Dokument: Inhalt\ Diverse Texte\ Musik als gestaltete Zeit
[Zurück]   [Vor]   [Hoch]   [Startseite]        Index

 

7.19 Musik als gestaltete Zeit


II. Geschnittene Zeit

1. SHS Anfang: Pochen - Schritte - Stimme

Pochen an eine Tür - Schritte - Stimmlaute: Mit diesen Geräuschen beginnt eines der ältesten und gleichzeitig berühmtesten Beispiele der Lautsprechermusik: Die Sinfonie pour un homme seul, die "Symphonie für einen einsamen Menschen" von Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Die ververschiedenen Geräusche folgen aufeinander wie verschiedene Einstellungen eines Films - von bewegten Hörbildern, die mit verschiedenen Assoziationen verbindbar sind (etwa mit markanten Signalen zu Beginn eines alten Theaterstückes - oder auch, in ganz anderem Kontext, mit traumatischen Erinnerungen an den nächtlichen Terror der Gestapo, den Pierre Schaeffer einst als Mitglied der französischen Resistance zu fürchten hatte). Musik entwickelt sich hier als Hörfilm - als assoziationsreich ausgestaltete geschnittene Zeit.

Verschiedene Geräusche mit ihren Wiederholungen hört man mehrmals nacheinander, wobei sich die Anzahl der Variationen von Mal zu Mal verändert. So entsteht eine charakteristische Montagestruktur. Die sich wiederholenden Montagestücke mit Geräuschen des Pochens und der Schritte und mit Stimmlauten werden von Mal zu Mal zu Mal knapper und kürzer, teilweise auch leise - sie verändern sich im Sinne einer Abschwächung.

2. SHS 1. Montagestruktur

Pochen - Schritte - Stimmlaute: 12 - 3 - S, 8 - 2 - S (leiser), 4 - 1 - S (noch leiser)

Musik als geschnittene Zeit entwickelt sich aus Zäsuren und Kontrasten. Besonders deutlich kann dies dann werden, wenn die Klänge im Wortsinne aneinander geschnitten sind: Durch Schnitt und Montage im Studio, in elektroakustischer Musik. In der Sinfonie pour un homme seul, die in den Jahren 1949 und 1950 produziert wurde, ergibt sich die Verbindung von verschiedenartigen Klängen und Klangstrukturen vor allem durch Schnitt und Montage. Der Hörer erlebt dieses Stück im Wechsel verschiedener Hörereignisse, die vielfältige Klangbilder in seiner Phantasie wachrufen können.

3. SHS Anfang längerer Ausschnitt

bis lauter Ruf (Ausschnitt Sequenzen 5-6, 1´52)

Klänge und Klanngfolgen, die durch Schnitt und Montage entstehen, können in analoger Weise etwa so gehört werden, wie man Bilder und Bildfolgen eines Stummfilms sieht. Musik als geschnittene Zeit entwickelt sich so aus der Musik der geschnittenen Klänge.

Wie aus montierten Klängen ein Hörfilm entstehen kann, hat sich erstmals in einem Stück gezeigt, das aus der Frühzeit des Tonfilms stammt: Weekend von Walther Ruttmann, ein Hörstück aus dem Jahre 1930. In diesem Stück ergeben sich wichtige klangliche und assoziative Zusammenhänge aus der Abfolge montierter Klänge - aus beziehungsreichen Kontrasten, aus Abfolgen mit wiederkehrenden Klängen in genauer Wiederholung oder in charakteristischer Abwandlung.

4. Weekend Anfang bis "Aber Frollein!"

Was Walther Ruttmann 1930 begann, blieb zunächst ein vereinzelter Versuch der experimentellen Klangmontage - der technisch produzierten Gestaltung geschnittener Zeit. Erst seit 1948 und den folgenden Jahren, als Pierre Schaeffer und (etwas später hinzukommend) Pierre Henry die musique concrète begründeten, begann eine weiterführende Entwicklung dieser neuartigen Hörkunst, die die Grenzen der Musik überschreitet und den Weg bereitet für eine sich der realen Hörwelt öffnende Akustische Kunst, deren Entwicklung sich auch in den folgenden Jahrzehnten fortsetzte.

(5.) Kriwet: One Two Two Anfang (z. B. bis Aufzählung von Wochentagen - Schlagerzitat

(1969 entstand ein Hörstück von Ferdinand Kriwet, in dem filmische Techniken der Klangmontage, wie sie (fast 40 Jahre zuvor) schon Walther Ruttmann erfunden hatte, gleichsam ein zweites Mal erfunden werden. Kriwets Stück hat den Titel One Two Two. In dieser Produktion verbinden sich Geräusche, Sprach- und Musikfetzen aus verschiedenen Bereichen des realen Lebens, Klangsplitter aus der modernen Medienwelt. Musik als geschnittene Zeit wird so zum zeitgeschichtlichen Dokument, zum aktuellen Hörbild.)

1969 produzierte Francois Bayle ein Hörstück, in dem aufgenommene und geschnittene Klänge unmittelbar zu Dokumenten der aktuellen Zeitgeschichte werden: Die Klangwelt politischer Demonstrationen (Aufnahmen von den Pariser Unruhen im Mai 1969) konfrontiert Bayle mit Klängen, in denen sich die Isolation des Künstlers im Studio widerspiegelt. Geschnittene Zeit wird hier zum Sinnbild eines Konflikts zwischen politischer und ästhetischer Erfahrung.

6. Bayle, Solitioude Anfang (Aus CD L´experience acoustique oder Ausschnitt LP Sequenzen 5-6)

Musik als geschnitte Zeit als Musik der geschnittenen und montierten Klänge: In dieser Kombination technischer und ästhetischer Vorstelungen lassen sich auch scheinbar weit entfernte Erfahrungsbereiche miteinander verbinden - im beziehungsreichen Kontrast. Wenn viele Montagestücke aufeinander folgen, kann für den Hörer auch die Frage wichtig werden, welche Ähnlichkeitsbeziehungen sich zwischen den verschiedenen Klangfragmenten entdecken lassen. Wenn eine Klänge und Klangstrukturen wie Elemente eines Hörfilms wahrgenommen werden, dann kann sich die Frage stellen, ob Beziehungen zwischen montierten Klängen in ähnlicher Weise beschreibbar sind wie Beziehungen zwischen montierten Bildern (die seit der Frühzeit der Stummfilms und seiner Theorie häufig realisiert und untersucht worden sind). Belege für die analoge Entwicklung von Klangmontage und Bildmontage finden sich schon in der Frühzeit des experimentellen Klangkunst bei Walther Ruttmann, aber auch in späterer Zeit, etwa in der musique concrète von Pierre Schaeffer und Pierre Henry. In der konkreten Musik gibt es allerdings auch Montagestrukturen, deren Zusammenhang sich eher nach rein musikalischen Kriterien verstehen läßt - zum Beispiel als Konsequenz der rhythmischen Verwandtschaft verschiedener Montagestücke. Beispiele hierfür finden sich schon in den frühesten Produktionen der musique concrète - etwa in der 1948 entstandenen Etude pathétique von Pierre Schaeffer.

7. Schaeffer, Etude pathétique. Rhythmische verwandte Montagestücke

aus CD Schaeffer oder aus Ausschnitt LP Klett M. c.

Montagerhythmen sind wichtige Gestaltungsmittel der geschnittenen Zeit. Sie spielen eine wichtige Rolle nicht nur bei geschnittenen Bildern, sondern auch bei geschnittenen Klängen. Sie stiften Zusammenhänge zwischen dem scheinbar Disparaten. So wird deutlich, daß durch Schnitt und Montage Klänge sich nicht nur sich isolieren und abtrennen, sondern auch miteinander verbinden lassen. Dies zeigt sich auch in späteren Entwicklungsphasen der Tonbandmusik - zum Beispiel in Machines-Vitesse von Pierre Henry, einem Satz aus seiner 1975 entstandenen Komposition Futuristie. Die bunte Vielfalt der aufgenommenen Klänge fügt sich in diesem Stück dem Puls der inneren Vibrationen und der rhythmisch straffen Abfolge verschiedener Montagestücke.

8. Henry, Futuristie: Machines-Vitesse: Rhythmisch verwandte Montagestücke

Musik als geschnittene Zeit ist ambivalent: In ihr können die Klänge deutlich voneinander getrennt, aber gleichzeitig auch sinnfällig miteinander verbunden sein. Dies gilt nicht nur in der Lautsprechermusik, sondern auch in Musik für herkömmliche Klangmittel (sei es traditionelle, sei es Neue Musik). Die Zäsuren der geschnittenen Zeit sind wichtige Gestaltungsmittel der musikalischen Gliederung. In einfachen Fällen können Zäsuren und Gliederungen so sinnfällig erscheinen wie Schnitte in einem Film - beispielsweise in vielen Stücken von Igor Strawinsky, in bemerkenswerter Prägnanz schon in seinem frühen Meisterwerk Petruschka: mit jähen Wechseln der Klangfarben, der Rhythmen und sogar der musikalischen Genres (im Wechsel zwischen modernem Orchesterklang und stilisierter Leierkasten-Musik).

9. Petruschka: Wechsel durch Schnitte zwischen verschiedenen Musiken

ab Ziffer 7: Thema ausgehend vom repetierten g, in verschiedenen Besetzungen;

anschließend Montagestücke mit Dudelsack-Musik eingestreut;

ausblenden nach Einsatz der belebten Fortsetzung mit Repetitionston e, ab Ziffer 30

In Igor Strawinskys Werken artikuliert sich Musik vorzugsweise als geschnittene Zeit - in klaren Konturen, mit scharfen Zäsuren und prägnanten Gliederungen. Dies zeigt sich nicht nur in seinen frühen, sondern auch in späteren Werken - beispielsweise in den Anfangstakten der Psalmensinfonie im unregelmäßigen Wechsel zwischen einzelnen akkordischen Akzenten des vollen Orchesters und (aus gebrochenen Akkorden gebildeten) Läufen (in weit gespannten Oktavparallelen) von Oboen und Fagott. Im Wechsel von Akkord-Akzenten und Läufen ergeben sich immer wieder Zäsuren. Sie unterbrechen den musikalischen Fluß; sie gliedern und markieren Kontraste.

10. Psalmensymphonie Anfang bis vor Ziffer 2

(aufhören vor Einsatz der Läufe über langem Baßton)

oder aufhören vor Choreinsatz bei Ziffer 4

evtl. aufhören vor Ziffer 7 auribus

(Das Gestaltungsprinzip der geschnittenen Zeit bleibt prägend für Strawinskys Musik in allen ihren Entwicklungsphasen, auch im Spätwerk. In der 1957 vollendeten Ballettmusik Agon beispielsweise ergibt sich, in vielfarbigen Kontrasten, ein klanglich und formal abwechslungsreiches Erscheinungsbild.)

(11.) Agon Anfang

((Die 1955 entstandene Markus-Kantate Canticum sacrum ad honorem Sancti Marci nominis ist ein wohlproportioniertes Gefüge aus satztechnisch und farblich extrem unterschiedlichen Abschnitten.

((12.)) Canticum sacrum

(Evtl. Anfang: Dedicatio) - I Euntes in mundum ein oder mehrere Wechsel Chor m. Orch. - Orgel, schließend mit Orgel

1-16, 17-25; 26-31, 32-40; 41-45

oder evtl. Ausschnitt aus III: Caritas - Spes - Fides

Musik, die als geschnittene Zeit klar gegliedert und in formaler Balance gehalten ist, findet sich im oeuvre auch sonst durchaus unterschiedlicher Komponisten - beispielsweise nicht nur bei Igor Strawinsky, sondern auch bei Anton Webern, etwa im ersten Satz seiner Klaviervariationen opus 27.

13. Webern op. 27, 1. Satz 1. Teil (evtl. nur die ersten 4 Zellen)

Anton Webern gliedert, vor allem in seinem Spätwerk, seine Musik mit äußerster Prägnanz - womöglich noch präziser als Strawinsky. Weberns Zäsuren sind deutlich, und sie erscheinen als Trennmarken zwischen klar umrissenen musikalischen Gestalten. Was allerdings Weberns Kompositionen von Kompositionen Strawinskys deutlich unterscheidet, ist die Technik der ständigen Verwandlung einfacher Zellen. In Beispielen wie den Anfangstakten der Variationen opus 27 spürt man deutlich, daß hier nicht mit Kontrasten gearbeitet wird, sondern mit immer neuen Umgestaltungen desselben Grundmaterials. (Webern findet für seine Zellen ein durchaus neuartiges Klangbild; seine Technik der Paarung, Reihung und Abwandlung allerdings erinnert noch stark an das historische Vorbild eines späten Intermezzos von Johannes Brahms.)

(14.) Brahms Intermezzo op. 116 Nr. 5, evtl. nur die ersten 4 Zellen

(Anton Webern hat die tonale Zellentechnik von Johannes Brahms gleichsam übersetzt in die Sprache seiner Zwölftonmusik. Die bei Brahms dominierende Hin- und Herbewegung zwischen verschiedenen Harmonien, zwischen Tonika und Dominante, übersetzt Webern in die strikte Hin- und Herbewegung aller Töne und Tongruppen.)

Was in den ersten beiden Zellen aufgestellt wird, erscheint anschließend in rückläufiger Reihenfolge; die dritte Zelle ist die rückläufige Wiederkehr der zweiten, und in entsprechender Weise ist die vierte Zelle mit der ersten verwandt: Die Töne bewegen sich zunächst fort und kehren dann später wieder zum Ausgangspunkt zurück.

15. Webern op. 27 1. Satz erste 4 Zellen

(Wie Webern zu Beginn seiner Klaviervariationen vorgeht, läßt sich verdeutlichen im tontechnischen Experiment: Man spielt die ersten beiden Zelen auf Tonband ab und wiederholt sie anschließend in rückläufiger Wiedergabe. In der rückläufigen Wiedergabe werden dann genau diejenigen Tonfolgen hörbar, mit denen Webern im originalen Stück die ersten beiden Zellen in der 3. und 4. Zelle fortsetzt.

16. Webern Zelle 1 und 2 vorwärts - anschließend dasselbe in Rückwärtswiedergabe)

Musik, in der die Töne zunächst vorwärts und dann gleich anschließend rückwärts ablaufen, wird zum Grenzfall der geschnittenen Zeit: Die Schnittstelle, an der sich die Bewegungsrichtung umkehrt, wirkt weniger als Trennung, sondern vielmehr eher als Verbindung zwischen verschiedenen Klangfragmenten - als Angelpunkt in einem kontinuierlichen Formprozeß der Fortbewegung und Rückkehr. Dies zeigt sich mehrfach bei Webern - auch anderwärts in seinen Klaviervariationen und auch anderwärts in seinem Spätwerk, z. B. in seiner Sinfonie op. 21.

17. Webern Zusammenschnitt Vorwärts-Rückwärts:

a) op. 27, 3. Satz

b) evtl. op. 21 Durchführung 1. Satz

c) op. 21 Thema 2. Satz

In Anton Weberns Vorwärts-Rückwärts-Spiegelungen erscheinen instrumentale Techniken der Veränderung, die später auch in der elektroakustischen Musik eine wichtige Rolle spielen sollten: Man hört eine Klangstruktur und anschließend ihre rückläufige Wiederholung. Der erste Komponist, der solche Vorwärts-Rückwärts-Beziehungen mit technisch produzierten Klängen ausgestaltete, war Pierre Schaeffer. In seiner 1949 entstandenen "Suite 14" arbeitet er mit rückwärts wiedergegebenen Fragmenten aufgenommener Musik.

18. Schaeffer, Suite 14: Rückwärts wiedergegebene Musik-Fragmente

(MBT mit Demonstration aus Zuspielband Soirée Schaeffer und)

Auszug aus Schaeffer CD

Vorwärts-Wiedergabe(n) - anschließend Rückwärts-Wiedergabe(n)

Musikalische Formverläufe, in denen sich in größeren zeitlichen Dimensionen Entwicklungen aufbauen und anschließend in rückläufiger Folge wieder zum Anfangsstadium zurückkehren, finden sich häufig bei Alban Berg. Eine Zwischenaktsmusik in seiner Oper Lulu beschreibt den Aufstieg und Fall der Titelheldin im Hin und Her der Töne, Tonstrukturen und Formprozesse. Im Zentrum des Stückes, das Lulus Einkerkerung und ihre anschließende Befreiung aus dem Gefängnis darstellt, kehrt sich die Formentwicklung um: Die Musik führt zu einer Zäsur, hält inne und belebt sich dann wieder: Die rückwärts laufenden Töne schildern den Rückweg in die Freiheit.

(evtl. Lulu Filmmusik: Zentrum der Krebssymmetrie: Klavierlauf aufwärts - Zäsur - abwärts)

(Die Stationen der dramatischen Entwicklung sind in Bergs Textbuch genau vorgeschrieben. Berg wollte sie eigentlich in einem Stummfilm darstellen - also die fließende Zeit des quasi kontinuierlichen musikalischen Formverlaufes verbinden mit der geschnittenen Zeit aneinander montierter Filmsequenzen. Berg schreibt:)

("In der ... Verwandlungsmusik werden in einem stummen Film die Schicksale Lulus in den nächsten Jahren andeutungsweise gezeigt, wobei das filmische Geschehen, entsprechend dem symmetrischen Verlauf auch quasi symmetrisch (also vorwärtsgehend und rückläufig) zu verteilen ist, zu welchem Zweck die einander entsprechenden Geschehnisse und Begleiterscheinungen möglichst gegeneinander anzupassen sind.")

(Berg gliedert den Verlauf in zwei Teile mit je vier Stadium: Der erste Teil führt aus der Freiheit in den Kerker. Die dramatische Entwicklung, nachdem Lulu ihren Mann erschossen hat, wird in 4 Stadien dargestellt: Verhaftung, Untersuchungshaft, Prozeß und Aufenthalt im Kerker. Der zweite Teil führt aus dem Kerker in die Freiheit, und in seinen 4 Stadien kehrt sich die Entwicklung des ersten Teiles um: Sie beginnt im Kerker, dessen Tür sich öffnet; über die inszenierte Cholera-Krankeit und den Aufenthalt in der Isolierbaracke führt sie schließlich zur Befreiung aus der Haft. So entsprechen sich erstes und letztes Stadium (Verhaftung und Befreiung) ebenso wie zweites und vorletztes Stadium (Untersuchungshaft und Aufenthalt in der Isolierbaracke) oder wie drittes und vorletztes Stadium (Prozeß und inszenierte Krankheit). Berg verlangt sogar genau entsprechende szenische Gliederungen der entsprechenden Stadien (was angesichts des sehr raschen Ablaufes der Musik, die insgesamt nur 73 Takte umfaßt, für die filmische Realisation fast unlösbare Probleme aufwirft)).

(Besonders deutlich werden die szenischen Entsprechungen an der Stelle, an der der Formverlauf sich umkehrt - wenn Lulu zunächst in den Kerker gebracht wird und dann anschließend wieder aus dem Kerker herauskommt).

(evtl. 18a: Wie 19 Lulu Filmmusik Zentrum: Klavierlauf aufwärts - Haltepunkt - abwärts)

(Die szenische Detailgliederung für diese beiden Stadien ist in genauer Entsprechung vorgestellt, mit je 3 szenischen Anweisungen. Die ersten drei Szenenabschnitte heißen:

Die Kerkertür schließt sich - Anfängliche Resignation - Lulus Bild: als Schatten an der Kerkermauer.

Danach beginnt die rückläufige Wiederholung, mit folgenden szenischen Anweisungen:

Lulus Bild: als Spiegelbild in einer Schaufel - Erwachender Lebensmut - Die Kerkertür geht auf)

(19.) evtl. Lulu Filmmusik Ostinato - kurzer Ausschnitt mit Wendepunkt Takt 39

(Klavierfigur aufwärts - kurzer Haltepunkt - Klavierfigur abwärts))

Immer wieder zeigt sich in Alban Bergs Musik, wie klare Gliederungen, Markierungen der geschnittenen Zeit, sich verbinden können mit kontinuierlichen Formprozessen, also mit der musikalischen Ausgestaltung fließender Zeit - wie in einer Abfolge verschiedener Szenen, in deren Abfolge sich gleichzeitig eine zusammenhängende dramatische Entwicklung bildet.

20. Lulu, Filmmusik (Lulu-Suite 2. Satz Ostinato bzw. Oper: Überleitungsmusik von II1 nach II2)

In der musikalischen Formgestaltung können sich Aspekte der geschnittenen Zeit (also insbesondere Aspekte der Abgrenzung, Kontrastierung und Gliederung) verbinden mit Aspekten der fließenden Zeit (also insbesondere mit Aspekten des Zusammenhangs und der organischen Entwicklung). Musik kann entstehen aus einzelnen, zunächst klar voneinander abgegrenzten Tönen, die dann im weiteren Verlauf immer enger miteinander verbunden, in Gliederungen und Zusammenhänge eingeschmolzen werden. Ein besonders sinnfälliges Beispiel hierfür ist die Komposition Messagesquisse für 7 Celli, die Pierre Boulez im Jahre 1976 geschrieben hat. Schon in den ersten Takten dieses Stückes wird exemplarisch deutlich, wie aus einzelnen Tönen zusammenhängende Musik entstehen kann - wie Zäsuren der geschnittenen Zeit zunächst Ton für Ton voneinander trennen und wie sie erst allmählich die Töne verbinden in harmonischen und melodischen Gruppierungen.

21. Boulez, Messageesquisse Anfang

ausblenden nach Beginn des raschen perpetuum-mobile-Teiles

Messagesquisse ist komponiert für ein Solo-Celli und 6 begleitende Celli. Die Zahl 6 ist für die Gesamt-Konstruktion des Stückes von entscheidender Bedeutung. Dies zeigt sich schon am Anfang des Stückes, wenn 6 Töne eingeführt werden, aus denen alles Folgende abgeleitet ist: Jeder Ton wird zunächst deutlich akzentuiert im Solocello eingeführt und anschließend von einem begleitenden Cello übernommen, das (zunächst kaum merklich mit Dämpfer einsetzend) lange ausgehalten wird, so daß alle aufeinanderfolgenden Töne sich schließlich zu einem sechstönigen Akkord überlagern. Im Solocello sind die 6 Töne durch Zäsuren deutlich voneinander getrennt: als Elemente der Melodie, als Gestaltungsmittel geschnittener Zeit; in den begleitenden 6 Celli überlagern sich diese 6 Töne: als Elemente der Harmonie, als Gestaltungsmittel fließender Zeit.

22. Messagesquisse Anfang (Ziffer 1): 6 Töne melodisch gereiht und harmonisch geschichtet

ausblenden auf leisem Tremolonachklang des vollständigen Akkordes ab 42´´,

aufhören vor 48´´ (Pizzicato-Einsatz auf es1)

Auch im weiteren Verlauf bleibt die Gruppierung in 6 Töne deutlich spürbar: Das Solo-Cello spielt Sechstongruppen, die jeweils von demselben Ausgangston ausgehen (nämlich vom Anfangston des gesamten Stückes), die mit einem Akzent und einer Pause abschließen und anschließend in veränderter Form wiederkehren. Das Prinzip der Veränderung wird schon in den ersten drei Durchläufen deutlich: In der Melodie hört man die Töne zunächst vereinzelt, dann verbunden mit Vorschlagsnoten, anschließend verbunden mit 2 Vorschlagsnoten und so weiter; Schritt für Schritt bilden sich also melodische Gruppierungen. In anderer Weise ändert sich die Begleitung: Ein Cellist nach dem anderen verläßt seinen Akkordton und geht über zum Anfangston des Stückes, auf dem er kurze Figuren spielt; so entstehen erste deutliche Konturen des Rhythmus, die sich bei jedem neuen Durchgang verdichten.

23. Messagesquisse Fortsetzung (ab Ziffer 2 drei Sechstongruppen)

6 Töne einzeln - 6 Töne mit Vorschlagstönen (ab 2. Ton) - 6 Töne mit je 2 Vorschlagstönen (ab 2. Ton)

Die Entwicklung führt dazu, daß sich die begleitenden Celli mehr und mehr auf den Zentralton konzentrieren, von dem das Stück ausgegangen war. Schließlich setzt sich dieser Ton auch in der Partie des Solocellos durch: Er wird gespielt, mit Tonwiederholungen in verschiedenen Rhythmen; nur bei den einleitenden Vorschlagsnoten sind noch andere Tonhöhen zu erkennen.

24. Messagesquisse Soloepisode auf einem Ton (es1) (Ziffer 3): 1´42 bis ca. 2´04

schnell ausblenden nach 6. Pizzicatogruppe mit 3 Tönen (Tremolo-Cresc.)

spätestens aufhören vor Einsatz der raschen und lauten Läufe bei 2´06

In den ersten Abschnitten des Stückes bleiben die Gliederung in 6 Töne und ihre Gruppierungen stets deutlich erkennbar. Sie erscheinen in einer Formentwicklung, die sich mehr und mehr auf einen einzigen Ton und dessen Wiederholungen konzentriert - auf die rhythmische Bewegung, die sich auf alle Instrumente ausbreitet. Im weiteren Verlauf setzt sich nach und nach in allen Instumenten die melodische Bewegung durch - in raschen, rhythmisch regelmäßigen Läufen; im perpetuum mobile. Die Entwicklung führt schließlich so weit, daß alle Instrumente im Unisono spielen.

25. Messagesquisse Schluß Unisonoabschnitt

7 Töne Solocello, dann Schritt für Schritt in den begleitenden Celli Tongruppen dazu:

2 Töne in 2 Celli, 3 Töne in 3 Celli, 4 Töne in 4 Celli, 5 Töne in 5 Celli, 6 Töne in 6 Celli,

danach 5 Töne Unisonobegleitung als Übergang zum Unisono aller 7 Celli ( 3/4-Takte)

Die rasche Unisono-Bewegung mündet in einer dichten Klangfläche, die auf verschiedene Weise innerlich bewegt wird: Die 6 begleitenden Celli vereinigen sich in einer durch Trillerbewegung belebten Harmonie. Im weiteren Verlauf löst sich diese Trillerfläche nach und nach auf: Ein Instrument nach dem anderen unterbricht sie und fügt kurze Abschnitte ein, in denen die einzelnen Akkordtöne in kurzen rhythmischen Motiven wiederholt werden. Das Solocello beteiligt sich an der Formentwicklung mit Einwürfen, die an die vorausgegangenen Läufe erinnern, aber von Mal zu Mal kürzer werden. Schließlich beruhigt sich die Entwicklung, und die Trillerbewegung setzt nach und nach in allen Instrumenten aus. So ergibt sich eine durch Einwürfe klar gegliederte Entwicklung, die insgesamt als zusammenhängender Prozeß erscheint: als Rückentwicklung.

26. Messagesquisse: Trillerfläche mit zunehmender Rhythmisierung und sich verkürzenden Läufen

Ziffer 8 vollständig - aufhören vor Cello solo mit 4 Vorschlagsnoten

Nachdem alle Läufe und Triller verstummt sind, setzt, nach einer Generalpause, das Solo-Cello ein. Dabei verlagert sich der Akzent wieder von der fließenden Zeit auf die geschnittene Zeit. Zunächst höat man einzelne Töne, die jeweils Gruppen von Vorschlagsnoten vorausgehen.

27. Messageesquisse Ziffer 9 Einsatz Cello-Solo nach Trillerfläche:

5 Töne mit je 4 Vorschlagsnoten, 6. Ton 3mal mit je 2 Vorschlagsnoten

Im weiteren Verlauf werden die Gruppen mit Vorschlagsnoten nach und nach kürzer, während andererseits die Haupttöne mehr und mehr von Tongruppen abgelöst werden. Die melodische Bewegung verstärkt sich also, indem sie allmählich von den Vorschlagsnoten auf die Hauptnoten übergeht.

28. Messagesquisse Fortsetzung Rest Ziffer 9

aufhören vor Ziffer 10 Einsatz der raschen und lauten Läufe

Die Entwicklung mündet erneut in raschen Läufen, die im Solocello beginnen und nach und nach von den übrigen Celli übernommen werden, bis schließlich das Stück im markanten Unisono schließt. Alle Tongruppen dieses raschen Teiles sind Abwandlungen der ersten sechs Töne, die zu Anfang des Stückes eingeführt worden waren als Elemente geschnittener Zeit. Wenn sie rasch aufeinander folgen, werden ihre Gruppierungen zunehmend undeutlich, und die Bewegung der Töne nähert sich der Gestaltung fließender Zeit. So erfüllt sich die Formentwicklung: Geschnittene Zeit verwandelt sich in fließende Zeit.

29. Messagesquisse Schlußteil Unisono

Geschnittene Zeit und fließende Zeit ergeben sich als unterschiedliche Aspekte bald in unterschiedlichen Perspektiven desselben Musikstückes, bald beim Vergleich verschiedener Musikstücke. Beide Stichworte eignen sich auch dafür, verschiedene Stadien einer längeren musikalischen Entwicklung miteinander zu vergleichen - sogar verschiedene Stadien im Werk desselben Komponisten.

Pierre Boulez hat 1945 einen Zyklus von 12 kurzen Klavierstücken unter dem Titel Notations geschrieben. Die ersten vier dieser Stücke hat er 1978 umgearbeitet für großes Orchester. Wenn man die Klavierfassung mit der Orchesterfassung vergleicht, kann man feststellen, wie stark sich das Formempfinden des Komponisten über mehrere Jahrzehnte hinweg verändert hat: In den frühen Klavierstücken dominieren scharf voneinander abgesetzte Gestalten und deutliche musikalische Kontraste. Ganz anders präsentiert sich die Orchesterfassung: Die Motive der Klavierfassung sind hier gleichsam als Keimzellen behandelt, die sich vervielfältigen und in Prozessen der organischen Verwandlung aufgehen. Aus einer gegliederten, kontrastreichen Klaviermusik entsteht so eine vegetativ wuchernde, im Fluß der Farben sich verändernde Orchestermusik.

30. Notations Zusammenschnitt 1. Stück (evtl. vollständig: Klavier 59´´, Orchester 2´25)

a) Klavierfassung Ton / aufsteigendes Motiv - absteigendes Motiv: 6´´ b) entspr. Orchesterfassung 28´´

In vielen Musikstücken läßt sich feststellen, daß in der Detailgestaltung Musik hauptsächlich als geschnittene Zeit ausgeformt ist, während in größeren Zusammenhängen sich kontinuierliche Zusammenhänge ergeben, so daß geschnittene Zeit sich gleichsam in fließende Zeit verwandelt. Beispiele hierfür finden sich in verschiedenen Entwicklungsphasen der Neuen Musik.

(György Ligeti hat 1968 ein Solostück für Cembalo komponiert, dessen Formidee schon im Titel deutlich angegeben ist: Continuum. Schon aus der Besetzung des Stückes erklärt sich, daß eine kontinuierliche Formentwicklung sich nicht direkt ergeben kann, in gleitenden Tonentwicklungen, sondern nur indirekt - in der Verschmelzung des ursprünglich Getrennten, in der möglichst engen Verbindung der eigentlich klar getrennten Töne. Ligeti erreicht dies, indem er die Töne extrem rasch aufeinander folgen läßt und sie nach und nach so verändert, daß im größeren Zusammenhang Tonbewegungen hörbar werden: Nach und nach erweitert und verdichtet sich die Bewegung der Töne im Tonraum, zieht sich wieder zusammen und entwickelt sich in entsprechender Weise weiter. So entwickelt die Musik sich bruchlos auch über verschiedene Zäsuren hinweg: An bestimmten Einschnitten ändert sich die Richtung der Formentwicklung, aber anschließend setzt sich auch in veränderter Richtung die fließende Klangentwicklung fort - als Synthese von geschnittener Zeit und fließender Zeit.)

(30.) Ligeti, Continuum Anfang: rasch ausblenden nach 1´32 (Einsatz Quint-Tremolando)

(Am Schluß des Stückes wiederholt sich in höchster Lage, was anfangs in der Mittellage begonnen und sich anschließend in weiteren Tonräumen fortgesetzt hatte: Die Musik beginnt auf engstem Raum, auf einem Triller; sie weitet sich aus und zieht sich schließlich ganz zusammen: Sie mündet in extrem raschen Repetitionen eines einzigen, sehr hohen Tones.)

(31.) Ligeti, Continuum Schluß ab 2´45 Triller (Schluß bei 3´59)

1990 komponierte Luciano Berio ein Orchesterstück, das ausgeht von wenigen, klar unterscheidbaren Tönen, aus denen dann im Folgenden eine gleichsam kontinuierliche Formentwicklung entsteht. Das Werk heißt Continuo. Der Formverlauf des Werkes läßt sich charakterisieren als Verwandlung von geschnittener Zeit in fließende Zeit, als Synthese von klar umrissener Gliederung und bruchloser Entwicklung.

Der Komponist beschreibt das Werk in seiner klaren Strukturierung und in seiner organischen Prozeßhaftigkeit. Er sagt:

"Continuo ist ein Adagio, "in der Ferne und beschreibend". Seine Textur ist ziemlich leicht und luftig und seine Struktur basiert auf einem Gitter von wiederkehrenden Mustern. Ein kontinuierlicher Klangraum - gleichsam eine homogene Oberfläche - wird entwickelt und sporadisch unterbrochen von großen und kleinen "Fenstern", die sich nach immer anderen Landschaften hin öffnen."

32. Berio, Continuo, Ausschnitt von Anfang (mindestens bis 1. Ausbruch, 1´05 - 1´26)

evtl. bis zu späterem Ausbruch, z. B. 1´50-1´56 oder 2´26-2´50

oder evtl. noch längerer Ausschnitt, je nach Sendezeit

Musik als geschnittene Zeit präsentiert sich in den meisten Fällen mit klaren Zäsuren, Gliederungen und Beziehungen zwischen den Formteilen. Im Extremfall kann es so weit kommen, daß ein Stück sich darauf konzentriert, (sozusagen) seine eigene Gliederung darzustellen und zu erklären. Dies geschieht in einem Werk des amerikanischen Komponisten Tom Johnson, das 1983 im Auftrag des Hörspielstudios des Westdeutschen Rundfunks entstanden ist: Signale - ein Hörspiel in acht Teilen für zwei Darsteller, Trompete, Chor und Toneffekte. Die Gliederung dieses Stückes ist überdeutlich: Zwei verschiedene Sprechstimmen kündigen abwechselnd die Abschnitte an, indem sie Zahlen ausrufen. Jeder Zahl folgt ein Trompetenmotiv mit 4 Tönen. An bestimmten Stellen sind (etwas) längere Sprechtexte und Geräusche zu hören.

Z: Johnson, Signale Anfang

1-2, 3-4

Warum zählen wir? (Schuß) - So steht es im Drehbuch. (Schuß)

Angesagt wird nicht nur die Gliederung des Stückes in durchnumerierte Abschnitte, sondern auch die Gruppierung der Abschnitte in Teilen. Am Ende jedes Teiles wird die (sonst vollständig regelmäßige) Abfolge der Abschnitte unterbrochen - abweichend vom ständig variierten Spiel der Trompetentöne; mit längeren Sprechtexten und Geräuschen, schließlich auch mit Chorgesang.

Z: Signale, Schluß 1. Teil:

15-15

Das hätte 16 sein müssen, denn 15 habe ich schon gesagt. (Schuß)

Doch. (Schuß)

Am Ende von jedem der acht Teile geht es immer so:

Eine Zahl wird wiederholt, und eine Variation der Trompetenmusik wird wiederholt.

Du sagst noch etwas, und ich antworte mit einer längeren Rede.

Dann fangen wir mit einem der anderen (acht) Teile an,

und das ist die Form dieses Hörspiels. (Schuß)

(Chorgesang mit 2 Melodietönen:) AMEN

Jeder Hörer kann die Gliederung des Stückes leicht erkennen und verstehen: Die Nummern aller Abschnitte werden vorab angesagt. Die Gliederung in verschiedene Teile und deren Numerierung werden am Schluß jedes Teiles erkennbar: Am Schluß des ersten Teils singt der Chor einmal "Amen"; am Schluß des zweiten Teiles wird dieses Wort zwei Mal gesungen.

Z: (Chorgesang, Schluß 2. Teil, mit 3 Melodietönen:) AMEN, AMEN

An manchen Stellen (des Stückes) wird sogar angesagt, an welcher Stelle der formalen Entwicklung das Stück angelangt ist.

Z: Signale, Ausschnitt aus 3. Teil

34

Wo sind wir? (Schuß) - Am Anfang des dritten Teils. (Schuß)

(evtl. 35-36, 37-38)

Das Hörstück erklärt sich selbst. Im Text wird sogar darauf hingewiesen, an welcher Stelle sich die formale Entwicklung ändert.

Z: Signale ab 61 (Beginn der 2. Hälfte, Beginn der absteigenden Tonbewegung)

61-62, 63-64

Wo sind wir? (Schuß) - Zwischen 64 und 65. (Schuß)

65-66, 67-68

Die Trompetenmusik klingt anders. (Schuß) - So geht es in der zweiten Hälfte. (Schuß)

(Alle Elemente der musikalischen Gliederung lassen sich klar erkennen und voneinander unterscheiden: Zwei Sprechstimmen - verschiedene Trompetensignale - Sprechtexte - Geräusche - Choreinsätze. Insoweit erscheint das gesamte Stück als extrem deutliches Beispiel einer Gestaltung mit abgestuften Zäsuren und Gliederungen: als geschnittene Zeit. Andererseits wird deutlich - darauf wird übrigens auch im Sprechtext hingewiesen, - daß dieses Werk sich auch anders hören läßt: Wenn man die Gliederung verstanden hat, kann man versuchen, den Formprozeß zu verstehen, der von einer formalen Einheit zur nächsten führt und der die verschiedenen Einheiten der geschnittenen Zeit wieder miteinander verbindet (und in einen Prozeß einschmilzt).

(Z) Signale, aus 2. Teil

16-17, 18-19

Die Trompetenmusik ändert sich immer. (Schuß) - Aber immer aus demselben System. (Schuß)

20-21, 22-23

Verstehst du das System dieser Musik? (Schuß) - Sie geht immer um denselben Kreis herum. (Schuß)

Johnson verrät in seinen Sprechtexten dem Hörer nicht genau (in allen Einzelheiten), wie das Stück kontruiert ist. Immerhin bringen diese Texte aber auch in schwierigen Details den Hörer auf die richtige Fährte. Wer das vollständige Stück hört, wer Musik, Sprechtexte und Geräusche genau verfolgt, der kann viele Aspekte der formalen Entwicklung selbst herausfinden. Was viele Hörer mehr oder weniger deutlich spüren, läßt sich im Vergleich einzelner Ausschnitte bestätigen - zum Beispiel die Entwicklung der Trompetensignale, die im ersten Teil nach und nach aufsteigen und im zweiten Teil nach und nach absteigen. So verbindet sich die Gliederung mit einer kontinuierlichen Formentwicklung, die geschnittene Zeit mit der fließenden Zeit.

(Z) Signale Zusammenschnitt: aufsteigende und wieder absteigende Trompetensignale:

1, 16, 31, 46; 61, 76, 91, (106)

Der Gesamtablauf des Stückes verbindet verschiedene Charakteristika der geschnittenen Zeit mit unterschiedlichen Aspekten der fließenden Zeit: Wenn der Hörer auf die Veränderungen der Trompetensignale achtet, erkennt er einen Prozeß des Wachsens und anschließend wieder Abnehmens. Im ersten Teil steigen die Tongruppen im Tonraum aufwärts, während sie im zweiten Teil wieder nach und nach in tiefere Lagen zurückkehren. Ein anderer Prozeß wird erkennbar, wenn man die verschiedenen Choreinsätze miteinander vergleicht: In jedem dieser Einsätze vollzieht sich in kurzer Zeit ein Prozeß der Tonbewegung, der sich in der Abfolge der Trompetensignale erst in größeren zeitlichen Dimensionen erkennen läßt - nämlich im Gesamtablauf des rund zwanzigminütigen Stückes. Es gibt also einen Prozeß der Tonhöhenbewegung, der in verschiedenen Dimensionen der musikalischen Form ausgestaltet ist und der am leichtesten in jedem der Choreinsätze verfolgt werden kann:

Aufstieg in höhere Tonlage - anschließend Abstieg und Rückkehr in tiefere Tonlage

(Z) Zusammenschnitt: Chorpassagen Schluß 1. Teil - Schluß 2. Teil: AMEN - AMEN, AMEN

In den einzelnen Choreinsätzen vollzieht sich ein Prozeß des Wachsens und Abnehmens. Vergleicht man jedoch die verschiedenen Choreinsätze miteinander, die jeweils am Schluß eines Formteils zu finden sind, so kann man feststellen, daß sich in der Gesamtentwicklung des Stückes ein Prozeß des abgestuften Wachstums ergibt - mit Einsätzen, die, von Mal zu Mal weiter im Tonraum ausgreifend, zunächst aufsteigen und danach wieder abwärts führen, mit Schritt für Schritt wachsendem Tonvorrat und zunehmender Anzahl der Amen-Anrufungen. Das Stück läßt sich also auch als zielgerichtete Formentwiclung hören. Dies zeigt sich im Schlußteil besonders deutlich - auch in den Sprechtexten und sogar in der Geräuschregie.

Die Hörereignisse dieses Stückes artikulieren sich nicht nur in der kreisenden Entwicklung der Formeinheiten, sondern auch als zielgerichteter Prozeß: Gegliedert und zusammenhängend - als geschnittene und gegliederte Zeit - als geschlossene, aber auch prozeßhaft sich öffnende Formentwicklung.)

Johnsons Signale sind ein Stück mit zwei Gesichtern: Man erkennt die Gliederung - aber auch den Formprozeß, der über die Zäsuren der einzelnen Gliederungseinheiten hinwegführt. Die Trompeten-Signale bewegen sich hin und her im Tonraum - nach und nach aufsteigend, später wieder absteigend. Die von Mal zu Mal weiter ausgreifenden Choreinsätze, aber auch die Sprechtexte machen deutlich, daß es neben dem Hin und Her auch einen zielgerichteten Verlauf gibt, eine klare Entwicklung vom Anfang zum Ende. Der Schluß des Stückes ist lang erwartet und dennoch überraschend; dafür sorgt die Geräuschregie.

Z: ab 106 oder ab 114 oder nach 120 (evtl. 1, 2 oder 3 Zahlen vorher: 118-119, 120-120)

(106-107, 108-109.

Wo sind wir? (Schuß) - Im Aufnahmeraum. (Schuß)

110-111, 112-113.

Aber wo sind wir in der Struktur? (Schuß). - Wir sind schon im achten Teil. (Schuß))

(114-115, 116-117)

Warum gibt es 8 Teile? (Schuß) - Die Musik braucht diese Länge, um ihren Kreis zu machen. (Schuß))

(Nach 120):

Jetzt kommen wir zum Ende. (Schuß) - Ja. (Schuß)

(Schüsse: Die Schüsse, wie von einem Maschinengewehr, dauern ungefähr 15 Sekunden.

Nach einer Pause fängt der Chor wieder an.)

(Choreinsatz:) AMEN (8mal)



Es gibt folgende untergeordnete Dokumente:


[Zurück]   [Vor]   [Hoch]   [Startseite]        [Index]   [Frisius-Homepage]