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7.49.2 Schönberg: Brahms


Rudolf Frisius

Johannes Brahms, Klavierquartett g-moll opus 25,

instrumentiert für Orchester von Arnold Schönberg (1874-1951)

Ich bin seit fast 50 Jahren mit dem Stil von Brahms und seinen Prinzipien gründlich bekannt. Ich habe viele seiner Werke für mich selbst und mit meinen Schülern analysiert. Ich habe als Violaspieler und Cellist dieses Werk und viele andere oft gespielt: ich wußte daher, wie es klingen soll. Ich hatte nur den Klang auf das Orchester zu übertragen, und nichts sonst habe ich getan.

Mit diesen Worten hat Arnold Schönberg 1939 die Arbeit an einem Werk beschrieben, das er selbst im Scherz als die "Fünfte" von Brahms bezeichnet hat: Die Orchestration des ersten Klavierquartetts op. 25 von Johannes Brahms. Schönberg, der in seiner Jugend Musik nicht als Pianist, sondern als Streicher kennengelernt hatte, fand, wie viele Streicher, die Partie des Pianisten in den meisten Aufführungen, dier er zu hören bekam, viel zu laut, und dementsprechend begründete er seine Instrumentation:

Meine Gründe:

1. Ich liebe das Stück.

2. Es wird selten gespielt.

3. Es wird immer seht schlecht gespielt, weil der Pianist desto lauter spielt je besser er ist, und man nichts von den Streichern hört. Ich wollte einmal alles hören, und das habe ich erreicht.

Am 2. Mai begann Schönberg mit der Orchestration des Klavierquartetts in g-moll opus 25, die am 16. Juli abgeschlossen wurde. Der 3. Satz war am 22. August fertig, der vierte am 19. September. Die Uraufführung dieser Bearbeitung fand am 7. Mai unter der Leitung von Otto Klemperer in Los Angeles statt, wo der von den Nationalsozialisten vertriebene Schönberg damals im Exil lebte. Wenig später dirigierte Schönberg selbst das Werk in San Diego.

In einem Aufsatz über Brahms, der im Brahmsjahr 1933 entstand und im Brahmsjahr 1947 überarbeitet wurde, schreibt Schönberg:

Es ist der Zweck dieses Aufsatzes zu beweisen, daß Brahms, der Klassizist, der Akademische, ein großer Neuerer, ja, tatsächlich ein großer Fortschrittler im Bereich der musikalischen Sprache war.

Was Schönberg damit meint, hat er bei verschiedenen Gelegenheiten mit genauen Analysen nachgewiesen: Brahms ist für ihn der Meister der "entwickelnden Variation", der skeptisch geworden ist gegen die aus der Tradition übernommenen Praktiken der unveränderten Wiederholung. In diesem Sinne schreibt Schönberg an anderer Stelle desselben Aufsatzes:

In der Sphäre der Kunstmusik respektiert der Autor sein Publikum. Er fürchtet es zu beleidigen, indem er immerzu wiederholt, was beim einmaligen Hören erfaßt werden kann, selbst wenn es neuartig, und erst recht, wenn es abgestandenes altes Zeug ist.

Eine wichtige Grundidee in Schönbergs Instrumentation besteht darin, hörbar machen, wie sich bei Brahms musikalischer Zusammenhang nicht aus Wiederholungen ergibt, sondern aus ständigen Abwandlungen weniger Grundmotive. Dies zeigt Schönberg schon im ersten Hauptthema des Stückes, indem er bei Motivverarbeitungen die Klangfarben wechselt. Außerdem benutzt er Instrumentenwechsel als Mittel der achitektonischen Gestaltung, um Haupt- und Nebenstimmungen, Gliederungen und Übergänge darzustellen. Im gesamten Stück wird deutlich, daß Schönberg hier der Kammermusik von Brahms ein zugleich prächtiges, vielfarbig schillerndes und transparentes Klangbild gegeben hat: Dem ersten Satz mit seinen vielfältig wechselnden und durchgeführten Motiven - dem zweiten Satz in seiner plastischen Dreiteiligkeit - den von weitgeschwungenen Kantilenen und kontrastierenden rhythmischen Akzenten geprägten dritten Satz - den effektvoll kontrastierenden Schlußsatz, der als Rondo aus ungarischen Melodien angelegt ist.
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