorals entwickelt ist.
Z: Palestrina, Pange lingua. Chanticleer take 8
Der Passionshymnus "Pange lingua", dessen Textworte Bruckner immer wieder vertont hat, ist ein Dokument historischen Wandels eines liturgischen Textes im Spiegel der Musik, die sich vielfältig verändert hat vom einstimmigen gregorianischen Choralgesang über die Polyphonie Palestrinas bis zu den modernsten Strömungen des 19. Jahrhunderts. Dies zeigt sich auch in der geistlichen Musik Bruckners - vor allem in Texten, die er mehrfach vertont hat. Insbesondere das "Tantum ergo", eine dem Hymnus "Pange lingua" entnommene Strophe, hat Bruckner immer wieder zu Versuchen der Vertonung angeregt.
Z: Tantum ergo 1845
In den zwei Strophen des "Tantum ergo" verbinden sich die Verehrung des heiligsten Sakraments mit dem Lobpreis Gottes. Da beide Strophen auf dieselbe Musik gesetzt sind, spielt die Ausdeutung der einzelnen Textworte keine entscheidende Rolle. Die Musik ist in einer einheitlichen Grundstimmung gehalten, die sich für die Umrahmung und Ausschmückung des liturgischen Textes eignet. - In ähnlicher Weise hat Bruckner diesen Text auch in späteren Jahren vertont.
Allein im Jahr 1846, in Bruckners 22. Lebensjahr, entstanden 4 verschiedene Vertonungen des "Tantum ergo". Bruckner hielt diese frühen Kirchenkompositionen für wichtig genug, um sie noch 1888 einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen.
Z: Bruckner, Tantum ergo 1846/88 (eine oder mehrere Vertonungen)
Das "Tantum ergo" verweist zurück auf die ersten Textworte des Hymnus, dem diese Strophe entnommen ist: "Pange lingua". Auch diesen Text hat Bruckner vertont - in einer 1868 entstandenen Motette.
Z: Pange lingua
Bruckners Motette "Pange lingua" stellt sich in die liturgische Tradition auch mit seinen Ausformungen der phrygischen Kirchentonart, die Bruckner für die Vertonung gewählt hat. Wie sehr es Bruckner dabei gelungen ist, die Besonderheiten seiner eigenen Tonsprache weiter zu entwickeln, zeigt sich nicht zuletzt an einer merkwürdigen Reaktion, die dieser Chorsatz seinerzeit im konservativen Milieu der katholischen Kirchenmusik provoziert: Es erschien eine gedruckte Ausgabe, in der Bruckner musikalisch zensiert wurde. Die ausdrucksvolle Dissonanz in der Schlußkadenz des Chores wurde, zu Bruckners großer Empörung, eliminiert.
Bruckner hat sich nicht davon entmutigen lassen, daß er gelegentlich an die Grenzen dessen stieß, was in der kirchenmusikalischen Praxis seiner Zeit noch toleriert wurde. In seinen Versuchen, überlieferte geistliche Texte musikalisch neu zu deuten, hat er immer wieder Brücken zu schlagen versucht von der Gegenwart zur musikalischen Tradition. Viele Texte, die er vertont hat, laden ein zum Vergleich mit den historischen Vorbildern älterer Vertonungen - zum Beispiel der Passionshymnus "Pange lingua" im Melos des gregorianischen Chorals und in dessen polyphonen Verzweigungen bei Giovanni Pierluigi da Palestrina.
Z: Pange lingua Palestrina (im Wechsel mit gregorianischen Strophen)
Die Auseinandersetzung mit dem gregorianischen Choral und mit der Musik Palestrinas prägt auch die letzte geistliche Vokalkomposition: die 1892 entstandene Motette "Vexilla regis prodeunt". Auch zu diesem Text gibt es eine Vertonung Palestrinas, die sich eng an die Melodie des gregorianischen Chorals anlehnt.
Z: Palestrina, Vexilla regis prodeunt mit gregorianischer Intonation. 0´- 1´20 (2´22). Loehrer
anschließend evtl. take 4 Loehrer: O crux ave spes unica. akkordischer Chorsatz
Die Auseinandersetzung mit den Traditionen geistlicher Musik konkretisiert sich in Bruckners Musik als Kraft der ständigen Verwandlung. Dies zeigt sich auch in seiner letzten Motette "Vexilla regis prodeunt" - in der großen Spannweite vom einstimmigen Unisonogesang bis zu den modernsten chromatischen Harmoniewendungen.
Z: Bruckner, Vexilla regis prodeunt
In allen Phasen seiner kompositorischen Entwicklung hat Anton Bruckner geistliche Texte vertont. Seine Auseinandersetzung mit geistlichen Texten erscheint als Spiegel einer musikalischen Entwicklung, die sich über fast sechs Jahrzehnte erstreckt - und die ausging von fast unscheinbaren Anfängen, in denen die Spuren des Späteren noch kaum zu erkennen sind.
Z: Windhaager Messe: Kyrie vollständig
Als Anton Bruckner 1842 seine erste Messe in C-Dur schrieb, war er 18 Jahre alt. Damals war er als Schulgehilfe in Windhaag tätig. Für die begrenzten örtlichen Verhältnisse komponierte er eine kurze, in Umfang und Besetzung bescheidene Messe - für Solo-Altstimme, 2 Hörner und Orgel. Schon in dieser frühen und noch sehr einfach gehaltenen geistlichen Vokalkomposition ist auffällig, wie stark die Musik die besondere Rolle des Gottessohnes unterstreicht: Die meisten Anrufungen des Eröffnungssatzes gelten dem "Christe eleison". Eine dieser Anrufungen wird besonders hervorgehoben durch eine etwas kühnere Harmonisierung.
Z: Windhaager Messe - Christe eleison Es-Dur - C-Dur
Bruckners Windhaager Messe entstand unter liturgisch und musikalisch stark eingeschränkten Aufführungsbedingungen. Deutlich zu hören ist auch, daß der junge Schulgehilfe Bruckner als Komponist, der in seiner dörflichen Umgebung völlig auf sich allein gestellt war, noch mit beträchtlichen handwerklichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, vor allem bei der thematischen Profilierung und formalen Gestaltung der verschiedenen Sätze. Im Credo-Satz versuchte er formale Geschlossenheit dadurch zu erreichen, daß er an Anfang und Ende die erste gregorianische Credo-Melodie in seine Musik einbezog.
Z: Zusammenschnitt a) evtl. greg. Kyrie I,
b) Windhaag Credo Anfang, take 4.3, 3´23 - 3´31
c) Windhaag Credo Schluß, take 4.3 (et vitam... Amen) 4´58 - 5´15 (Schluß)
Im Gesamtzusammenhang dieser frühen Messe lassen sich - trotz verschiedener bemerkenswerter Einzelheiten - Keime der späteren formalen Gestaltungskraft Bruckners nur schwer entdecken. Dennoch ist bemerkenswert, daß diese Musik am ehesten Gestalt gewinnt an Stellen, in denen vom Gottessohn die Rede ist - vor allem im "Benedictus".
Z: Windhaager Messe - Benedictus, take 4.5: 6´15 - 7´56
Eine Komposition, in der Bruckner den vollständigen Messetext vertont hat, ist uns aus den 1840er Jahren nicht erhalten. Offensichtlich war es in der damaligen dörflichen Kirchenmusikpraxis üblich, bei der Vertonung längere Textpassagen auszulassen, beispielsweise im Credo. Aus diesem Grunde ist es nur teilweise möglich, Bruckners Entwicklung als Vokalkomponist am Beispiel seiner Meß-Vertonungen zu verfolgen. Nur an einzelnen Beispielen lassen sich vergleichende Einsichten gewinnen.
Aus dem Jahre 1844 sind verschiedene Teile einer vierstimmigen a-cappella-Messe erhalten - ein Dokument erster kompositorischer Fortschritte Bruckners in der Prägnanz der Deklamation, in der formalen Gestaltung und in der Differenzierung des Ausdrucks.
Z: Choralmesse - Messe für den Gründonnerstag, take 9 14´31 - 15´16 (Benedictus)
a)take 9.3 Credo 6´20 - 8´39 de coelis
(Ende des von B. Komponierten - in der Aufnahme Pancik falscher Schluß auf G statt auf E)
Sanctus - Benedictus - Agnus (evtl. nur Benedictus: 14´31 - vor 15´16 aufhören vor Osanna
9. 4 12. 42 Anfang Sanctus,
9. 5 14. 31Anfang Benedictus (falsch: F-Dur statt G-Dur!), ab 15´16 Osanna - 16´16
9.6 16´19 - 19´17 Agnus
Die erste Meßvertonung, die Bruckner komponierte, die 1842 geschriebene Windhaager Messe, war bestimmt für denkbar einfache Klangmittel - für Altsolo und wenige begleitende Instrumente (Orgel und zwei Hörner). Zwei Jahre später entstanden Meßsätze für vierstimmigen Chor a cappella. Bruckner hat damit einen Stil erreicht, der auch in anderen Chorstücken Gestalt gewinnt, zum Beispiel in dem 1843 oder 1844 entstandenen "Libera me" - ein Stück, in dessen Text auch die Anfangsworte der lateinischen Totenmesse vorkommen: Requiem aeternam...
Z: Libera me 1843 oder 1844: Vollständig 3´58 oder ab 2´16 Requiem... eis 2´50
(ohne Reprise Libera 2´51 - 3´58)
Pancik take 10
Noch einen Schritt weiter ging Bruckner 5 Jahre später, als er 1849 ein Requiem mit Orchesterbegleitung komponierte. Mit diesem Requiem ging Bruckner erste Schritte in einer Richtung, die später zur Entstehung symphonischer Orchestermessen führen sollte.
Z: Requiem 1. Satz (evtl. nur Schluß: Kyrie)
oder ab 3´16 Requiem akkordisch
oder ab 4´14 - 5´36 Kyrie
evtl. Anfang Dies irae (zusätzlich oder alternativ) take 2 - thronum 0´58
Wie ein später Nachklang auf das Requiem erscheint ein 1854 entstandenes Stück für Chor und Instrumente, in dem Bruckner erneut das "Libera me" vertont - mit stärkeren Farben und mit gesteigerter Expressivität.
Z: Libera me 1854. Jones 5´48 evtl. nur Anf. bis ignem oder ab Requiem 3´50 - 5´48
Im Jahre 1854 komponierte Bruckner erstmals eine groß dimensionierte Orchestermesse - die "Missa solemnis in b" - ein Werk, das, vor allem im Kyrie, unverkennbar anknüpft an der Tonsprache des älteren "Requiem", das aber andererseits auch in vielen Einzelheiten der Textausdeutung Brücken schlägt zum Monumentalstil der späteren sinfonischen Messen.
Z: Missa solemnis in b, Kyrie vollständig
Die seit den 1860 entstandenen Vokalwerke sind untrennbar verbunden mit der kompositorischen Entwicklung des Symphonikers Bruckner. Dies gilt vor allem für die drei großen Orchestermessen. Vor allem die dritte Messe in f-moll. Ihr Benedictus ist der Keim der späteren großen Adagiosätze in den Symphonien Bruckners.
Z: Messe f, Benedictus. Jochum
evtl. nur Schluß ab ca. 5´12 (aufsteig. Motiv Baß wie in II 2) - 6´36 vor Einsatz Osanna (-7´15)
Das As-Dur-Benedictus der f-moll-Messe ist im Ausdruckscharakter eng verwandt mit dem As-Dur-Adagio der zweiten Symphonie: Der symphonische Gesang des Messetextes verwandelt sich in wortlosen Orchestergesang.
Z: II 2 Schluß Jochum ab 11´22 Einsatz Motiv "qui venit..." (evtl. nur bis 1. Akk. Th: 11´46)
ab II 2 11´46 (Einsatz Hauptthema) oder 13´ (Anf. Orgelp. As)
- 13´56
Die Ausdrucksverwandtschaft zwischen Messe und Symphonie geht so weit, daß bestimmte Motive aus der Messe unverändert in die Symphonie übernommen werden können.
Z: II 4 Zitat Kyrie eleison aus der f-moll-Messe
3´56 - (4´12) 4´48 Es-Dur (anschließend 1. Generalpause)
Im Schlußsatz der 2. Symphonie Bruckners wird, in einem Stadium musikalischer Beruhigung, das "Kyrie eleison" aus der f-moll-Messe zitiert.
Z: f-moll-Messe, Kyrie a-cappella-Stelle kurz vor Schluß (Modell für Zitat in II 4)
ab 7´26 (a cappella) bis Schluß 9´15
Wenn Melodien, die in Bruckners geistlicher Musik mit Texten verbunden sind, in seinen rein instrumentalen Werken erscheinen, ist ihr Gehalt gleichsam verschwiegen - entschlüsselbar nur für denjenigen, der den ursprünglichen Text kennt. Dies könnte damit zu erklären sein, daß Bruckner auch in seiner absoluten Instrumentalmusik einige Spuren des inhaltlich Deutbaren belassen wollte. Möglich ist allerdings auch die genau entgegengesetzte Deutung: Die textlosen Melodien verlieren ihre ursprünglichen Bedeutungszusammenhänge, und sie verwandeln sich in neuen Form- und Bedeutungskonstellationen absoluter Musik.
In Bruckners Musik begegnet an mehreren verschiedenen Stellen ein viertöniges Motiv, das bald rein instrumental, bald in Verbindung mit Texten erscheint. 1862 eröffnet Bruckner mit diesen Tönen den zweiten Satz seines Streichquartetts in c-moll.
Z: Quartett II, des - as - ces - b 0´´ - 0´06´´
In Bruckners Streichquartett, einem Studienwerk, werden die 4 Kerntöne, mit denen der zweite Satz beginnt, zum Ausgangspunkt einer breit ausschwingenden, gesanglichen Formentwicklung.
Z: Quartett II, Hauptthema bis Kadenz 0´32
Die 4 Töne, mit denen Bruckner den langsamen Satz seines Streichquartetts eröffnet, erscheinen später auch in seiner geistlichen Musik: im Gloria seiner Orchestermesse in d-moll, die 1864 entstanden ist.
Z: Messe d Gloria, take 2 ab 2´53 miserere (Fg Arpeggio aufwärts) bis 3´12 (Ende Chor)
In Bruckners d-moll-Messe enthält sein charakteristisches Viertonmotiv eine klar umrissene Bedeutung: Auf seinen seinen Tönen wird das Wort "miserere" gesungen - die Bitte um göttliches Erbarmen. - Ganz andere Fragen an mögliche Bedeutungsgehalte stellen sich, wenn dasselbe Viertonmotiv auch im 1. Satz der 3. Symphonie erscheint - zunächst in vagen Andeutungen, dann in klaren Konturen. Es ist schwer herauszufinden, ob Bruckner hier an den Bedeutungsgehalt des verschwiegenen Textwortes erinnern wollte oder ob es ihm eher darum ging, diese Bedeutung im Kontext absoluter Musik aufgehen zu lassen.
Z: 3. Symphonie 1. Satz Jochum 6´58 (Quarte aufwärts Holz) - 7´48 ruh. Bläserakkord C-Dur
latente und manifeste miserere-Anklänge
Eine noch wichtigere Rolle spielt Bruckners Viertonmotiv in dem letzten langsamen Symphoniesatz, den er vollendet hat: Das zweite Thema dieses Satzes beginnt mit den charakteristischen vier Tönen in intervallischer Umkehrung - d. h. aufwärts führend, nicht abwärts wie das "Miserere".
Z: IX 3 1. Einsatz 2. Thema (aufwärts) (4 Takte) oder bis 6´20 Hr Schwellakk vor W 2. Th.
Im weiteren Verlauf des Satzes erscheinen seine zuvor eingeführten Themen in intervallischer Umkehrung, so daß jetzt wieder deutlich ein abwärts führendes "Miserere-Thema" zu erkennen ist. Vor allem in der abschließenden Beruhigung des Satzes tritt dieses Motiv so deutlich hervor, daß die Frage nach seiner möglichen inhaltlichen Bedeutung um so dringlicher gestellt werden kann. Welche Bedeutung diese Frage hat und welche Antworten auf sie möglich sind, kann jeder Hörer in der Auseinandersetzung mit dieser Musik selbst herauszufinden versuchen - in der Begegnung mit einer Musik, die auch im Schließen und Zur-Ruhe-Kommen noch sich artikuliert als offene, unbeantwortete Frage.
Z: IX 3 ab 22´55 letzter Th. Einsatz bis Schluß 27´37
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