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Rudolf Frisius
Iannis Xenakis: Ioolkos
Z: Ioolkos vollst. 6´23
Iannis Xenakis schrieb sein Orchesterstück IOOLKOS als Auftragswerk zum 75jährigen Jubiläum der Donaueschinger Musiktage im Jahre 1996. Die Uraufführung fand am 20. Oktober dieses Jahres in Donaueschingen statt. Der Titel des Werkes verweist auf die thessalische Heimat Jasons, des Ehemanns der Medea.
Xenakis arbeitet in diesem kurzen Stück mit einer großen Orchesterbesetzung. Die im Sinfonieorchester üblichen Holzblas- und Blechblasinstrumente sind vierfach besetzt: Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte; Hörner, Trompeten und Posaunen. Die 4 Posaunen bilden zusammen mit der Tuba sogar eine fünffach besetzte Klanggruppe. Die Streichergruppe ist besetzt mit 16 ersten Violinen, 14 zweiten Violinen, 12 Bratschen, 10 Celli und 8 Kontrabässen.
Charakteristisch für das gesamte Werk ist ein kompakter Orchestersatz, in dem alle beteiligten Instrumente verschiedene Töne spielen. Dabei kommt es zu dichten Klangballungen. Diese Klangballungen hört man schon in den ersten Takten in verschiedenen Klangschichten der Holzbläser und der Streicher
Z: Anfang bis 1. Glissando 0´´ - 26´´
Die Musik beginnt ruhig - in breit ausgefächerten, dicht sich überlagernden Klangschichten: Im sehr langsamen Akkordwechsel der Holzbläser - in etwas rascheren Akkordfolgen der Streicher. Ein erster Wendepunkt der formalen Entwicklung wird schon nach wenigen Takten erreicht: Eine Teilgruppe der Streicher beendet ihre Tonbewegungen mit einem kurzen, markant absteigenden Glissando.
Z: ab 18´´ (3. Holzbläserakkord) - 26´´ (Ende des kurzen absteigenden Glissandos)
Das Glissando markiert Abschluß und Wechsel: Die Streicher, die an diesem Glissando beteiligt sind, verstummen anschließend. Eine andere Teilgruppe der Streicher bleibt auch nach diesem abreißenden Glissando noch hörbar: Mit einem weiterklingenden, breiten Klangband, zusammen mit der Klangschicht der Holzbläser, deren Töne sich jetzt etwas rascher bewegen. So wird das Klangbild transparenter, und gleichzeitig zeigen sich erste Anzeichen einer Beruhigung des Klangflusses.
Z: ab 18´´ (3. Holzbläserakkord) - vor 34´´ (aufhören vor Einsatz der Hörner)
Das Stück beginnt in der kompakten Dichte verschiedener Klangschichten, die aus dicht übereinander geschichteten Tönen, aus Tontrauben gebildet sind. Schon der Anfang ist typisch für das Klangbild des ganzen Stückes: Zu hören sind lange Töne von Holzbläsern und Streichern, als weiträumiger Cluster.
Z: 1. Cluster 0´´ - 7´´ (aufhören vor 2. Clustereinsatz: Kontrabässe 5-8)
Aus der Synchronität des Anfangsakkordes lösen sich verschiedene Klangschichten heraus. So beginnt eine Entwicklung, die schließlich in den letzten Takten des Stückes wieder zum Ausgangsstadium zurückführt. Asynchrone Klangbewegungen verwandeln sich schließlich in einen Akkord, den alle Orchesterinstrumente gemeinsam aushalten.
Z: Tonbewegungen - Schlußakkord: ab T. 31 Mitte Blechtöne asynchron 5´08 - Schluß 6´53
(evtl. ab T. 37 (synchrone Akkorde aller Bläser) bis Schluß: 6´53)
Anfang und Schluß des Stückes sind eng miteinander verwandt: Den Rahmen des Stückes bilden ausgehaltene Töne der Bläser und Streicher, die sich bündeln zum dichten Klangband: Am Anfang des Stückes spielen die meisten Holzbläser und ein Teil der Streicher, am Schluß spielt das gesamte Orchester mit allen Bläsern und Streichern.
Z: Zusammenschnitt
a) Anfangscluster 0´´ bis vor 7´´ (aufhören vor 2. Clustereins. Kb) - b) Schlußcluster Tutti
Im Orchesterstück IOOLKOS erscheint der Cluster nicht nur als Ausgangspunkt der formalen Entwicklung, sondern auch als Ziel. Schon daraus wird deutlich, wie stark dieses Donaueschinger Jubiläumsstück von Iannis Xenakis sich unterscheidet von dem ersten Orchesterstück, mit dem 1955 der junge Xenakis in Donaueschingen Aufsehen erregt hat: METASTASEIS. Das frühe Orchesterwerk beginnt und endet nicht mit dem Cluster, sondern mit dem einzelnen Ton. Der Ton selbst aber erscheint nicht als isoliertes Phänomen, sondern er wird eingeschmolzen in einen Prozeß ständiger Verwandlung: Zu Beginn des Stückes verwandelt sich der Ton zunächst in auseinanderstrebende Glissandi und dann in einen dichten Cluster, der den weiten Tonraum erfüllt; am Schluß des Stückes erscheint der umgekehrte Prozeß, die Verwandlung des dichten Clusters über das Glissando in einen einzelnen Ton.
Z: Zusammenschnitt METASTASEIS
a) Ton verwandelt sich in Glissandoknäuel (Anfang)
b) Glissandoknäuel verwandelt sich in Ton (Schluß)
IOOLKOS und METASTASEIS liegen in der Entstehungszeit um mehr als vierzig Jahre auseiander. Wenn man beide Stücke genauer miteinander vergleicht, findet man nicht nur verschiedenartige Tongestalten, sondern auch höchst unterschiedliche Prozesse der formalen Entwicklung: Die mächtige Expansion, mit der METASTASEIS beginnt, unterscheidet sich deutlich vom langsamen, fast durchweg dichten Klangfluß in IOOLKOS. Auffällig ist auch, daß Materialstruktur und Formentwicklung in IOOLKOS viel einheitlicher und zusammenhängender erscheinen als in METASTASEIS - einem Stück, daß neben den Rahmenteilen mit den weiträumigen Glissandi auch ganz andere, stark kontrastierende Abschnitte kennt.
Z: METASTASEIS, Forts. zwölftöniger Abschnitt
METASTASEIS ist ein vielfältig gegliedertes, in verschiedenen Einzelabschnitten mit klar erkennbaren Formproz essen ausgestaltetes Stück. IOOLKOS hingegen entwicklet sich aus einem das ganze Stück durchziehenden, einheitlichen Klangfluß.
Zu Beginn von IOOLKOS gerät die Musik nach und nach in Bewegung. Das erste, abwärts gerichtete Glissando gibt gleichsam das Signal für weitere, fließende Formbewegungen.
Z: 0´´ - 26´´ (VIII=II)
Dem ersten Glissandosignal folgen weitere, jetzt auch aufwärts führende Glissandi. Überdies setzt eine weitere Klangschicht ein, die ebenfalls in die Glissandobewegungen einbezogen wird: Die Blechbläser.
Z: 1. Glissandoabstrz - Einsatz Blech ruhig (aufhören vor Blech belebter=
25´´ (Glissando abwärts) - 1´10 (vor rascherer Fortsetzung Blech)
Am Anfang der Formentwicklung steht die melodische Belebung, die bis ins Glissando hineingetrieben wird. Ihr folgt die rhythmische Belebung mit rascher aufeinanderfolgenden Tönen - in den Partien zunächst der Blechbläser, später auch der Streicher und einer Klangschicht der tiefen Bläser. Später kommen Glissandi mehrerer Holzbläser hinzu
Z: Holzbläser raschere Töne bis längere Holz-Glissandi
T. 6, 2. Viertel (1´10) bis T. 11 Anfang 4. Viertel (aufhören vor Holz synchron)
Im größeren Zusammenhang des Stückes zeigt sich von Anfang an eine zielstrebige Formentwicklung. Man hört Tonklumpen in verschiedenen Konstellationen: Zunächst mit lange ausgehaltenen Tönen - dann stufenweise wechselnd - weniger später auch in Verbindung mit gleitenden Tonverbindungen und rhythmischen Mustern.
Z: 1. Teil T. 1 - 11 Anfang 4. Viertel (langes Glissando Holz)
Charakteristisch für den ersten Teil des Stückes ist, daß sich verschiedene Klangschichten aufbauen und daß der melodische und rhythmische Fluß ständig zunimmt.
Es folgt ein zweiter Teil, in dem die ruhige, weiträumige Expansion gleichsam ihren Sättigungsgrad erreicht hat und sich entfaltet im breiten und vollen Orchesterklang. Dabei treten die melodisch-rhythmischen Tonbewegungen vor allem in verschiedenen Klangschichten der Holzbläser und Blechbläser in den Vordergrund; gleichzeitig beruhigen sich die Tonbewegungen in den Klangschichten der Streicher.
Z: 2. Teil T. 12-24
anfangen nach langem Holzbläserglissando, bis Aussetzen Blechbläser
aufhören vor Einsetzen der asynchronen Holzbläser-Cluster
Im dritten Teil des Stückes löst der kompakt-vielschichtige Orchestersatz sich auf. Der Beginn dieses Teiles wird dadurch markiert, daß die Blechbläser aussetzen und die Holzbläser aus der Synchronität ausbrechen. Über lang ausgehaltenen Clustern der Streicher, hört man - in verschiedenen, asynchron gegeneinander verschobenen Klangschichte - Clusterfolgen der Flöten, der Oboen und der Klarinetten.
Z: 3. Teil Anfang:
T. 25 (nach Aufhören Blech, Eins. Holz asynchrone Cluster)
- 26 4. Viertel (aufhören vor neuem Blechbläsereinsatz auf letztem Achtel von T. 16)
Während bei den Streichern länger ausgehaltene Klänge (in zwei Klangschichten) zu hören sind, erklingen bei den Bläsern verschiedene Klanggruppen im Wechsel: Hohe Holzbläser - Blechbläser - tiefe Bläser (nämlich Fagotte und Tuba)
Z: 3. Teil Klanggruppen:
T. 25 (Einsatz Holz asynchrone Cluster, Aussetzen Blech) - T. 27 3. Viertel (vor Eins. Holz)
3 Klanggruppen: Fl, Ob, Kl - Trp, Hr, Pos - Fg, Tuba
Nacheinander treten drei verschiedene Klanggruppen hervor, die anschließend nochmals wiederkehren: Die erste mit Flöten, Oboen und Klarinetten - die zweite mit Trompeten, Hörnern und Posaunen - die dritte mit Fagotten und Tuba.
Z: 3. Teil, 2x3 Klanggruppen T. (24) 28 mit Auftakt - T. 30 2. Vierteil (Tuttiakkord)
Fl, Ob, Kl - Trp, Hr, Pos - Fg, Tuba - anschließend nochmals diese 3 Klanggruppen
Im letzten Teil des Stückes polarisiert sich die Entwicklung: Im Streichersatz hört man nicht mehr verschiedene Klangschichten, sondern dichte Cluster, die von allen im gleichen Rhythmus gespielt werden. Der Streichersatz wächst also zusammen zur Synchronität. Der Bläsersatz entwickelt sich in genau umgekehrter Richtung: Das Spiel der Holz- und Blechbläser wird zunehmend asynchron. Nur an wenigen Stellen beruhigt sich auch im Bläsersatz die Entwicklung: in ausgehaltenen Akkorden.
Z: Schlußteil T. 30 2. Vierteil bis T. 34 1. Viertel
ab 4´54 langer Holzbläserakkord, ausblenden auf Tuttiakkord
aufhören vor Einsatz asynchroner Blechbläsertöne (Trp, Hr)
Im weiteren Verlauf des Schlußteils beruhigt sich die Entwicklung auch im Bläsersatz: Mehr und mehr setzen sich Akkorde durch, mit denen Ruhepunkte gebildet werden.
Z: Schlußteil T. 31 3. Viertel bis T. 38 2. Viertel
ab 5´08 Bläser asynchron (Ob, Kl; Trp, Hr, Tu), aufhören vor Einsatz Streichercluster
Das Ziel der formalen Entwicklung ist erreicht, wenn schließlich alle Instrumente sich vereinigen in einem langen Akkord.
Z: Schluß ab T. 38 2. Viertel (Bläserakkord, dann Streichercluster-Einsatz)
IOOLKOS ist ein charakteristisches Spätwerk von Iannis Xenakis - ein prägnanter Beitrag zu einer Reihe von Stücken für größere Orchesterbesetzungen, die in den neunziger Jahren entstanden sind. Diese Orchesterstücke unterscheiden sich von älteren Orchesterwerken des Komponisten in wichtigen Details der Instrumentation, der rhythmisch-melodischen Faktur und der Formgestaltung: Als Musik im ruhigen, aber mächtigen und stetigen Strom der Klänge.
Z: Ioolkos vollständig
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