Zhu Biografie
Ich wurde 1954 in Wan-Xian in der Provinz Sichuan am Yangtse-Fluß geboren. Wenn man dort an den Fluß geht, sieht man viele Schiffe fahren. Als Kind habe ich noch viele einfache Holzschiffe gesehen, es gab aber auch damals schon größere moderne Schiffe mit Antriebsmaschinen, die das ganze Jahr hindurch verkehrten, auch wenn es während des Sommers Hochwasser war. Ich habe oft die Schiffsleute bei der Arbeit singen hören. Auch bei anderen Anlässen bekam ich Musik zu hören, zum Beispiel von den Bauern auf dem Lande bei der Hochzeit oder bei Beerdigungen. Auch bei traditionellen Festen in unserer kleinen Stadt wurde viel Musik gemacht, z. B. beim chinesischen Neujahrsfest (im Februar) oder beim Mondfest (zu Beginn des Herbstes). Bei diesen Festen wurden bekannte oder ad hoc improvisierte Lieder gesungen, manchmal auch mit Bläser-Begleitung. Neben traditionellen Liedern (z. B. Jahreszeitenliedern, Liebesliedern, Liedern für bestimmte Anlässe) wurden seit den fünfziger Jahren auch mehr und mehr Lieder mit politischen Inhalten gesungen. Auch Instrumentalmusik gab es zu hören, bei Umzügen oder zur Begleitung des Volkstanzes: Musik mit Bläsern (oft auch in Verbindung mit Schlagzeug), Musik mit Blas-, Saiten- und Schlaginstrumenten in der Sichuan-Oper (die im Sichuan-Dialekt gesungen und erst später, in den Jahren der Kulturrevolution in den sechziger Jahren, mit politischen Texten und westlichem Instrumentarium umgestaltet wurde) und auch in der Peking-Oper (die, auf Hochchinesisch gesungen, im ganzen Land verbreitet war und auch in Sichuan aufgeführt wurde). Musik der Sichuan-Oper und der Peking-Oper habe ich von Kindheit an nicht nur in Aufführungen gehört, sondern auch im Radio und auf Schallplatten. Oft habe ich auch gehört, wie Laiengruppen (Straßenmusiker oder Nachbarschaftsgruppen) spontan Musik der Sichuan- oder Peking-Oper selbst sangen und spielten. Ich habe dabei manchmal mitgemacht und auch zu Hause mich daran versucht. Ich war ungefähr zwölf Jahre alt, als ich mich mit einem etwa 50 Jahre alten Mann in der Nachbarschaft zusammentat, dem die Roten Garden alle seine Habe genommen hatten. Er versuchte, sich mit Musik in seiner schlimmen Lage zu trösten. Er sang die Opernmelodien vorsichtshalber mit den neuen revolutionären Texten, und ich begleitete ihn auf der Erhu (einer chinesischen Kniegeige), auf dem Jing-Er-Hu (einem mittelgroßen Streichinstrument) oder auf dem Jing-Hu (einem kleinen, sehr hoch klingenden Streichinstrument).; manchmal sang auch ich zu seiner Begleitung, oder wir beide spielten Duo.
(An meinen Vater kann ich mich nicht erinnern. Erst später habe ich erfahren, daß er verhaftet worden ist, als ich drei Jahre alt war. Man hat mir erzählt, er sei vor der Revolution als Geschäftsmann tätig gewesen. Einige Zeit nach der Verhaftung meines Vaters wurde meiner Mutter lakonisch mitgeteilt, er sei gestorben. - Meine Mutter lebt heute noch. Sie hatte es damals nicht leicht, ihre vier Kinder aufzuziehen. Sie, eine ausgebildete Kalligraphin und Malerin, mußte in einer Textilfabrik arbeiten. Erst in den achtziger Jahren, nach Pensionierung, begann sie wieder mit Kalligraphie und Malerei.
Schon seit den späten fünfziger Jahren bekam die Mutter aus politischen Gründen Schwierigkeiten, für ihre Kinder eine passende Schule zu finden. Sie mußte sich mit Privatschulen begnügen, die schlechter ausgerüstet, aber gleichzeitig mit den halbjährlich zu zahlenden Schulgeldern teurer waren als üblich. Ich hatte aber in der Schule keine größeren Schwierigkeiten. In der Grundschule war mein Klassenlehrer mit meinen Leistungen sehr zufrieden und hat mich gut behandelt; vielleicht hatte er Mitleid mit der Lage unserer Familie.)
Mein erstes Musikinstrument, eine Erhu, hat mir mein Grundschul-Klassenlehrer geschenkt. In der Mittelschule (die dem deutschen Gymnasium entspricht) hat mir ein Lehrer ein Dreiviertel-Cello für mehrere Jahre ausgeliehen. Später bekam ich ein großes Cello mit der Auflage, damit in den örtlichen Ensembles der Sichuan-Oper und der Peking-Oper mitzuspielen. Auch Akrobaten habe ich damals im Ensemble musikalisch begleitet. Ich spielte auch mit, wenn Erzählungen vorgesungen wurden (Qü-Ji).